Silicon Valley für die Energiewende
Silicon Valley für die Energiewende
Debatte zeigt: Partnerschaft mit den Niederlanden eröffnet Zukunftsoptionen für das Ruhrgebiet
Der Abend war eigentlich eingerahmt von Optimismus. Zur Begrüßung beschrieb Professor Bodo Hombach, Vorsitzender des Vorstandes der Brost-Stiftung, eben diese Lebenseinstellung als „Haltung, die zu kreativen Lösungen aktueller Probleme motiviert“. Mona Neubaur, Ministerin für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen, ergänzte im Eingangsvortrag: „In Krisenzeiten ist Optimismus ein Zeichen der Stärke.“ Und am Ende verabschiedete sich Moderator Michael Hirz (Phoenix) mit dem Hinweis, er gehe jetzt „optimistisch nach Hause“, vom Publikum im RWE Pavillon der Essener Philharmonie.
Zwischendrin belegte die lebhafte Debatte zum Thema „Die Niederlande in Nordrhein-Westfalen“ allerdings: Für Optimisten herrschen gerade schwierige Zeiten! „Wir sitzen hier zusammen und diskutieren, während der Iran Israel mit Raketen angreift“, so Mona Neubaur. „Erfolgreiche Zusammenarbeit ist nicht länger von naiven RomantikerInnen geprägt.“
Investitionen schaffen neue Arbeitsplätze
Das im Anschluss von Prof. Dr. Christoph M. Schmidt, Präsident des RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung, vorgetragene Zahlenwerk zeichnete ebenfalls ein eher düsteres Zukunftsbild. „Seit 2019 sind die Wachstumserwartungen negativ“, so Schmidt. „Die Tendenz ausländischer Investitionen in Deutschland nimmt immer mehr ab, die Wirtschaftsleistung geht inhärent zurück. Dieser negative Trend trifft auch für das Ruhrgebiet zu!“ Er stellte erstmals Zahlen aus dem Projekt „Das Ruhrgebiet als Ziel ausländischer Direktinvestitionen“ vor, in dem das RWI im Auftrag der Brost-Akademie ausländische Direktinvestitionen im Ruhrgebiet untersucht, mit Fokus auf die Investitionen, die aus den Niederlanden getätigt werden.
Und da wurde es dann doch wieder heller am Horizont. Mit etwa einem Fünftel aller Investitionen sind die Niederlande der stärkste Partner der NRW-Wirtschaft. „Zehn Prozent aller hier geschaffenen neuen Arbeitsplätze entstehen durch Investitionen aus den Niederlanden“, ergänzte Neubaur. Zum Beispiel durch André Jurres, Gründer und Geschäftsführer von VoltH2. „Die Politik in NRW fördert innovative Investitionen“, so der niederländische Unternehmer. Er hat gerade einen Förderbescheid über 70 Millionen Euro erhalten für den Bau von zwei Anlagen zur Erzeugung von grünem Wasserstoff in Essen und Gelsenkirchen. „Es wird aber zwei bis drei Jahre dauern, bis man wirklich etwas sehen kann.“
Wenig Rendite gleich wenig Investitionen
Sein wichtigstes Argument zum Durchhalten bei der Energiewende: „Wir geben aktuell über 250 Milliarden Euro für den Import von Gas, Öl und Steinkohle aus, in Ländern, die jetzt damit Krieg führen.“
Für Otto Fricke, MdB und haushaltspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, reicht Geduld allein nicht für eine Trendwende am Wirtschaftsstandort Deutschland. „Wir sehen gerade im Ruhrgebiet, dass es so gut wie keine Investoren aus den USA gibt. Das hat einen einfachen Grund: Hier sind die Renditeerwartungen zu gering.“
