Direkt zum Inhalt wechseln

Reflexionen eines Metropolenschreibers im November

Metropolenschreiber Daniel Schreiber

Eine Beitragsreihe aus dem Herzen des Ruhrgebiets

In unserer Beitragsreihe nimmt Metropolenschreiber Daniel Schreiber Sie mit auf seine Reise durch das Ruhrgebiet. Mit einem Blick für das Besondere und Alltägliche reflektiert er über Begegnungen und Erlebnisse, die die Vielfalt und den einzigartigen Charakter der Region spürbar machen. Freuen Sie sich auf authentische Einblicke und Geschichten aus dem Revier.

Es ist alles so schön grün hier 

Seit gut einem Monat nun verbringe ich den Großteil meiner Zeit zwischen Essen, Mülheim und Duisburg. Ich weiß, mein Metropolenschreiber-Radius ist noch recht klein geblieben und der Ruhrpott ist sehr viel größer als das Gebiet zwischen Zeche Zollverein und dem „Einkaufsbahnhof Duisburg“. Wenn Sie, liebe Lesende, an dieser Stelle also einige Weisheiten über das Leben hier erwarten, über die Ruhrgebietsmenschen an sich oder gar große philosophisch-ökologische Rundumschläge, muss ich Sie leider enttäuschen. Das Leben hier ist für mich weitestgehend noch ein Rätsel, und alles andere auch.

 

Doch ein wenig habe ich schon das Gefühl, ein paar Tendenzen im Selbstverständnis des Landstrichs erkennen zu können, ein paar der Übereinkünfte, auf denen das Zusammenleben hier beruht. Und ich passe mich da bereitwillig, ganz ohne Umschweife an. Zum Beispiel ist es vielen Leuten hier sehr wichtig, zu betonen, dass das kollektive Bild vom Pott als rußige Schornstein- und Industrielandschaft falsch ist und man hier, ganz im Gegenteil, auf sehr viel Grün trifft. Wenn ich Leuten erzähle, dass ich hier bin, um über das Ruhrgebiet zu schreiben, ist das meistens das Erste, was sie sagen. Meine sehr nette Nachbarn etwa, eine Mitarbeiterin des Museums Küppersmühle oder meine Tennislehrerin. (Lustigerweise ist der nächste Supermarkt vom Haus, in dem ich wohne, etwa über zwei Kilometer entfernt, ein Tennisclub aber befindet sich in Fußweite, also habe ich beschlossen, Tennis zu lernen.) 

Wann immer Menschen mir das mit dem Ruhrgebietsgrün erzählen, nicke ich brav mit dem Kopf und sage ja, ja, das ist wohl wahr. Wohlwissend, dass es sich dabei eher um eine Halbwahrheit handelt. Denn, seien wir ehrlich, dieses Bild von den Schornsteinen hat schon seit vielen Jahren niemand mehr im Kopf. Es ist „älter als die Braunkohle“, wie ein Mitarbeiter der Brost-Stiftung, der nicht erwähnt werden möchte, sagen würde. Und klar, es gibt ein paar Parks und ein paar Wäldchen, in denen man mit dem Hund Gassi gehen oder joggen kann, aber viel grüner als anderswo ist es hier auch nicht. Aber vielleicht bin ich auch nicht der Richtige, um das einzuschätzen, schließlich bin ich in Mecklenburg aufgewachsen, wo es noch nie Industrie oder Bergbau gab, und Tennisclubs meines Wissens, zumindest früher, auch nicht.

 

Aber wie gesagt, ich nicke immer brav mit dem Kopf, wenn das Ruhrgebietsgrün beschworen wird. Denn ich habe den Eindruck, dass auch solche gemeinschaftlichen Halbwahrheiten eine wichtige Funktion erfüllen können und dass sich in ihnen so etwas wie ein kollektives Selbstverständnis manchmal sogar deutlicher zeigt als anderswo. Meinem Eindruck zufolge handelt es sich bei der Beschwörung des Grüns um so etwas wie ein kollektives Durchatmen, um den Ausdruck eines gemeinschaftlichen Gefühls der Erleichterung. Was man sagt, wenn man sich hier sagt, dass alles so schön grün sei, scheint mir eigentlich zu sein: Wir haben gerade nochmal die Kurve bekommen. Ein paar Jahrzehnte lang sah es so aus, als würde uns die Landschaft nicht verzeihen, dass wir sie so ausgebeutet und verschmutzt haben, dass wir die Erde systematisch ihrer Schätze beraubt haben. Aber im Großen und Ganzen ist alles nochmal gut gegangen. Gewiss, manchmal sackt irgendwo ein Autobahnteilstück ab, und das mit dem Klimawandel, nun ja. Aber wir haben jetzt sogar ein paar Wäldchen, durch die man mit dem Hund spazieren und in deren Nähe man Tennis spielen kann. Das ist doch was. Aber vielleicht liege ich auch falsch. Wie gesagt, ich bin noch nicht lange hier. Doch wenn mich jemand aus Berlin anruft, sage ich vorsichtshalber auch schon mal: Weißt du, es ist alles so schön grün hier, das würde man gar nicht denken.  

Im Video stellt sich unser neuer Metropolenschreiber Daniel Schreiber kurz vor: