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Zwischen „Staatsfunk“ und Staatsferne

Bei der Debatte um die Zukunft des Qualitätsjournalismus standen die öffentlich-rechtlichen Sender im Fokus

„Unabhängigkeit!“
Sollten Sie es beim Lesen dieses Textes eilig haben, nehmen Sie dieses eine Wort als Quintessenz des Abends mit. Vielleicht noch mit der dazugehörigen Frage, die Medienunternehmer Gabor Steingart zur eingangs zitierten Antwort angeregt hatte: „Was kennzeichnet Qualitätsjournalismus?“
Jetzt sind Sie noch nicht ganz bei der durchschnittlichen Lesezeit (100 Sekunden!) angelangt, die ein Nutzer nach aktuellen wissenschaftlichen Untersuchungen für einen Onlinetext aufwendet…
Mit diesen und ähnlichen Zahlen und Fakten befeuerte Kommunikationswissenschaftler Prof. Dr. Haarkötter als Moderator eine unterhaltsame Debatte in der Mülheimer Stadthalle, an der sich neben Steingart noch RBB-Intendantin Ulrike Demmer sowie Nathanael Liminski, NRW-Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten, Internationales und Medien beteiligten.

„Guter Journalismus ist kein Selbstläufer. Es ist ein Irrglaube, er sei einfach so vom Himmel gefallen.“

— Nathanael Liminski, Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten, Internationales sowie Medien des Landes Nordrhein-Westfalen und Chef der Staatskanzlei

Hinterfragt wurde, auf Einladung der Brost-Stiftung, die selbst ernannte „vierte Gewalt im Staat“ und damit verbunden das Rollenverständnis von Qualitätsjournalismus. Dessen Förderung gehört zu den aktuellen Schwerpunkten der Stiftungsarbeit, es war bereits die zweite Diskussionsrunde zu diesem Thema.

 

Zu einem, wie Liminski betonte, perfekt gewählten Zeitpunkt. „Man kann nicht über Journalismus reden, ohne auf Solingen, Sachsen und Thüringen zu schauen“, so der CDU-Politiker. Hass und Hetze in den Medien tragen zur Radikalisierung bei, viele Menschen seien durch „Vergiftung und Informationslärm“ erschöpft. „Dramatische Folge ist die völlige Verweigerung von Nachrichten, die sogenannte „news avoidance“. Jeder von uns kennt doch aus dem Freundes- oder Bekanntenkreis Menschen, die sagen: Ich schaue mir das alles gar nicht mehr an!“

 

Hier sei guter Journalismus gefragt, in dem der öffentlich-rechtliche Rundfunk eine wichtige Rolle spiele. „Dazu braucht es aber mehr Pluralität, die in den Redaktionen anfangen muss. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss sich neu erfinden.“ Damit war die Konfrontationslinie zu Ulrike Demmer erst einmal definiert…

„Eine aktuelle Studie belegt, dass uns 75 Prozent der Zuschauer vertrauen. Zwischen öffentlicher Meinung und veröffentlichter Meinung besteht offensichtlich ein Unterschied.“

— Ulrike Demmer, Intendantin des Rundfunk Berlin-Brandenburg

„Wenn es den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht gäbe, müssten wir ihn erfinden. Kaum ein Medium verfügt über derart hohe Glaubwürdigkeit und Relevanz“, so die frühere stellvertretende Regierungssprecherin. Kritik an Rundfunkanstalten als „Staatsfunk“ diene am Ende nur dazu, „die Demokratie zu diskreditieren.“
Einig zeigten sich Demmer und Liminski in der Bewertung, dass die öffentlich-rechtlichen Sender dem Verfassungsgebot der „Staatsferne“ Rechnung trügen. Damit war dann auch die Frontlinie zu Steingart formuliert! „Man kann ja nur schwer von Staatsferne sprechen, wenn der Staat für Milliardeneinnahmen an Gebühren sorgt. Außerdem sitzen Hundertschaften von Politikern in den Aufsichtsräten“, so der Gründer von „The Pioneer“. Nicht nur die ökonomischen Abhängigkeiten verlangten nach einer Reform, die jüngeren Menschen hätten längst „mit den Füßen abgestimmt“. Steingart: „Meine Kinder vermeiden das öffentlich-rechtliche Fernsehen, weil es zu eintönig und zu einfältig ist.“

„Im Kampf gegen Rechts ist einiges schief gelaufen. Der Journalist ist nicht dazu da, diesen Kampf zu kämpfen.“

