Vom Zäh werden und Zusammenhalten

Vom Zäh werden und Zusammenhalten
Rasha Khayat schrieb einen realistischen Ruhrgebietsroman. Das Gespräch mit Metropolenschreiber Daniel Schreiber zeigt gleichwohl viel Herz für die Menschen
Die Erkenntnis ist bitter und sollte auch den letzten Ruhrgebietsromantiker zum Schweigen bringen. „Bei den Schullesungen muss ich den jungen Menschen leider immer wieder sagen: Es hat sich wenig geändert, seit ich in eurem Alter war“, erzählt Schriftstellerin Rasha Khayat. „Es ist eher schlimmer geworden, die Schere zwischen reich und arm geht noch weiter auf. Und selbst Menschen mit Migrationsgeschichte wählen in einigen Bezirken mehrheitlich die AfD.“
„Die Essener Fußgängerzone empfand ich bei meiner Rückkehr als extrem deprimierend, regelrecht gruselig.“
— Schriftstellerin Rasha Khayat
Ihr Buch „Ich komme nicht zurück“ erzählt eine Lebensgeschichte mitten aus dem Ruhrgebiet, geprägt von einer tiefen Freundschaft und einer ungewöhnlichen Familienkonstellation im Zuge der gesellschaftlichen Umbrüche der letzten Jahrzehnte. Auf Einladung von Daniel Schreiber diskutierte Khayat mit ihm am Beispiel ihrer Romanfiguren den sozialen Wandel im Land ringsum. Der Metropolenschreiber Ruhr widmet sich an drei Abenden dem Thema Zusammenleben: Was braucht es, um Nähe, Respekt und Gemeinschaft in einer vielfältigen Gesellschaft zu gestalten?
Weniger Einsatz für das Allgemeinwohl
Zum Start der Reihe setzten sich Khayat und Schreiber im besonderen Ambiente einer umgebauten früheren Lohnhalle der Zeche Elisabeth an den Tisch, das Format des „Salonfestivals“ gab den intimen Rahmen mit gut zwei Handvoll Gästen vor. Gleichwohl fühlte sich Schreiber „ein wenig nervös“ bei der Premiere: „Die Frage nach Zusammenleben und Zusammenhalt sehe ich als größte Herausforderung für unsere Gesellschaft. Auch vor dem Hintergrund, dass sich politisch immer weniger für das Allgemeinwohl eingesetzt wird.“
Khayat las Passagen aus ihrem Roman, der detailgenau und sprachlich wuchtig die Leserinnen und Leser in die späten Achtzigerjahre versetzt, als die Protagonisten Hanna, Zeyna und Cem in einer Arbeitersiedlung im Ruhrgebiet ihre Wahlfamilie bilden und über Jahre hinweg mit den Herausforderungen des Lebens konfrontiert werden. Doch je älter die Kinder werden, umso sichtbarer die Unterschiede zwischen ihnen. Mit dem 11. September 2001 wird ihre Freundschaft endgültig vor eine Zerreißprobe gestellt, danach ist – willkommen in der Realität – nichts mehr wie vorher.

„Das Ruhrgebiet vermittelt einen verschärften Blick auf die Realität. Viele Probleme erscheinen wie unter einem Brennglas.“
— Daniel Schreiber, Metropolenschreiber Ruhr 2024/25
Aufgeben oder zäh werden
„Wir haben viele Entwicklungen unterschätzt“, so Rasha Khayat im Wechsel zwischen Buchzitaten und Alltagsbeobachtungen. Sie wurde in Gladbeck geboren, lebte einige Jahre in Saudi-Arabien und inzwischen in Essen Rüttenscheid. „Es gab eine Ignoranz gegenüber Rechten, gleichzeitig wachsenden Islamhass.“ Für Buchhelden sowie Mitmenschen habe es nur zwei Möglichkeiten gegeben: „Aufgeben und verrecken oder zäh werden.“
Ähnliche Beobachtungen wie seine Gästin hat Daniel Schreiber während seines Ruhrgebietsaufenthaltes in den letzten Monaten auch gemacht: „Ich würde ihr Fazit einen sehr realistischen Blick auf die Zeit nennen. Besonders verschärft im vergangenen Jahr gibt es einen gigantischen Anstieg von rassistischen, homophoben und queerfeindlichen Meinungen und Übergriffen.“ Die Lobbyarbeit von Rechtsextremen sei erkennbar erfolgreich, „wahrnehmbar in den politischen Institutionen, aber eben auch in den Schulen“.

Öfter unangenehm auffallen
Dagegen, so ein Appell aus dem Publikum, gelte es sich mit allen Mitteln gemeinsam zu wehren. Rasha Kayat: „Ich möchte dazu vor allem die Kinder ermutigen. Gerade habe ich das Beispiel eines 11-Jährigen auf dem Schulhof erlebt, der sich bei einem rassistischen Zwischenfall eingemischt hat. Das fand ich stark.“ In vielen diskriminierenden Alltagssituation hielten sich die Augenzeugen oft lieber dezent zurück: „Aber wir müssen öfter unangenehm auffallen!“
Was genau sie damit meint? „Ich saß zuletzt im Zug, als eine Passkontrolle angekündigt wurde. Der Beamte hat dann im ganzen Wagen genau einen Mann kontrolliert – mit erkennbarem Migrationshintergrund. Diese Diskriminierung fand ich empörend, ich habe meinen Ausweis hochgehalten und durch den Zug gerufen: Wollen Sie meinen Pass nicht auch kontrollieren? Das war dem Polizisten sichtlich unangenehm…
Rasha Khayat studierte Vergleichende Literaturwissenschaften, Germanistik und Philosophie in Bonn. Seit 2005 arbeitet sie als freie Autorin, Übersetzerin und Dozentin. 2016 erschien ihr Debüt ›Weil wir längst woanders sind‹.
Im Rahmen des Salonfestivals öffnen Gastgeber eigene Häuser und laden ihre Gäste im Anschluss zu einem geselligen Beisammensein ein. Gastgeberin oder Gastgeber kann eine Jede oder ein Jeder sein. An diesem Mittwochabend (7. Mai) hatte Christian Deutscher in sein Fotostudio in Essen-Frillendorf eingeladen, das sich in der ehemaligen Lohnhalle der Zeche Königin Elisabeth befindet.
Foto 2 © Dumont Verlag