Selbstmächtigkeit statt Selbstzweifel

Selbstmächtigkeit statt Selbstzweifel
Reinhold Messner und Armin Laschet diskutierten auf Einladung der Brost-Stiftung über Motivation durch Widerstände
Im restlos gefüllten „Oktogon“ auf Zeche Zollverein trafen zwei außergewöhnliche Persönlichkeiten aufeinander: Armin Laschet und Reinhold Messner. Unter dem Titel „An Widerständen wachsen“ entwickelte sich zwischen dem früheren CDU-Kanzlerkandidaten und der Bergsteigerlegende ein leidenschaftliches Plädoyer für Mut, Menschlichkeit und eine Kultur des Scheiterns. Die Gäste erlebten einen Abend voller Inspiration und tiefgehender Einsichten in das Leben zweier Menschen, die Herausforderungen als Chance begreifen.
Obwohl beide in sehr unterschiedlichen Lebenswelten unterwegs sind, wiesen die Erzählungen dieser ungewöhnlichen Persönlichkeiten zahlreiche Ähnlichkeiten auf, beginnend mit einer prägenden Vaterfigur. Gleichwohl stellte Armin Laschet den entscheidenden Unterschied heraus: „Scheitern war in meinem Fall nicht so existenziell wie bei Reinhold Messner.“ Während für den gebürtigen Aachener das von den Eltern vorgelebte Engagement für die Gemeinschaft zentrale Motivation war, wollte Messner vor allem die Grenzen menschlicher Leistung ausloten.


Nichts ist unmöglich!?
„Hermann Buhl, der Erstbesteiger des Nanga Parbat, hat das Durchsteigen der Rupal-Wand, der höchste Steilwand der Erde, als unmöglich beschrieben. Mein Bruder und ich haben es trotzdem geschafft.“ Günther Messner kam beim Abstieg ums Leben – bis heute wird sein Bruder Reinhold dafür verantwortlich gemacht. „Im Kampf gegen die Öffentlichkeit habe ich eine Selbstmächtigkeit ohnegleichen erreicht“, beschreibt Reinhold Messner sein persönliches Wachsen am Widerstand. „Ich habe mit aller Radikalität weiter gemacht.“ Übrigens ist er dabei öfter als alle anderen beim Gipfelsturm auf die 14 Achttausender der Welt gescheitert, dreizehnmal nach eigener Darstellung…
„Meine Motivation war immer, das zu schaffen, was andere als unmöglich definiert haben.“
— Reinhold Messner
Armin Laschet trieb eine berufliche Lebenslinie in Wellenform immer wieder zum Weitermachen an: „Es geht immer auf und ab.“ Nach gewonnenem Direktmandat für den Bundestag 1994 verlor er seinen Wahlkreis 1998 bei der Abwahl von Helmut Kohl wieder, nach fünf Jahren als NRW-Minister folgte auf die Wahlpleite 2010 die Niederlage im Kampf um den NRW-Vorsitz. Der Höhepunkt 2017 mit der Wahl zum Ministerpräsidenten ging dem vorläufigen Tiefpunkt bei der Kanzlerkandidatur 2021 voraus. Laschet: „Die Niederlage war denkbar knapp mit 24 zu 26 Prozent. Wäre es 15 zu 30 ausgegangen, hätte ich mich wohl aus der Politik zurückgezogen.“

„Politik funktioniert nicht am Berg“
Im Gespräch mit Journalistin Dagmar Rosenfeld stellten die beiden, nicht nur auf Grundlage gemeinsamer Erfahrungen (von 1999 bis 2004 saßen sie im Europaparlament), den maßgeblichen Unterschied zwischen Politik und Bergsteigen heraus. „In der Politik ist man immer auf Andere angewiesen“, so Laschet. Messners Gegenrede: „Politik funktioniert nicht am Berg. Auf 8000 Metern kann man keinen Kompromiss machen, sondern muss eine Entscheidung treffen und durchsetzen.“ Er betrachtet Laschets Betätigungsfeld dennoch voller Respekt: „Politik ist eine Notwendigkeit, wir brauchen eine funktionierende Demokratie. “ Laschet wiederum betonte die Bedeutung einer Fehlerkultur.
„Wir brauchen eine Kultur des Scheiterns und wieder Aufstehens. Vielleicht klappt es ja dann beim 10. Mal!“
— Armin Laschet
Im Blick zurück und nach vorne forderten Bergsteiger und Politiker mehr Mut zum Scheitern, nur dabei könne man Fehler erkennen und im nächsten Anlauf vermeiden. Im Brost-Projekt „Ruhr Natur“ vermittelt der Extremsportler als Pate den Schülern aus dem Ruhrgebiet beim Besuch in Südtirol dagegen ein „haptisches Naturerlebnis“, bei dem sie sich selbst erfahren können. Kinder aus Essen und Duisburg, die an diesem Austausch teilnehmen, durften Messner und Laschet über Videoschalte die finalen Fragen stellen. Noch bewegt vom gemeinsamen Basteln tibetanischer Gebetsfahnen auf Schloss Juval im Vinschgau wollten sie u.a. wissen, welchen Zukunftswunsch die beiden auf ihre Fahne schreiben würden. Während Laschet „das Gute, was wir haben, bewahren, Europa erhalten und die Kriege beenden“ möchte, wünscht sich Messner: „Empathie muss zunehmen und der Egoismus ab. Gerade ist es leider in allen Ländern Europas umgekehrt.“
Hoffnungsvolle Worte, begleitet von herzlichem Applaus, bildeten den krönenden Abschluss eines inspirierenden Abends – ein Abend, der Mut machte und zeigte, wie Widerstände zu Wachstum führen können.






