— Gabor Steingart, Journalist, Autor und Medienunternehmer

Gleichwohl erschöpfte sich die Debatte nicht in Schuldzuweisungen an die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten, auch in den übrigen Medien seien nicht wenige Journalisten „falsch abgebogen“ (Steingart). Vielfach getrieben von Klickraten, so Demmer. „Die Messbarkeit ist ein wirkliches Übel.“
Konsens gab es am Ende bei der Betrachtung der Zukunftsperspektive des Journalismus. „Eine pluralistische Gesellschaft bringt immer neue Medienformen hervor“, glaubt Steingart. Wenn sich der „Qualitätsjournalismus“ an „Qualität“ orientiere, werde er seine gesellschaftliche Rolle und Funktion erhalten, so Liminski. „Die gute Nachricht ist, dass wir in NRW immer noch sehr viel Wettbewerb zwischen den Medienhäusern und somit große Vielfalt im Angebot haben.“
Während Steingart, siehe oben, ein übergreifendes Gütekriterium zur Beschreibung von Qualitätsjournalismus reicht, muss der gute Reporter aus Sicht von Demmer „sagen was ist!“

 

 

P.S. Die Nutzungsdauer von spiegel.de, einem der am meisten geklickten journalistischen Medium in Deutschland, liegt bei 9 Minuten pro User – im Monat!

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Grußwort des Vorsitzenden des Vorstands der Brost-Stiftung, Prof. Bodo Hombach

Unser Thema ist von hoher Relevanz. Dass nicht nur argumentationsarme Politik intellektuelle Obdachlosigkeit und organisatorische Verwaisung verursachen kann, wissen wir. Kritisches Verstehen des ungehorsamen Wählers braucht auch Selbstkritik im Medienlager – kein Moralspektakel oder Wählerverdrossenheit. Das neue Brost-Buch „Mission Wahrheit“ bringt uns erneut zusammen. Dessen Autorenliste ist spektakulär. Unsere großartigen Gäste sind dabei. Auch in Ihrem Namen begrüße ich sehr herzlich: Frau Ulrike Demmer, Intendantin des ARD-Senders Berlin-Brandenburg, Herr Nathanael Liminski, Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten, Internationales und Medien des Landes Nordrhein-Westfalen und Herr Gabor Steingart, Journalist und Medienunternehmer, Herr Prof. Dr. Hektor Haarkötter wird dafür sorgen, dass es übersichtlich zugeht. Seine „Initiative Nachrichtenaufklärung“ kürt jedes Jahr die Top Ten der vergessenen Nachrichten. „Vergessene Nachrichten“.

Ein schönes Stichwort. Christian Morgenstern gab sich erstaunt. Offenbar passiert in der Welt genau so viel wie in die Zeitung passt. Auf der letzten Seite seiner Zeitung gäbe es unten rechts nie eine freie Fläche. Tatsächlich ist mehr drin als passiert. Ereignissen wird Meinung und Deutung beigefügt. Dringend scheinende, uns häufig bedrängende Botschaften werden aufgesattelt. Eigentlich kein Problem. Jedes Medium siedelt eben in seinem weltanschaulichen Lager. Allerdings: Journalisten, die von sich selbst so überzeugt sind, dass ihm abwägendes Denken, Toleranz und Diplomatie als Verrat gelten sind Fälle für den Verbraucherschutz. Man sollte ihre Artikel, Sendungen oder Moderationen mit dem Bio-Siegel: „Stramm parteilich“ auszeichnen. Eine erwägenswerte Lösung. Vielfältige und meinungsmutige Presse - aber nur und unbedingt – mit offenem Visier - ermöglicht eine offene Gesellschaft. Jürgen Habermas hat das erklärt: Öffentlichkeit entsteht, wenn Bürger sie einfordern. Sie ist kein vorhandener Raum, der auf Besiedlung wartet. Demokratische Mehrheiten müssen sich in ihr wieder finden. Dann hat die Macht der Regenten ein Gegenüber. Nicht die Presse selbst ist „vierte Gewalt“ im Staat. Es ist die Öffentlichkeit sofern sie sich in freien Medien erkennen und artikulieren kann. Die „res publica“, muss kommuniziert werden. Interessen werden im „Für und Wider“ ausgehandelt. Verlautbarungen von oben nach unten haben sich strenger Kontrolle und Kritik zu stellen. Es gibt Medien-Vertreter die anfangen, die öffentliche Angelegenheit in die eigene Hand zu nehmen. Sie verengen Öffentlichkeit nach ihrem Bilde. Einige haben sich gleichgeschaltet. Das weckt Widerstände. Es polarisiert. Sozialpsychologen beschreiben ein anschwellendes Phänomen: Aus Unverstanden sein - und Entfremdung entwickelt sich „Reaktanz“. Reaktanz will eingeengte oder eliminierte Freiheitsspielräume und Ausdrucks-möglichkeiten zurückgewinnen. Sie wertet bedrohte oder verlorene Alternativen reflexartig auf. Reaktanz erfasst auch jene, die sich in ideologisch „betreuter Gesellschaft“ nicht wohl fühlen. Die fühlen sich wie in einem kratzigen Pullover. Die wollen sich durch Gängelung, plumpe Beeinflussung und unzureichend begründbare Verbote nicht verbiegen zu lassen. Dass die nicht falsch abbiegen, ist demokratische Aufgabe. Aber: Moralisch-ideologische Lautsprecher erreichen anschwellend nicht Gefolgschaft, sondern trotzige Distanz und Gegenbewegung. Auch Gutwillige winken ab und zeigen journalistischen Influenzern den bösen Finger.

