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Wenn wir das nicht machen, dann macht es kein anderer.

Nicht nur Pfarrerssohn Peter Lohmeyer fühlte sich in der Christuskirche in Wanne-Eickel zu flammenden Plädoyers inspiriert. Auch seine Gästin Siham El-Maimouni predigte die Selbstwirksamkeit.

Die Journalistin und Grimme-Preisträgerin Siham El-Maimouni erklärt bei der „Sendung mit der Maus“ oft, dass gerade die kleinen Dinge im Großen wichtig sind. Mit Peter Lohmeyer sprach sie über Arbeit und Identität, warum Wandel guttut und was sich das Ruhrgebiet von Rotterdam abschauen sollte.

Als Kind des Ruhrgebiets nimmt sie die Dinge gern selbst in die Hand, anstatt nur zuzusehen. Ihr Tatendrang äußert sich nicht zuletzt in ihrer beruflichen Umtriebigkeit. Sie ist eine der bekanntesten Moderatorinnen der ARD – klar erkennbar an der kleinen Schlange für Selfies und Autogramme, die sich nach der Veranstaltung bildet. Siham El-Maimouni führt bei „titel, thesen, temperamente“ durch brandaktuelle Debatten, bleibt als Teil des Politikmagazins „Westpol“ am Puls der Zeit und für „Westart“ nah dran an der vielfältigen Kulturszene in NRW. Für ein junges und junggebliebenes Publikum erklärt sie scheinbar spielerisch komplexe Themen bei der „Sendung mit der Maus“, die sie vor allem für ihr journalistisches Handwerk schätzt: „Kinder kann man nicht verarschen.“, sagt sie in ihrer unverblümten Ruhrpott-Art. Dabei hatte sie versprochen nicht so viel auf Peter Lohmeyers Podium zu fluchen. Nicht nur ihre Moderationstätigkeit verbindet sie mit dem Host des Abends, auch ihren Einsatz für Nachhaltigkeit hat Siham El-Maimouni, unter anderem Umweltmedienpreisträgerin, mit Lohmeyer gemein.

„Wir brauchen unfassbar viel ‚grün‘ und das kann jeder im Kleinen machen, zum Beispiel Bäume gießen und sich um das kümmern, was wir vor der Tür haben. Ich habe die Schnauze voll immer zu sagen, die Politiker müssten es machen, denn wir müssen es auch irgendwo selbst machen.“

— Siham El-Maimouni

Im Gespräch mit dem Schauspieler berichtet Siham El-Maimouni von ihrem Weg, der nicht nur für ihren persönlichen Erfolg, sondern auch für einen Teil der Ruhrgebietsgeschichte steht. Während sie in Duisburg-Meiderich geboren und aufgewachsen ist, kommen ihre Eltern aus der Provinz Nador, die durch El-Maimounis journalistische Arbeit, zum Beispiel dem Maus-Spezial „Marokko-Maus“, einer breiten Zuschauerschaft in Deutschland bekannt sein dürfte. Ihr Vater kam 1964 als Bergarbeiter durch das Anwerbeankommen nach Gelsenkirchen und lernte dort, „Schalke 04“ zu lieben, und dass Integration im Kohlerevier nicht verhandelt, sondern gemacht wurde. Der Weg nach Deutschland formte auch den Namen der Familie: Weil die berberische Nachnamenstradition nicht dem Usus deutscher Behörden entsprach, bekam ihr Vater für die Ausreise einen neuen Nachnamen, „El-Maimouni“, der fortan für seine Familie gelten sollte. Solche und andere Geschichten erzählt Siham El-Maimouni seit ihren Anfängen als Lokaljournalistin bei der WAZ Duisburg-Nord, später bei Antenne Düsseldorf, wo ihre geflügelte Radiokarriere startete. Die Kulturjournalistin, längst deutschlandweit tätig, bleibt ein Fan des Ruhrgebiets, wo ihre Familie heute noch lebt.

„Ich habe das Gefühl, dass wir im Ruhrgebiet ziemlich schnell lernen, dass wir umswitchen und für Neues offen sein müssen, vielleicht weil wir so divers sind und hier schon immer alles in Bewegung war.“

— Siham El-Maimouni

Memory – ein Spiel mit den Erinnerungen

Mit dieser Bewegung spielt der bildende Künstler Marcus Kiel. Die Christuskirche macht er zu einem Tempel der Vergangenheit durch ein Sammelsurium der kollektiven Erinnerungen – ausrangierte Spinde aus einem Bochumer Stahlwerk zieren den Altarraum, davor alte Kohlenschütten wie Reliquien auf den Treppen aufgereiht. Doch Nostalgie ist nicht das Ziel. In seinem Werk „Memory“, das im Laufe der gesamten Veranstaltungsreihe „Vor Ort mit Peter Lohmeyer“ in den letzten eineinhalb Jahren entstanden ist, hinterfragt Kiel das kollektive Erinnern, dass genauso wie das Wort „Strukturwandel“ in vielen Menschen im Ruhrgebiet Phantomschmerzen auslöst. Das Gedächtnistraining für Groß und Klein wird hier zur Einladung die Vergangenheit zu hinterfragen. 48 Fotopaare hat Marcus Kiel ausgewählt, aus privaten Archiven der Gäste der ausgebuchten Veranstaltungen. Sie zeigen persönliche Erinnerungen, die ein Jedermann im Revier haben könnte: Familien bei Festen, Fördertürme im Hintergrund, junge Männer in Fußballtrikots, scheinbar austauschbar, da für die Region universell. Anhand einzelner Einblicke beschreibt Marcus Kiel den Moment, wenn aus Geschichten Geschichte wird. Die Themen der vergangenen Veranstaltungen ziehen sich durch: Kindheit und Jugend, Fußball, Identität und Arbeit. Bodo Menze, ein prominenter Gast im Publikum, der ebenfalls Bilder aus seinem Archiv beigesteuert hat, bringt alle Aspekte auf einen Nenner – seinen Verein: „Schalke hat mich nie losgelassen“, beichtet der Fußballfunktionär.

„Für viele Menschen ist Heimat ein kleiner Ort. Sie fühlen sich zwar als Bürger des Ruhrgebiets, aber es gibt eine kleine Keimzelle, die dabei hilft, ein Stück Heimat und Identität zu entwickeln, erst recht in solchen Zeiten, wo wir so viele globale Krisen haben.“

— Marcus Kiel

„Ich verweigere mich der Idee, dass das Ruhrgebiet als eine große Region gedacht wird. Das finde ich unfair, weil jede Stadt so anders und so besonders ist. Das sollten wir feiern.“

— Siham El-Maimouni

Veränderung ist DNA des Ruhrgebiets

Siham El-Maimounis Heimat Duisburg-Meiderich ist vom Leerstand genauso betroffen wie die meisten Viertel im Ruhrgebiet. Aber als sie auf Stippvisite in der Heimat ihren alten Schulweg abläuft, merkt sie, dass sich viel verändert hat: „Es ist eigentlich nichts mehr so, wie es damals war. Für eine Sekunde war ich traurig – da war die Bäckerei, da war der Schreibwarenladen. Aber als dann diese Sekunde Traurigkeit vorbei war, dachte ich: ‚Cool, es hat sich alles neu erfunden!‘“ Ihre alte Grundschule ist wieder belebt und in den Leerstand die Straße runter sind zwei syrische Supermärkte eingezogen. „Mein Kapitel hier ist vielleicht abgeschlossen, aber der Ort existiert anders weiter, im Kleinen wie im Großen.“

„Es kommt immer darauf an, dass man Initiative ergreift, ob in Gelsenkirchen oder Duisburg, aber es ist wichtig, den Menschen Räume zu geben und die Kreativität voranzubringen. Dafür braucht es Geld und Unterstützung, aber immer mit den Menschen, die Ideen haben.“

— Peter Lohmeyer

Wandel durch Kultur, Kultur des Wandels

Dass Kunst und Kultur Motoren des Wandels sind, darüber werden sich Peter Lohmeyer und Siham El-Maimouni schnell einig: „Was ich am meisten an NRW liebe, ist die Dichte der Kultureinrichtungen, die wir hier haben. Und es müssen nicht immer die großen sein.“ Denn gerade die kleinen Initiativen, die freien Theater und kleinen Ateliers seien es, die die Straßen der Region beleben. Ein Vorbild entdeckt El-Maimouni in der niederländischen Stadt Rotterdam, wo ehemalige Leerstände mit kreativem Potenzial jünger Künstler gefüllt wurden, durch niedrige Mieten angelockt. Gerade die Gastgeberstadt Wanne-Eickel will mit einem Künstlerviertel, dem geplanten Urban Arts Quartier, eine Vorreiterrolle übernehmen. Doch auch hier geht es nicht ohne Eigenverantwortung, meint Siham El-Maimouni: „Wenn wir es nicht machen, macht es kein anderer.“ – sei es Bäume gießen oder lokale Kunst unterstützen.