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Menschlichkeit ohne Grenzen

Erstmals begegneten sich beim Schüleraustausch zwischen NRW und den Niederlanden Jugendliche mit Hörbeeinträchtigung

Selbst perfekte Organisation schützt nicht vor Überraschungen…

Beim Zusammentreffen der Schülergruppen aus Bochum und den Niederlanden hatten die Verantwortlichen an (fast) alles gedacht: Die Gäste aus Haren waren in der Jugendherberge mitten im „Bermuda Dreieck“ untergebracht, ein spannendes Besichtigungsprogramm stand, gemeinsames Kochen und Lernen der 35 Jugendlichen bot Raum für Begegnung.

Und dabei stellten die hörgeschädigten Mädchen und Jungen plötzlich fest: Zwischen der Deutschen Gebärdensprache (DGS) und der Niederländischen Gebärdensprache (NGT) bestehen deutliche Unterschiede! Für hörgeschädigte Jugendliche ist Gebärdensprache das zentrale Kommunikationsmittel, umso überraschender, wie unterschiedlich sie in den Nachbarländern ist. In der DGS bedeutet zum Beispiel eine Bewegung mit kreisender Hand am Kopf „denken“, während in der NGT eine fast identische Bewegung „verrückt“ bedeuten kann. Eine Gebärde mit aneinander geführten Fingern steht in der NGT für „Freundschaft“, in der DGS kann sie „Beziehung“ meinen. Momente der Irritation beim intensiven Austausch, Auslöser für Gelächter, lebendige Erinnerungen an ein besonderes Projekt.

Erstmalig hatte die Brost-Stiftung im Rahmen des seit 2018 organisierten Austausches zwischen dem Ruhrgebiet und den Niederlanden Schüler mit Hörbeeinträchtigung eingeladen. Die Schule am Leithenhaus Bochum (Förderschwerpunkt Hören und Kommunikation) organisierte als Gastgeber das Programm für die 15 jungen Menschen der Kentalis Guyotschool SO Haren. Im März 2026 ist der Gegenbesuch in den Niederlanden geplant.

Currywurst verbindet

„Ich bin sehr gespannt, wie die Schule von innen aussieht, wie die Klassengrößen sind und wie mit den Schülern kommuniziert wird“, erklärt Frank Ragert, der mit Kolleginnen der Leithenhaus-Schule den ersten Teil des Austausches vorbereitet und begleitet hat. Sein Fazit nach fünf Tagen intensiver Begegnung: „Es war eine ganz tolle Erfahrung, nicht nur für die Jugendlichen. Wir Lehrer haben sehr viel mitgenommen.“

Begonnen hatte alles mit Currywurst! Nach Begrüßung in der Schule am Leithenhaus und kurzer Einführung wurde zur Stärkung erst mal die Ruhrgebietsspezialität an einer benachbarten Bude besorgt. Bei einigen niederländischen Gästen (zwischen 13 und 18 Jahren alt) schmeckte sie am nächsten Tag beim Besuch des Dortmunder Signal-Iduna-Parks noch nach. „Superlecker“, so Schüler Max. „Aber die Sauce war ganz schön scharf.“

Für das Exkursionsprogramm durch den Pott wurden gemischte Gruppen gebildet mit jeweils drei Schülern einer Schule. Nach Besuch einer Monet-Ausstellung im „Phoenix des Lumières“ wurde der Dortmunder Fußballtempel erkundet, dem gemeinsamen Projekttag inklusive Kochen folgte als weiterer Höhepunkt das Bergbaumuseum in Bochum. Fünf pralle Tage Ruhrgebiet für die niederländischen Jugendlichen und ihre Begleiter.

Begegnung auf Augenhöhe

„Es ist beeindruckend, unsere Schüler auf der Reise zu erleben“, beschreibt Lehrerin Anja Nutters. „Sie treffen auf Gleichaltrige mit den gleichen Handicaps, im Austausch nehmen sich beide Seiten unvoreingenommen als Menschen wahr. Das ist das Wichtigste!“

Für die Gäste aus den Niederlanden sind die gesetzlichen Auflagen für eine solche Jugendbegegnung noch komplexer, neben den vier Lehrkräften mussten zwei Gebärdendolmetscher die Gruppe begleiten. Grundsätzlich ist zusätzlicher Aufwand nötig, wenn junge Menschen mit Hörbeeinträchtigung verreisen, wie Frank Ragert beispielhaft ausführt. „Wir versuchen immer, kleine Quartiere zu finden, die möglichst ruhig sind. Das eingeschränkte Hörvermögen zwingt die Schüler zu permanenter höchster Konzentration, da stört jedes zusätzliche Geräusch. Sie brauchen mehr Ruhephasen über den Tag.“

Darüber hinaus sind die Herausforderungen zur Organisation einer Klassenfahrt nicht viel anders als an einer Regelschule, vor allem hinsichtlich der Kosten. „Ohne die Unterstützung der Brost-Stiftung wäre ein solcher Austausch nicht möglich“, resümiert Kirsten Graw von der Schule am Leithenhaus. „Für viele Familien ist es nicht machbar, soviel Geld für die Aktivitäten der Kinder auszugeben.“ Kollegin Anja Nutters ergänzt: „Es ist schön, dass wir uns keine Sorgen um die Finanzen machen müssen. So können wir uns voll auf die Kinder konzentrieren.“