Bürokratie und hohe Steuern, begleitet von einem negativen demographischen Wandel, Fachkräftemangel und langsame Genehmigungsverfahren machten den Standort unattraktiv – darin zeigten sich die Diskussionsteilnehmenden einig. In der Weichenstellung für die Zukunft waren freilich deutliche Unterschiede zwischen Politik, Wirtschaftsforschung und Praxis wahrnehmbar. Neubaur und Fricke spannten den Bogen zwischen „Entrümplung von Bürokratie“ oder „Wiederfinden von Leistungsorientierung“. Während Schmidt auf den Pragmatismus anderer Länder verwies: „Die USA regeln das mit weniger Subventionen sehr praktisch über die Steuern und Abgaben. Sie versprechen den Unternehmen: Ihr dürft mehr von eurer Rendite behalten, wenn ihr in grüne Projekte Investiert.“
Für den visionären Macher Jurres sind die USA weniger Vorbild, er hat einen klaren Plan für Europa. „Die Zukunft liegt in wirtschaftlich starken Regionen, ohne Beachtung von Landesgrenzen. Wir sollten uns am Beispiel von Silicon Valley orientieren und die Frage stellen: In welchem Bereich wollen wir künftig wirtschaftlich stark sein? In NRW und den Niederlanden kann das Zentrum der Energiewende des 21. Jahrhunderts entstehen!“
Wenn das kein Grund zum Optimismus ist…
Nachbarn & Partner
Brost-Stiftung und -Akademie fördern seit Jahren Projekte zur besseren Nachbarschaft mit den Niederlanden. Neben einem Schüleraustauschprogramm wurde im letzten Jahr das „Zukunftsforum NRW – Niederlande“ ins Leben gerufen, bei dem hochkarätige Teilnehmer aus Wirtschaft und Politik sich über die drängenden Zukunftsfragen austauschen. In diesem Jahr findet die Fortsetzung im November in Noordwijk statt.
Auch im Bereich Kultur setzte ein Brost-Projekt Maßstäbe. Zur Musik von Till Brönner führte eine Dance Company aus Amsterdam vor mehrfach ausverkauftem Saal im Schauspielhaus Bochum die Tanzperformance „Pulse!“ mit Szenen aus dem Leben des Ruhrgebietes auf.
Grußwort von Prof. Bodo Hombach, Vorsitzender des Vorstands der Brost-Stiftung
Verehrte Gäste,
es geht um Konkretes - also Relevantes. Ein Vorspruch soll davon nichts vorwegnehmen. Dafür haben wir großartige Gäste. Ich begrüße auch in Ihrem Namen sehr herzlich:
Frau Ministerin und stellvertretende Ministerpräsidentin Mona Neubaur, Herrn MdB Otto Fricke, Herrn Geschäftsführer André Jurres, Herrn Prof. Dr. Christoph M. Schmidt.
Der Moderator Herr Michael Hirz vom Sender Phönix - das ist der Sender, der die Gebühren rechtfertigt - wird unsere wunderbaren, kompetenten und erfahrenen Gäste gleich protokollgerecht vorstellen.
An der holländischen Küste gab es im letzten Jahr ein spannendes Treffen. Da wurde auf Fortsetzung gedrängt. Kooperative Nachbarschaft ist vitale Notwendigkeit. Den Austausch von Kenntnissen, Einschätzungen und Ideen sollen wechselnde Parteienbünde nicht blockieren. Die regelbasierte Weltordnung ist nicht mehr gefestigte Errungenschaft. Sie ist wieder einmal „Wille und Vorstellung“. In der Nachkriegszeit eingeschlafen sind wir in der Vorkriegszeit aufgewacht. Mit Nachbarn in vergleichbarer Lage gilt es, diese zu sondieren. Die gemeinsame Schrittweite ist auf Augenhöhe mit Respekt zu sortieren.
Europäisches Zusammenwachsen braucht funktionierende Regionen. Zwischen Nordrhein-Westfalen und den Niederlanden ist Grenze nur noch Theorie. Man ist einander so nah, dass
man sich fast vernachlässigt. Aber auch dann braucht Diplomatie nicht Brechstange, sondern Fingerspitze. Menschliche Hybris war für die alten Griechen Ursache für jedes Übel.
