Deutschland auf Kurs oder in der Krise?

Deutschland auf Kurs oder in der Krise?
Wenig Grund zum Optimismus vor der Wahl – Debatte mit Norbert Winkeljohann und Dieter Nuhr belegt Stimmungstief in der Bevölkerung
Wohin steuert Deutschland? Diese Frage stand im Mittelpunkt einer Diskussion im Bonner Universitätsforum, veranstaltet von der Bonner Akademie für Forschung und Lehre praktischer Politik (BAPP) und der Brost-Akademie. Bereits in seiner Begrüßung umriss Professor Bodo Hombach, Vorstandsvorsitzender der Brost-Stiftung und Präsident der Brost-Akademie, die Unsicherheiten, die viele Bürger aktuell beschäftigen.
Im Verlauf des Abends zeichnete sich eine kritische Bestandsaufnahme ab: „Die MS Deutschland steuert in die Irre, weil der politische Rahmen fehlt“, analysierte Prof. Dr. Norbert Winkeljohann, Aufsichtsratsvorsitzender der Bayer AG, die aktuelle Situation.
Auf Einladung der BAPP und der Brost-Akademie blickte er gemeinsam mit dem Kabarettisten Dieter Nuhr auf die gesellschaftlichen Herausforderungen rund um die bevorstehende Bundestagswahl. Das Publikum im vollbesetzten Bonner Universitätsforum erlebte eine Mischung aus Ernsthaftigkeit und Humor – ein Weckruf, der zugleich Denkanstöße gab.
Wirtschaft unter Druck
Aus Sicht der Wirtschaft mahnte Winkeljohann fehlende Planungssicherheit an, sowie Rahmenbedingungen, die den Wirtschaftsstandort Deutschland gefährdeten: „Nur noch knapp 50 Prozent der Unternehmer sind optimistisch. Den Rest zieht es privat nach Österreich oder in die Schweiz, hier in Deutschland wollen sie nicht mehr investieren.“ Ursachen seien neben hohen Energiepreisen und Bürokratie auch eine nachlassende Leistungsbereitschaft. Winkeljohann: „Wir arbeiten im Jahr 421 Stunden weniger als unsere polnischen Nachbarn. Statt ständig neue Ideen zur Umverteilung zu entwickeln, müssen wir uns vor Augen führen, dass die Sozialsysteme von der Wirtschaft finanziert werden.“
„Die Welle der Auslandsinvestitionen rollt. Schon jetzt sind 500.000 bis eine Million Arbeitsplätze weg.“
— Prof. Dr. Norbert Winkeljohann
Dieter Nuhr kritisierte zudem die politische Entscheidungsfindung und den Einfluss der Medien: „Es fehlt verbreitet an Expertise, die guten Leute gehen in die Wirtschaft, weil dort mehr Geld zu verdienen ist. In der Politik tummeln sich überwiegend Lehrer und Studienabbrecher.“ Gleichzeitig werde der politische Diskurs nicht mehr ausreichend kritisch begleitet: „Die sogenannte vierte Gewalt besteht nicht mehr.“ Vor allem im öffentlich-rechtlichen Rundfunk nehme die Ausgewogenheit ab, eine Reform sei daher notwendig.
Wachstum als Voraussetzung für Stabilität
Zügiges Umsteuern forderte Winkeljohann darüber hinaus in der Wirtschaft ein: „Wir brauchen zwei Prozent Wachstum zur Rentenfinanzierung. Davon sind wir weit entfernt, der Baum brennt richtig!“ Entsprechend drastisch müsse umgesteuert werden, darin waren sich die Diskutanten einig. Der Staat müsse sich ein Stück weit wie ein Wirtschaftsunternehmen begreifen.
Winkeljohann: „Wir müssen den Apparat entschlacken und Schwerpunkte setzen. Ob das nun einer wie Elon Musk organisiert oder ein Gremium.“ Nuhr ergänzte, dass ineffiziente Verwaltungsstrukturen die wirtschaftliche Dynamik weiter ausbremsten: „Wir haben in weiten Teilen völlig ineffiziente Behörden, da funktioniert nichts. Aber das System wird sich nicht von innen heraus verändern, die Mitarbeiter werden sich eher erst mal krankmelden.“
Problemstau ohne Ausweg?
Die Analysen von Nuhr und Winkeljohann decken sich an vielen Punkten mit der von Moderatorin Tanit Koch zitierten aktuellen Studie des Rheingold-Instituts: „Die Stimmung vieler Wählender vor der kommenden Bundestagswahl ist von starken Verlustgefühlen, Sorgen und Enttäuschung über die Politik geprägt. Die Konsequenzen einer stotternden Wirtschaft, fehlgesteuerter Migration und bröckelnder Infrastruktur dringen zunehmend in den Alltag ein und erzeugen das Gefühl, in einem Problemstau ohne Ausweg festzustecken.“
„Spaltung in der Gesellschaft hat es immer gegeben. Früher verlief der Riss zwischen den Generationen, heute zwischen Meinungsblasen. Dabei ist die Differenz zwischen Kritik und Hass verloren gegangen.“
— Dieter Nuhr, Kabarettist und Fotograf
In dieser Gemengelage wachse der Wunsch nach starker Führung und klaren Perspektiven – auch ein Grund für den aktuellen Zuspruch zur AfD. Winkeljohann äußerte sich kritisch zu den aktuellen Entwicklungen, warnte aber zugleich von einer zu nachsichtigen Betrachtung: „Unsere Gesellschaft ist keineswegs gespalten, der Begriff „Brandmauer“ ist an den Haaren herbeigezogen. Wir sollten vernünftig damit umgehen, dass etwa ein Fünftel der Bevölkerung die AfD gut findet.“ Nuhr ergänzte, dass eine Stigmatisierung nicht dazu führen dürfe, dass demokratiefeindliche Positionen salonfähig werden: „Ein Großteil von AfD-Sympathisanten ist nicht so weit vom mitte-rechten Lager weg. Die sollten wir versuchen wieder einzufangen, bevor die AfD am Ende 40 bis 45 Prozent der Stimmen einsammelt.“
Nicht wenige im Saal hätten sich nach der schonungslosen Bestandaufnahme einen etwas optimistischeren Blick in Richtung 23. Februar gewünscht, als Norbert Winkeljohann resümierte: „Es wird verdammt schwer, bis Ostern wieder eine handlungsfähige Regierung zu haben. Wir werden gerade im Ausland belächelt, wie wir ein starkes Land gegen die Wand fahren…“
Die kommenden Monate werden zeigen, ob und wie sich die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland stabilisieren lassen. Die Debatte in Bonn hat verdeutlicht, dass die Unsicherheiten groß sind – ebenso wie die Erwartungen an eine klare politische Führung.