Grußwort unseres Vorstandsvorsitzenden, Professor Bodo Hombach
Verehrte, liebe Gäste,
begrüßen Sie bitte mit mir Herrn Ministerpräsident in Ruhe Armin Laschet und die Bergsteigerlegende Reinhold Messner.
Zwei von Gipfeln Angezogene. Oben angekommen lockt der nächste! Der wirkt nahe. Aber
zunächst muss man von einem runter. Man durchquert das Tal. Mit Rückenwind ist es einfach. Am
Gegenwind wächst der Wille.
Wir erleben ein Gipfeltreffen besonderer Art. Im architektonisch spannenden Raum. Auf
oktogonalem Fundament eines Kühlturmes gegründet. Das Achteck hatte magische Bedeutung in
der Antike. Achtstrahlig war der Stern als Urbild der Vollkommenheit. Ein Rendez-Vous von zweien,
die was zu sagen haben. Sich und uns.
Sloterdijk hat mich vor 40Jahren geheißen, einen Gesinnungsaufsatz fürs Suhrkamp-Jubiläumsbuch zu schreiben. Den überschrieb ich: „Denken folgt auf Schwierigkeiten und geht dem Handeln
voraus.“ So schien es mir lange alternativlos. Das Messner-Buch legt nahe: Es geht auch anders.
„Denken sucht Schwierigkeiten und geht dem Handeln voraus.“
Der renommierten und vielfach bewährten Co-Herausgeberin von The Pioneer, Dagmar Rosenfeld,
ein herzliches Willkommen und Dank. Sie wird uns die Gipfelstürmer verstehen helfen. Beide haben
sich selbst herausgefordert.
Einer hat mit der physikalischen Gravitation gerungen. In dünner Luft, an Gletscherspalten, unter
Steinschlag und Wettersturz. Wir ahnen mit Ehrfurcht, wie mühevoll die letzten Schritte vor dem
vereisten Gipfel sind. Der andere im zeit- und pausenfrei inszenierten Schaukampf an der medialen
Steilwand unter spöttischem Hohn von Gegner und Parteifreund, in blockierter Gesellschaft, im
Eiswind digital sezierender Debatten und dem Lawinenabgang journalistischer Treibjagden.
Beide – das nehme ich an – haben etwas gemeinsam. Sie hatten früh den besonderen Blick. Nicht
begrenzt auf die Verhältnisse ihres Ortes und Milieus. Nicht auf behagliches Dasein in
ausgetretenen Wegen! Beide fokussierten ferne Gipfel. Die lagen in der Sonne, wenn unten alles
im Nebel dämmerte. Das war eine riskante Verlockung.
Es gab Umwege, Sackgassen, Schrammen, Narben für immer. Reinhold Messner und Armin
Laschet wissen das aus Erfahrung. Beide wurden im Gegenwind nicht verweht. Sie belegen: Aus
Herausforderungen kann transformative Kraft entstehen. Aus Widerständen werden Chancen.
Die Welt ist eine Nummer zu groß für die Sehnsucht des Menschen. Wir lernen eher aus Irrtümern
als aus scheinbarer Wahrheit. Der Krieg galt einst als simpelstes Mittel der Bereicherung. Nun
erfahren wir: Er ist zum Verlustgeschäft geworden. Für alle!
Elias Canetti provozierte „Am meisten missfallen mir Gedanken, wenn sie sich zu bald als richtig
herausstellen.“ Bewegungsenergie kommt nicht aus Selbstzufriedenheit, sondern aus Zweifel und
Wille. Die Welt braucht nicht unsere Wut! Zorn darf es gelegentlich sein. Der wird zu Unrecht
unterbewertet.
Papst Gregor der Große wusste schon im 7. Jahrhundert: „Die Vernunft kann sich mit größerer
Wucht dem Bösen entgegenstellen, wenn der Zorn ihr dienstbar zur Hand geht.“ Freiheit erkämpfen
ist oft Grenzverletzung. Der politische Weltbürger muss auch mal das Land Utopia bereisen. Wer
davor erschrickt, hat nicht begriffen.
Herr Laschet weiß: In der Politik muss man zuspitzen, sonst wird man nicht gehört. Man muss aber
auch erklären, sonst wird man nicht verstanden. Beides muss man können. „Wir haben das
Nebeneinander organisiert“, sagte Willy Brandt, „und werden das Miteinander zu lernen haben.“
Ich denke, der Bergsteiger kann zustimmen. In der Seilschaft ist das Miteinander lebenswichtig.
Der Kraftmeier, der gegen den Berg anrennt, vergeudet sich selbst und die Welt ringsum. Reinhold
Messner weiß um die Verletzlichkeit dieser scheinbar so rauen Welt. Mit geballter Erfahrung und
unruhiger Geduld kämpft er für den Erhalt ihrer Unverfügbarkeit.
Liebe Gäste, das alles ist nichts für zarte Gemüter und nicht fürs Poesiealbum. Dieses Gipfeltreffen
zwischen den Welten kultet nicht um Helden. Beide könnten von sich sagen, was Conrad Ferdinand
Meyer im Epos „Huttens letzte Tage“ seinem Helden in den Mund legt: „Ich bin kein ausgeklügelt
Buch. Ich bin ein Mensch mit seinem Widerspruch.“
Schon als ich diesen interessanten Saal betreten habe, wusste ich: Ich werde klüger gehen, als ich
gekommen bin. Dafür vorauseilenden Dank.
Frau Rosenfeld, bitte übernehmen Sie.