Metropolenschreiber/in Ruhr

Um zur literarischen Begegnung und Auseinandersetzung mit dem Ruhrgebiet, seinen Menschen und seiner Kultur anzuregen, vergibt die Brost-Stiftung seit 2017 das Amt des „Metropolenschreiber Ruhr“ im jährlichen Wechsel an einen außerhalb des Ruhrgebiets beheimateten Schriftsteller oder eine Schriftstellerin. Für das Metropolenschreiber-Projekt ist der Blick von außen auf das Ruhrgebiet wichtig, aber auch der gesellschaftspolitische Ansatz. Im jährlichen Wechsel wird das Metropolenschreiber-Amt an eine/n neue/n Metropolenschreiber/in übergeben, der/die eingeladen wird, für ein Jahr im Ruhrgebiet zu leben, um Menschen und Kultur zu erkunden. Ziel des Projektes ist es, dass im Laufe des Jahres eine Publikation mit den Texten des jeweiligen Metropolenschreibers entsteht.

Bisherige Metropolenschreiber/innen

Erste „Metropolenschreiberin Ruhr“ war von Oktober 2017 bis September 2018 die deutsch-französische Schriftstellerin Gila Lustiger, die 1963 in Frankfurt a.M. geboren wurde und seit 30 Jahren in Paris lebt. Mit dem autobiografischen Roman „So sind wir“, in dem sie die Geschichte einer jüdischen Familie im Nachkriegsdeutschland schildert, wurde Gila Lustiger einem größeren Publikum bekannt; ihr Kriminal- und Gesellschaftsroman „Die Schuld der anderen“ wurde 2015 zum Bestseller. Im Herbst 2018 folgte Lucas Vogelsang als der zweite „Metropolenschreiber Ruhr“. Geboren 1985, zählt er zu den erfolgreichsten Reportern seiner Generation. Er war u.a. Autor für den Tagesspiegel, Zeit, Welt, Welt am Sonntag und Playboy. 2010 erhielt er den Henri-Nannen-Preis, 2013 den Deutschen Reporterpreis. Für die Reportage über seinen Block im Berliner Wedding wurde er 2015 beim Hansel-Mieth-Preis ausgezeichnet. 2017 erschien sein Bestseller „Heimaterde. Eine Weltreise durch Deutschland“. Darauf folgte 2019 der Philosoph, Publizist und Schriftsteller Dr. Wolfram Eilenberger. Seine Leidenschaft ist die Anwendung philosophischer Gedanken auf die heutige Lebenswelt, sei es in Fragen der Politik, der Kultur oder des Sports. Sein internationaler Bestseller „Zeit der Zauberer – Das große Jahrzehnt der Philosophie 1919-1929“ erschien im März 2018 und wird derzeit in 20 Sprachen übersetzt. 

Ab Herbst 2020 residierte der deutsch-argentinische Schriftsteller Ariel Magnus, der 1975 in Buenos Aires geboren wurde und heute als Autor und literarischer Übersetzer dort lebt,  im Ruhrgebiet als neuer „Metropolenschreiber“. Er schrieb für verschiedene Medien in Lateinamerika, die taz in Berlin und SPIEGEL ONLINE. 2007 wurde er für seinen Roman »Ein Chinese auf dem Fahrrad« mit dem internationalen Literaturpreis Premio La Otra Orilla ausgezeichnet. 2012 folgte das Porträt seiner deutsch-jüdischen Großmutter »Zwei lange Unterhosen der Marke Hering«, die den Holocaust überlebte, nachdem sie freiwillig ihrer Mutter nach Theresienstadt und Auschwitz gefolgt war.

