Rückkehr ins Leben für die Opfer!?
Rückkehr ins Leben für die Opfer!?
Brost-Akademie löst bei der Vorstellung des Buches „Wir haben lebenslänglich“ eine eindringliche Diskussion unter Experten aus
„Wir haben in Deutschland 45 Regierungsbeauftragte, warum keinen für den Opferschutz?“ Anhaltender Beifall aus dem voll besetzten Saal begleitete die Frage des ehemaligen Verfassungsrichters und saarländischen Ministerpräsidenten Peter Müller auf dem Podium des Erich Brost-Pavillons. Die Diskussion der Experten anlässlich der Vorstellung des Buches „Wir haben lebenslänglich – Kriminalität aus der Opferperspektive“ hatte bis dahin die Relevanz und Dringlichkeit der Forderung mehr als belegt.
Neben Müller beleuchteten Dr. Patrick Liesching, stellvertretender Bundesvorsitzender des Weißen Rings, Prof. Dr. Dorothee Dienstbühl, Mitherausgeberin des Bandes und Professorin an der Hochschule der Polizei des Landes Brandenburg, sowie Tina Bommert, Dienstgruppenleiterin beim Kriminaldauerdienst des Polizeipräsidiums Essen, die Perspektive der Menschen, die ein an die Grenzen belasteter Rechtsstaat nicht schützen konnte.
„Es ist nicht die Frage, mit welchen Worten Opferschutz beschrieben wird, sondern welche Taten diesen Worten folgen.“
— Thomas Kufen, Oberbürgermeister von Essen als Gastredner
„Wenn Menschen zum Opfer von Kriminalität werden, verändert sich ihr Leben. Je nachdem, wie schwerwiegend und andauernd das Opfererleben ist, führt es unter Umständen dazu, dass das Leben nie mehr so sein wird, wie zuvor.“ Unter dieser Präambel gibt Band 7 der Brost-Bibliothek, herausgegeben von Bodo Hombach, Frank Richter und Dorothee Dienstbühl, denen eine Stimme, die nicht nur in der öffentlichen Wahrnehmung von Straftaten zu wenig Zuwendung finden. „Du Opfer“ ist unter Jugendlichen inzwischen sogar zu einem vielfach verwendeten Schimpfwort geworden!
Unfassbar hohes Dunkelfeld
Dabei zerstören Verbrecher oft nicht nur die Persönlichkeiten der von ihnen materiell oder körperlich geschädigten Menschen. Vielfach werden beispielsweise Senioren völlig aus der Lebensbahn geworfen, ziehen sich aus Scham zurück. „Das Dunkelfeld bei den sogenannten Enkeltrick-Betrügern ist unfassbar hoch“, berichtet Kriminalhauptkommissarin Tina Bommert aus ihrem Alltag in Essen. „Vielfach zeigen die Opfer die Tat nicht an, weil sie Sanktionen aus der Familie befürchten. Etwa die Einweisung in ein Heim, mit der Begründung, man käme ja erkennbar nicht mehr allein zurecht.“
Nicht nur die Schilderungen von Bommert sind bedrückend, Dorothee Dienstbühl beschreibt aus eigenem Erleben die erniedrigende Behandlung eines Stalking-Opfers vor Gericht. Ungläubiges Kopfschütteln unter den Zuhörern, als Patrick Liesching am Beispiel Stalking die teilweise unzureichende Gesetzeskenntnis von Staatsanwälten enthüllt. „Bestimmte Sachverhalte genügen für einen Haftbefehl. Das wissen viele Staatsanwälte leider nicht“, erklärte der Präsident des Amtsgerichts Fulda und frühere Leitende Oberstaatsanwalt.
Einsatz von Fußfesseln
Neben der Forderung nach einer verbesserten juristischen Ausbildung gab es zahlreiche Impulse für nachhaltigeren Opferschutz. Peter Müller regte den Einsatz von Fußfesseln, etwa bei Kontaktverbot nach häuslicher Gewalt, an und forderte eine bessere Verteilung von staatlich verhängten Geldbußen zu Gunsten der Opfer. „Bisher erhält der Weiße Ring gerade einmal zehn Prozent.“
Für Tina Bommert steht die Organisation von Begegnung für Verbrechensopfer im Vordergrund: „Die Menschen brauchen den Austausch, die Erfahrung, dass sie nicht das einzige Opfer sind. Betroffene können sich so gegenseitig stärken.“
Eine Möglichkeit zum vertieften Umgang mit der Opferperspektive hat Dorothee Dienstbühl bereits geschaffen. Den Podcast „Raus aus dem Lebenslänglich“ finden Sie überall, wo es Podcast gibt…
…und wenn das Problem Sie persönlich nicht mehr loslässt, lädt Patrick Liesching zum Mitmachen ein: „Jeder kann etwas tun, indem er Mitglied im Weißen Ring wird. Wir sind rund 40.000 und können den Belangen der Opfer Gehör verschaffen. Es sind auch alle herzlich willkommen, die sich ehrenamtlich engagieren wollen.“
Das Buch „Wir haben lebenslänglich“ ist als Band 7 der Brost-Bibliothek im Tectum Verlag erschienen. ISBN 978-3-68900-095-0