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Ein bisschen Transformation bringt gar nichts

Ein bisschen Transformation bringt gar nichts

Konzernbetriebsrat Tekin Nasikkol fordert konsequenten Umbau zu „grüner“ Stahlproduktion. Auch Hernes Oberbürgermeister Dr. Frank Dudda will beweisen, dass das Ruhrgebiet Zukunft hat

Wären die Kirchen im Ruhrgebiet immer so voll, müssten sich die Verantwortlichen weniger Sorgen um die aktuelle und künftige Nutzung der christlichen Gotteshäuser machen. Mehr als 150 Besucher drängten sich in den Bänken der Christuskirche in Wanne-Eickel zu einem sehr weltlichen „Hochamt“ der Hoffnung: Peter Lohmeyer hatte Hernes Oberbürgermeister Dr. Frank Dudda und Tekin Nasikkol, Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats der thyssenkrupp Steel Europe AG und Vorsitzender des Konzernbetriebsrats der thyssenkrupp AG eingeladen, um über Zukunftsperspektiven der Region zu sprechen. Mit ausrangierten Spindtüren aus dem Stahlwerk Bochum schaffte der Bochumer Künstler Marcus Kiel dazu im Altarraum eine berührende Kulisse – die Zeugnisse des Wandels werden wie viele arbeitende Menschen heute nicht mehr gebraucht.

Der Abend stand jedoch nicht im Zeichen beklemmender Rückschau, sondern des beherzten Aufbruchs. Dr. Frank Dudda stellte die Pläne einer über 30 Millionen Euro teuren innerstädtischen Seilbahn in Herne vor, als „Innovationsmotor für junge Menschen“. Gleichzeitig plant der engagierte Oberbürgermeister an weiteren Stellen der Stadt zukunftsweisende Projekte, ein altes Kaufhaus soll zum modernen Bildungszentrum umgestaltet werden, in der Nachbarschaft ein neues innerstädtisches Wohnquartier entstehen. Dudda: „Wir wollen in Wanne einen Urban Arts District schaffen und junge Menschen durch Kultur- und Bildungsangebote an uns binden.“ Visionen, die bereits bepreist und sogar finanziert seien: „Alles trägt den Stempel der Landesregierung. Die Seilbahn zahlt beispielsweise das NRW-Verkehrsministerium.“

Zwei Milliarden Euro Förderung nur „erster Schritt“

So viel Planungssicherheit würde sich Tekin Nasikkol am Stahlstandort Duisburg auch wünschen, aber die Transformation zu klimaneutraler Produktion beschreibt der gewählte Vertreter von mehr als 100.000 Arbeitnehmern als „Jahrhundertaufgabe“. Ein erster Schritt sei mit der zugesagten Förderung von zwei Milliarden Euro getan, „aber damit können wir nur 25 Prozent der bestehenden Hochöfen transformieren“. Der vielgepriesene grüne Wasserstoff als Energieträger sei noch viel zu teuer, schwer zu beschaffen und die Transportwege nicht abgesichert. „Wir können nicht nur antransformieren…“

„Entscheidend ist ein Versprechen an die Menschen, dass es in Duisburg weiter Stahlproduktion geben wird“, so der Sohn eines türkischen Gastarbeiters, der nach einer Ausbildung zum Schmelzschweißer erst im Erwachsenenalter BWL studierte. Nasikkol erzählt von den schwierigen Arbeitsbedingungen in der alten Kokerei, als ihm beim Schweißen die Schuhsohlen wegschmolzen. Und von gelungener Transformation in vielen Produktionsbereichen. Gleichzeitig habe die Industriepolitik der vergangenen Jahrzehnte dazu geführt, dass China heute rund 1,2 Milliarden Tonnen Stahl auf den Markt bringt, während in Deutschland nur noch weniger als 40 Millionen Tonnen Rohstahl produziert werden.

Stahl gibt Sicherheit

„Die Entwicklungen der letzten Monate haben gezeigt, dass eine resiliente Wirtschaft den Grundstoff Stahl braucht“, erklärte Nasikkol weiter. Von dem jeder einzelne deutsche Bürger übrigens 420 Kilogramm jährlich verbraucht. Gastgeber Peter Lohmeyer mahnte beim nachvollziehbaren Plädoyer für den Stahlstandort aber noch einmal die Nachhaltigkeit an: „Bei aller Transformation muss die Frage im Vordergrund stehen, welche Welt wir unseren Kindern und Enkeln hinterlassen.“

Bei aller sachpolitischen Debatte kamen Lohmeyer und sein Gast im Gespräch immer wieder bei den Menschen an, auch bei der Frage, wie Existenzsorgen und Zukunftsängste das gesellschaftliche Miteinander prägen. „Das Zusammenleben wie früher funktioniert nicht mehr. Das Alte löst sich auf, das Neue ist noch nicht da“, so der Gewerkschafter. „Angst und Unsicherheit nutzen Parteien wie die AfD, indem sie Angst und Unsicherheit verbreiten. Sie sind aber keine Alternative für Deutschland, sondern eine Katastrophe.“

Den aktuellen AFD-Umfragen zum Trotz blieb das Fazit des Abends zuversichtlich. Mit der Austragung der renommierten europäischen Kulturbiennale im Jahr 2026 unter dem Titel „Manifesta 16 Ruhr“ im Ruhrgebiet werde ein positiver Zukunftsimpuls gesetzt, so Dr. Frank Dudda. Und als Symbol der Nachhaltigkeit schenkte Tekin Nasikkol dem Gastgeber am Ende eine ganz besondere Grillschürze: Hergestellt als Unikat aus einem ehemaligen Schmelzermantel von Mitarbeitern der inklusiven Werkstätten bei ThyssenKrupp.

Am 27. Mai 2025 unterhält sich Peter Lohmeyer an gleicher Stelle mit der in Duisburg geborenen Journalistin und Grimme-Preisträgerin Siham El-Maimouni über die Identität des Ruhrgebiets. Die kostenlose Anmeldung zur Teilnahme an der Veranstaltung ist über diesen Link möglich: