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Rosa Karte für Schwalben!

Nicht nur mit diesem Vorschlag sorgte Rüdiger Abramczik als Gast bei „Heimat Ruhr“ für beste Unterhaltung

Es war ein klassisches Heimspiel auf fremdem Platz! Schalke-Legende Rüdiger Abramczik zu Gast bei Schalke-Fan Peter Lohmeyer – und das vom Bochumer Künstler Marcus Kiel wiederbelebte Ladenlokal in der Essener Rathaus Galerie fest in königsblauer Hand. Zumindest waren an der für das Publikum zur Abstimmung präparierten Wand hinter „Schalke 04“ etwa dreimal so viele Striche wie hinter dem bei Lüdenscheid gelegenen Nachbarverein…
Die Brost-Stiftung und Lohmeyer hatten erneut zu einer einzigartigen Mischung aus abendlicher Gesprächsrunde und kreativem Kunstprozess eingeladen. Die dritte Veranstaltung der Reihe „Heimat Ruhr – vor Ort mit Peter Lohmeyer“ sollte diesmal das Feld „Fußballheimat Ruhrgebiet“ bespielen – mit dabei auf dem rhetorischen Rasen Bundesliga-Schiedsrichterin Annika Kost.

Fusion von Dortmund und Schalke?

Den fulminanten Anstoß machte dabei unerwartet ein bekennender Fußball-Laie: Professor Bodo Hombach, Vorstandsvorsitzender der Brost-Stiftung. Neben dem für viele Gäste unfassbaren Geständnis, sowohl bei Schalke 04 als auch Borussia Dortmund Mitglied zu sein, erzählte er von einem Fantreffen beider Klubs im Rahmen einer ökumenischen Initiative. Mit einem pragmatischen Vorschlag seinerseits, der ihn an den Rand der ewigen Verdammnis brachte: „Ich habe die aufgebrachten Menschen gefragt, wie die beiden Klubs in der aktuellen Saison denn gegen Bayern München abgeschnitten hätten. Und, nicht ganz ernst gemeint, ob nicht einzig eine Fusion beider Vereine das Meisterschafts-Abo der Münchner bedrohen könnte.“ Damit hatte er zumindest in den Augen des anwesenden Schalke-Pfarrers den Anspruch für ein Begräbnis auf dem Schalker Friedhof verwirkt…
…wo Flankengott Rüdiger „Abi“ Abramczik irgendwann einmal unter einer Grabplatte mit der Nr. 7 seine ewige Ruhe finden will. Bis dahin begeistert Abi hoffentlich noch viele Menschen mit Anekdoten aus dem legendären wilden Fußball-Westen. Auch an diesem Abend in Essen kamen perfekte Steilvorlagen zum Lachen und Erinnern, aber auch zur Diskussion über aktuelle Auswüchse im Profifußball.

Harte Väter, harte Zeiten

Den roten Faden des launigen Gesprächs gab über weite Strecken der Film „Das Wunder von Bern“ (Hauptrolle Peter Lohmeyer) vor, in dessen Mittelpunkt neben dem historischen WM-Gewinn 1954 ein Vater-Sohn-Konflikt steht. Dieser war auch im Hause Abramczik offensichtlich an der Tagesordnung – die zwei Brüder konnten es dem Senior nie richtig recht machen.
„Manchmal fuhr mein Vater einfach nach Hause, wenn ich in seinen Augen in der Jugendmannschaft schlecht gespielt hatte. Ich musste mir dann irgendwo 50 Pfennig leihen, um mit der Bahn heim zu kommen.“ Erst als er Nationalspieler wurde, habe der Vater das ständige Kritisieren eingestellt.
„Aber ich wollte es immer meinem Vater beweisen, das hat mich angetrieben“ so Abramczik. „Sonst wäre ich vielleicht nie so weit gekommen.“ Gefühle, die Lohmeyer teilte: „Ich stand schon erfolgreich am Bochumer Schauspiel auf der Bühne, aber mein Vater hat 10 Jahre gebraucht, um einmal zu sagen, dass er stolz auf mich ist.“ Offenbar taten sich viele Männer aus dem Pott mit der Vaterrolle nicht ganz leicht…