Kürzlich beim Brost-Tag habe ich aus Tucholsky Essay „Die Dämmerung“ zitiert: „Die Leute gehen täglich ihren Geschäften nach, machen Verordnungen und durchbrechen sie, halten Feste ab und tanzen, heiraten und lesen Bücher – aber es rumort in der Tiefe, und der Boden schwankt leise.“ Schwere wirtschaftliche, soziale und außenpolitische Verwerfungen können wir nicht übersehen. Gesellschaftliche Aufsplitterung ist Folge und Ursache zugleich. Das ist menschengemacht, mit Wahrscheinlichkeit zur Eskalation. Fast 2000 Jahre hatten wir zu viel Geschichte für zu wenig Geografie. Die Vereinigten Niederlande waren die ersten in Europa, die sich von ideologischer Fremdherrschaft befreiten. Die haben mal den Deich durchstoßen und die spanischen Belagerer unter Wasser gesetzt. Das Rot-Weiß-Blau war übrigens die erste „Dreifarben“-Flagge der Geschichte. Die stand für erkämpfte Freiheit. Daraus machte die Französische Revolution ihre „Trikolore“. Aber wichtiger, sie verwirklichten als erste die Zivilgesellschaft. Rembrandts „Nachtwache“ zeigt uns Bürgerstolz. Der maß sich am Einsatz fürs allgemeine Wohl.
Unser Partnerland hat die älteste Nationalhymne der Welt. Zwischen 1568 und 1572 hat deren Autor Valerius als erste Zeile geschrieben: „Wilhelmus von Nassauen bin ich aus deutschem Blut“. Der freilaufende Holländer cancelt offenbar keine Strophe. Er nimmt sich ein Stück Meer, zäunt es ein und pumpt es aus. Irgendwann ist die Fläche nutzbar. Er sät Gras, das die Kühe fressen. Deren Milch verwandelt er in guten Käse. Und ganz nebenbei hat er auch noch Europa vergrößert. Vielleicht ist das ein gutes Motto. Wir üben uns in Polderwirtschaft. Wer das Meer und die Natur beherrschen muss, vergeudet keine Energie an Besserwisserei oder Imponiergehabe. Weltuntergangs-Wiedergänger betrachten wirkende Problemlösung als „geschäftsschädigendes Verhalten“.
Mit kleinen Beiträgen zur Vermeidung von Kipppunkten kann privates und wirtschaftliches Engagement dagegenhalten. In jedem guten praktischen und pragmatischen Entscheidungs-träger steckt auch ein Holländer. Der hat wenig Lust auf kriegerische Methoden. Der eignet sich vor allem nicht zum Apokalyptiker. Gegen die hat Martin Luther vehement gepredigt: „Auch wenn ich wüsste, dass morgen die Welt untergeht, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.“ Das klingt naiv - ist aber das allzeit bewährte, optimistische: „Jetzt erst recht“. Das ist kein verblasenes Gefühl, nicht Pfeifen im Wald. Es ist eine Haltung, die zur kreativen Lösung aktueller Probleme motiviert.
Eine Gesellschaft, die erwartet, dass die Zukunft besser wird, fällt nicht in frivole Passivität.
Sie investiert in die Zukunft, durch Befähigung zu nützlicher Arbeit, in Bildung und Wissenschaft oder technologischen Fortschritt. Optimismus trägt zu einem positiven mentalen Umfeld bei. Das fördert nicht nur individuelles Wohlbefinden, sondern auch die psychische Verfassung der Gesellschaft. Das stärkt die kollektive Resilienz.
Optimistische Menschen neigen dazu, an das Gute in anderen zu glauben. Das fördert Vertrauen und Solidarität. Das befördert intensiven Grenz-„Verkehr“. Da spürt man den gegenseitigen Stoffwechsel nicht nur bei Matjes und Gouda. Da geht es auch um Wasserstoff, Stahl und Wissen. Die Niederlande sind bedeutender Wirtschaftspartner unseres Bundeslandes. Als moderne Industriegesellschaft haben wir die meisten Probleme gemeinsam. Viele davon sind „Sachen“, und damit pragmatisch zu behandeln. Manche sind „Ansichtssachen“. Sie entstehen im Kopf. Wem das gut Gemachte mehr als das gut Gemeinte zählt, sucht nach Lösungen, schwadroniert nicht vom „die Welt“ retten, sondern fragt: „Wo tut’s weh?“ und „Was machen wir jetzt und hier?“.
So kennen und schätzen wir die Trägerin des Brost-Preises 2023. Wir freuen uns auf Frau Mona Neubaur, Landesministerin für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie.
Ich danke ihr und allen im Voraus für kluge Beiträge und kluges Zuhören. Ich bin sicher, wir werden in anderthalb Stunden klüger gehen, als wir gekommen sind.