In meiner Vergangenheit als Wahlkämpfer war der „bandwagon-Effekt“ ein nutzbares Rezept. Das setzte auf den Wunsch, sich dem Etablierten und der traditionellen Mehrheit anzuschließen. Der Unsichere wollte nicht noch einsam sein. Heute würde ich Reaktanz als wirkmächtiger sehen. Sie ist ein plausibler Reflex. Der kann emanzipatorisch sein.

Er wird aber von Systemgegnern missbraucht. Freiheit im Blut“ ist nicht Geburtsrecht. Wer nicht wissen, sondern glauben soll, muss immer heftiger glauben. Die Realität kommt ihm nämlich ständig in die Quere. Die alten Griechen warnten sehr vor der Tragödie der Hybris. Auf jeder Seite meines Geschichtsbuches gibt es Beispiele für eine daraus resultierende Chaosspirale. Hitzköpfe haben uns längst von der Nachkriegszeit in die Vorkriegszeit politisiert, geschrieben und gesendet. Mögliche Schnittmengen und Spielräume werden nicht gesucht. Auch aufgeregte Journalisten vertiefen Gräben. Wenn die breite Akzeptanz der Presse leidet, leidet die Demokratie. Wokes Denken ist im öffentlichen Sprech recht dominant. Dessen Exponenten gebärden sich gern selbstgefällig. Etliche frühere Oppositions-Gene mutierten zum Anpassung- und Konformitätsdruck. Verdächtig ist, was im Mainstream nicht mitschwimmt. Die sich Selbstguten sind nicht gut mit anderen. Die vorhandenen, unaufgeregten aufklärerischen Medien sind konstitutiv für die Demokratie. Journalisten können und sollen enthüllen, was Macht und Mächtige verbergen wollen. Das diszipliniert deren Verhalten. Einer guten Sache kann man freilich Schaden zufügen, wenn man schlechte Mittel einsetzt. Intentionaler Journalismus, Skandalisierung, Kampagnen und Verkündigungseifer beschädigen die reinigende Wirkung nötiger Berichterstattung.

Sollte sich der Enthüller desavouieren reibt sich der Enthüllte die Hände. Werthaltiger Journalismus ist kritisch und muss auch selbstkritisch sein.

Glaubwürdigkeit ist sein Kapital. Natürlich kann man Journalisten die persönliche Überzeugung nicht nehmen. Wenn aber alle die gleiche haben, haben wir ein Problem.
In unserer Welt sollen Bürgerinnen und Bürger ihre Zukunft frei wählen können. Das geht, wenn sie möglichst wahrheitsgetreu informiert sind. Die eigene Entmachtung wählen wenige aus freien Stücken. Realitätsnahe Abbildung und Interpretation – nicht Appell ist Journalismus. Manipulieren, indoktrinieren oder determinieren will kollektivieren. Dabei zerbröselt individuelle Verantwortungsbereitschaft. Hölderlin lebte auch in unruhigen Zeiten. Als eine Art Resilienz-Training zitiere ich gerne seinen fidel trotzigen Optimismus: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“. Dazu braucht es Kenner und Könnerinnen. Gut, dass es die - und deren gut gemachten Journalismus noch gibt.

Wir haben die Guten auch heute bei uns.
Verehrte Gäste!
Ich will mein Privileg, Sie begrüßen zu dürfen nicht weiter strapazieren. Ich übergebe das Wort – nein, alle folgenden Wörter – an unser großartiges Podium.
Wir werden diesen Saal klüger verlassen, als wir ihn betreten haben.
Dafür vorauseilenden Dank.