Als nächstes war Raphaela Edelbauer auf Einladung der Brost-Stiftung als Metropolenschreiberin Ruhr ab Oktober 2021 bis März 2022 unterwegs. Die österreichische Autorin wurde 1990 in Wien geboren und wuchs im niederösterreichischen Hinterbrühl auf. Die meisten ihrer Arbeiten sind im Bereich Prosa (v.a. Romane), Poetik und Performance angesiedelt. Besonders gerne verfasst die Autorin Texte für zeitgenössische Komponisten, unter anderem arbeitete sie mit Stephan Aschböck und Robin Haigh zusammen, und schrieb ein Libretto für die kroatische Komponistin Margareta Ferek-Petric. Seit 2009 veröffentlicht Edelbauer in Literaturmagazinen und Anthologien und tritt bei Literaturfestivals auf. Für ihr im Februar 2017 erschienenes Prosadebüt „Entdecker. Eine Poetik“ wurde sie 2018 mit dem Hauptpreis des Rauriser Literaturpreises ausgezeichnet. Ihr Roman „Das flüssige Land“ gelangte im August 2019 auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises und im Oktober sowie November 2019 auf Platz drei der ORF-Bestenliste. Anfang 2021 erschien bei Klett-Cotta ihr Science-Fiction-Roman „DAVE“, eine dystopische Erzählung über Geschichte, Gegenwart und Zukunft der künstlichen Intelligenz, der auf dem dritten Platz der ORF-Bestenliste für Februar 2021 und auf dem zweiten Platz der Bestenliste für März 2021 landete.

Abgelöst wurde die österreichische Autorin von dem Historiker und Schriftsteller Per Leo. Nach dem mehrfach ausgezeichneten Roman „Flut und Boden“ sowie dem von ihm mit verfassten Buch „Mit Rechten reden“, das medial Aufsehen erregte, handelt der nächste Roman von Per Leo von einem betrügerischen Geigenhändler.
Für ihn ist die Region durch Ambivalenz und Widersprüche gekennzeichnet. „Es gibt nicht das Ruhrgebiet. Die Städte Bochum, Gelsenkirchen oder Duisburg etwa vermitteln ein ausgeprägtes Lokalgefühl. Wenn ich aber hier in Mülheim zum Joggen gehe, lande ich meist in Duisburg. Beim Einkaufen überlege ich, ob ich schneller in Essen oder in Düsseldorf bin.“

Ab Herbst 2022 zog der Träger des Alfred-Döblin-Förderpreises sowie des Ernst-Willner-Preises Ingo Schulze als neuer Metropolenschreiber Ruhr in Mülheim ein. Der gebürtige Dresdener studierte Philologie und Germanistik bevor er zunächst als Dramaturg und später als Journalist arbeitete. Inzwischen lebt der Schriftsteller in Berlin. Zu seinen bekanntesten Werken gehören „Simple Stories“ (1998), „Adam und Evelyn“ (2008) und „Die rechtschaffenen Mörder“ (2020). Im März 2023 endete seine sechs-monatige Amtszeit als Metropolenschreiber Ruhr. Ingo Schulze verlässt das Ruhrgebiet und verabschiedet sich mit folgenden Gedanken: „Bei Lesungen oder anderen Gelegenheiten wurde ich angesprochen und eingeladen, sei es zum Besuch einer Stadt oder eines Stadions, eines Konzertes oder einer Führung, zu einem Essen oder einem Spaziergang. Ich hörte zu, fragte, las, fuhr nochmals hin. So banal es klingt, aber ein Besuch führte zum anderen. Bei allem begleitete mich die Frage, was ich als Schriftsteller denn überhaupt leisten könnte. Erzählungen oder gar einen Roman – das lässt sich nicht erzwingen, dazu braucht es eine ganz andere Vertrautheit mit einem Ort. Reportagen und Berichte gibt es sehr viele und auch sehr viele gute. Was ich versuchen möchte, ist die Beschreibung ganz verschiedener Bereiche, vom Konzertbesuch bis zur Kläranlage, vom Spaziergang über den Kriegsgräberfriedhof bis zum Flanieren über die Fußgängerzone von Herne, vom Folkwang-Museum bis zum Heimatmuseum »Unser alter Fritz«, von einem Schulbesuch in Marxloh bis zu jenem in Mülheim. Und ich hoffe, dass sich dabei Verbindungen ergeben und ich etwas nebeneinanderstellen kann, was vielleicht als weit voneinander entfernt gilt. Noch habe ich vor allem Notizen. Denn die letzten Wochen habe ich kaum noch am Schreibtisch verbracht. Ich habe tatsächlich begonnen, mich im Ruhrgebiet heimisch zu fühlen. Das merkte ich vor allem, wenn ich Besuch bekam, da wurde ich zum eifrigen Reiseführer. Jetzt beginnt gewissermaßen der zweite Teil meiner Reise – das Schreiben. Das ist auch eine Art Rückkehr, auf die ich mich freue, da ich schon manche Menschen, manche Wege, Orte und Landschaften vermisse.“