Untere Klassen, unterste Schublade

Die Zuhörer im Saal erfahren viel Hintergründiges, zum Beispiel warum Abi nicht zum FC Bayern wechselte: „Ich hatte Dortmunds Präsident Rauball bereits mit Handschlag zugesagt, als Uli Hoeneß anrief.“ Oder wie während seiner Zeit in Istanbul 305 Flaschen Bier auf die Zimmerrechnung kamen. Es blieb aber nicht bei permanenten Rückpässen. Dafür sorgte Bundesliga-Schiedsrichterin Annika Kost, die vom Alltag in der Frauen-Bundesliga sowie bei Spielen der Männer berichtete. Ihr Fazit: „Je niedriger die Liga, umso mehr werde ich angegangen.“ Sie kümmert sich als Patin um die weibliche Nachwuchsförderung und ermuntert junge Kolleginnen, den Kerlen auch „mal einen richtigen Spruch reinzudrücken“.
Sie blickt kritisch auf die wachsende Aggressivität im Fußball, die oft von der Bank hereingetragen werde. Und die ständigen „Schauspieleinlagen“ vermeintlich gefoulter Spieler. Dagegen hat Rüdiger Abramczik übrigens einen kreativen Plan: die Rosa Karte! „Stell´ dir vor, du machst eine Schwalbe. Und dann kommt der Schiri und zeigt dir die Karte mit der Farbe Rosa. Sichtbar für das ganze Stadion, die TV-Zuschauer und am nächsten Tag vielleicht noch in der Zeitung. Allein schon die Farbe hätte abschreckende Wirkung.“ Für die Idee klatschte nicht nur Kost Beifall…

Am 24. Oktober wird die Reihe fortgesetzt, erneut in der Rathausgalerie. Als Gast von Peter Lohmeyer hat sich Norbert Dickel, Pokalheld von Borussia Dortmund angekündigt.


https://youtu.be/jcGMQBfHetU

Jetzt den ganzen Abend als Podcast anhören:


Grußwort von Prof. Bodo Hombach, Vorsitzender des Vorstands der Brost-Stiftung

Verehrte, liebe Gäste und Aktive,

eine Ankündigung ist falsch: Ich leite nicht ins Thema ein. Solche Anmaßung fiel den hier versammelten Kennern auf.
Ich darf den Anpfiff machen. Fußball ersetzt für manche beinahe Religion.
Deren Gott ist rund und aus Leder. Nirgendwo wird heftiger: gehofft, gejubelt, gelitten, als in der Kathedrale des Stadions. Es beginnt mit dem feierlichen Einzug. Man singt liturgische Lieder, Glaubensbekenntnisse, Litaneien. Die Hohepriester der Truppe zelebrieren ihre Rolle. Fans geraten in Ekstase. Es gibt Pilgerfahrten, Reliquiensammler.
Wir sehen Wunderheilungen im Strafraum: Ein Spieler ist dramatisch zusammengebrochen. Der Schiri hat‘s nicht gesehen.
Der Versehrte springt auf und läuft los, als sei nichts gewesen. Fettnäpfchen, in die man landen kann, sind aufgestellt. Ich war mal drin.
Als Nicht-Experte spüre ich beim Derby: Das gute Spiel macht mir Freude – egal, wer es gewinnt.
Vor Jahren gab es ein ökumenisches organisiertes Treffen von Schalke und BVB Fans. Auch ich saß zwischen beiden Maskottchen im Podium. Im Gespräch gestand ich, dass ich Mitglied in beiden Vereinen sei. Das war ein Verstoß gegen die Kardinaltugenden der Fan-Gemeinden. Manchen gar Todsünde. Beide Gruppen murrten heftig. Ich war Renegat und Agnostiker, ein religiös und regional „vaterlandsloser Geselle“.
Ich beichtete und rechtfertigte: Der Initiativkreis Ruhr bündelt die wichtigsten Unternehmen des Reviers.
Zwei Perioden war ich dessen Vorsitzender. Die Fußballvereine sind längst wichtige Wirtschaftsfaktoren. Es gelang mir, Schalke und den BVB an Board zu holen.
Als Geste stieg ich dann bei beiden ein. Als lässliche Sünde wurde das nicht akzeptiert. Ich wehrte ich mich: „Leute, bleibt ruhig, gewinnt erst einmal gegen München!“
Die Stimmung hob sich. Später, sozusagen in der Verlängerung, setzte ich einen drauf. „Euer Tabellenplatz ist ja eher volatil. Ich habe einen naiven Traum von ewiger Seligkeit. Fusioniert doch zu einer Ruhrgebietsmannschaft. Dann steht ihr immer auf Platz eins vor München.
Ein „Flankengott“ war damals im Publikum.
Herr Rüdiger Abramczik meldete sich, gab Flanken- und damit Personenschutz. Ich freue mich sehr, ihn heute erleben zu dürfen!
Im Namen der Brost-Stiftung danke ich ihm und den Initiatoren für das 3. Treffen dieses Formates. Es hat eine inspirierende Idee.
So beginnen gute Traditionen. Herr Peter Lohmeyer ist übrigens einer der vier großartigen Schauspieler, die in diesem Jahr den Brost-Ruhrpreis auszeichnen. Sie haben richtig gehört. Ein Preis ist nur so viel wert wie seine Träger.
Die Trophäe wurde vom Bildhauer Herrn Kiel gestaltet.
Er arbeitet gerade für uns mit einem indigenen Künstler an einer aussagekräftigen Skulptur. Die wird auf einer Berghalde stehen und eine Landmarke sein für die Kreativität des Reviers.

Und nun endlich: Anstoß!