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Zweimal pro Woche von der ersten in die dritte Welt

Dr. Anne Rauhut schildert im BrostCast ihr Engagement für notleidende Menschen ohne Krankenversicherung – direkt vor unserer Haustür

30. November 2022

Sie wollte schon mit 14 Ärztin werden und heute, ein paar Jahrzehnte später, freut sich Anne Rauhut darüber, „dass ich mit 67 Jahren immer noch arbeiten darf“. Die Medizinerin aus Leidenschaft und Überzeugungstäterin gewährt im Gespräch mit Hajo Schumacher Einblicke in einen Alltag, über den viele Mitmenschen gerne hinwegsehen. „Ich reise zweimal in der Woche von der ersten in die dritte Welt“, erzählt sie in der finalen BrostCast-Folge der zweiten Staffel. Gemeint sind ihre regelmäßigen Einsätze für Menschen ohne Krankenversicherung bei der Malteser Migrantenmedizin.

Die „Reise“ führt Rauhut aus ihrem Haus im Essener Süden nur ein paar Kilometer weiter ins Duisburger Stadtzentrum, wo sie mit mehreren Kollegen in einer improvisierten Praxis Nothilfe leistet. Begonnen habe alles mit einem Erste-Hilfe-Lehrgang für muslimische Frauen in Marxloh, dann sei sie „irgendwie da reingefallen“. Wenn sie in ihrer direkten Art erzählt, geht jeder Satz ins Herz – oder setzt sich tief in der Magengrube fest…

„Ich mag die Menschen heute noch viel mehr als früher.“

Dr. Anne Rauhut

„Wir kümmern uns donnerstags vor allem um die Betreuung von Schwangeren, in der Mehrzahl sind die Frauen minderjährig.“ Bei den aus Rumänien zugewanderten Roma-Familien habe Schwangerschaft einen hohen Stellenwert, Kindersegen bedeute gleichzeitig Absicherung im Alter. Rauhut, selbst vierfache Mutter, versucht die Frauen im Rahmen mehrerer Vorsorgeuntersuchungen durch die Schwangerschaft bis zur Entbindung zu begleiten, vor allem finanziell eine gewaltige Herausforderung. „Wir sind überwiegend auf Spenden angewiesen, allein die Laboruntersuchungen sind sehr teuer.“

Bei der Entbindung stoße das Gesundheitssystem an seine Grenzen: „Die Frauen bekommen in der Klinik eine Rechnung über rund 2000 Euro. Und jeder weiß, dass sie das nie werden bezahlen können.“

Hören Sie einmal rein, wie viele Menschen bei uns tatsächlich ohne Krankenversicherung leben. Nicht nur Zuwanderer und Asylsuchende…

„Angst vor dem Tod ist nicht schichtspezifisch!“

Dr. Anne Rauhut

Bei allem „zupackenden Optimismus des Ruhrgebietsmenschen“ fühlt sich die im Essener Norden aufgewachsene Apothekertochter gelegentlich hilflos, „als stehe man vor einer Wand“. Wenn es beispielsweise um chronisch kranke Patienten geht, bei denen das Geld für teure Medikamente fehle. Erst recht bei Krebskranken, die nach einer Diagnose sofort weiterbehandelt werden müssten: „Angst vor dem Tod ist nicht schichtspezifisch!“

Es falle ihr zunehmend schwerer, sich als Ärztin ein stückweit von den Einzelschicksalen zu distanzieren. Wenn sie etwa einer Frau gegenübersitzt, die nach einer OP am Schienbein über drei Monate nicht den Verband wechseln ließ. Oder immer häufiger Schwangere behandeln muss, die mit Syphilis infiziert sind. Weil sie sich den Lebensunterhalt über Prostitution finanzieren müssen.

„Aber es überwiegt der Optimismus“, so Rauhut. „Und die Zuversicht, die Welt im Kleinen etwas zum Guten zu verändern.“ Beim Reinhören erfahren Sie, was Anne Rauhut noch mehr Glücksgefühle vermittelt, als auf dem Golfplatz unter Par zu spielen!

Am Ende geht der Blick über den menschlich-medizinischen Tellerrand hinaus auf die Zukunftsperspektiven der Region, die über „hohe Freizeitqualität, ein großes Kulturangebot du zu wenig Selbstvertrauen“ verfüge. Rauhut: „Die Baustellen sind ja längst bekannt und beschrieben, es bräuchte einen Treiber, der die Dinge voranbringt. Alle 53 Revierbürgermeister müssten sich hinter einer solchen Identifikationsfigur zurücknehmen. Aber ich sehe diese Figur nicht für das Ruhrgebiet.“

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