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Kick it like Annike!

Kick it like Annike!

BVB-Legende Norbert Dickel und Annike Krahn begeisterten in der Essener Rathauspassage mit erzählten Doppelpässen aus der „Fußballheimat Ruhr“

Ohne Annike Krahn wäre die Schieflage vielleicht nie aufgefallen. „Hier in diesem Raum hängen gut 50 Fotos zur Historie des Fußballs im Ruhrgebiet. Auf genau einem ist eine Frau zu sehen“, erklärte die frühere Nationalspielerin, Weltmeisterin und Olympiasiegerin. Ihre Beobachtung lieferte einen Teil der Antwort auf die Frage, warum sich kickende Frauen in der Herzkammer des Fußballs immer noch schwertun.

Zur vierten Veranstaltung der Reihe „Heimat Ruhr – vor Ort mit Peter Lohmeyer“ hatten die Brost-Stiftung und Lohmeyer diesmal die sportliche Leiterin Frauenfußball des VfL Bochum, Annike Krahn mit BVB-Pokalheld Norbert Dickel in die Essener Rathaus Galerie eingeladen. Der Abend bekam für die zahlreichen Zuhörer dann einen Hauch des Torfalls von Madrid: Während in Spanien 1998 vor dem Champions-League Halbfinale zwischen Real und Borussia Dortmund ein umgekipptes Tor den Anpfiff verzögerte, warteten diesmal alle auf den Hauptdarsteller. Lohmeyer hing im Zug aus Hamburg fest…
…Krahn, Dickel sowie Marcus Kiel als künstlerischer Partner Lohmeyers sorgten aber trotz Zweitbesetzung auf dem Moderatorenstuhl für launige Unterhaltung. Mit sehr offenen Innenansichten, gleichzeitig kritischen Anmerkungen zur Kommerzialisierung oder der Rolle der Frauen in der „Fußballheimat Ruhrgebiet“.

„Keine Rate ausgesetzt“

„Nobby“ Dickel, den übrigens nur seine Frau beim richtigen Vornamen nennt, erinnerte an sein größtes Spiel im Berliner Olympiastadion, wo er 1989 zwei Tore zum Pokalsieg der Dortmunder beigetragen hatte. Bis heute feiern ihn die Fans mit einer eigenen Hymne, für ihn begann aber mit dem Abpfiff Kampf um die alltägliche Existenz. „Danach habe ich aber nur noch sechs Spiele gemacht. Das letzte war am 15. Dezember 1989 in Düsseldorf. Meine Frau und ich hatten aber 1986 ein Haus gekauft, alle unsere Ersparnisse reingesteckt. In der Zuversicht, noch ein paar Jahre Fußball spielen zu können, jetzt musste das auch irgendwie bezahlt werden.“
Dickel verkaufte Antriebstrommeln für Fördergurtanlagen. „Ich weiß bis heute nicht, was das ist. Nach einem Jahr bin ich zu Nike gegangen und habe Turnschuhe und Fußballschuhe verkauft. Und dann habe ich die wahnwitzige Idee gehabt, also im dritten Jahr, ein Küchenstudio zu übernehmen. Da hatte ich auch keine Ahnung von. Ich habe also dreimal was Neues gemacht, aber ich habe nicht eine Rate ausgesetzt beim Haus. Und darauf bin ich bis heute stolz.“

„Vielleicht habe ich genau das verkörpert in dem Moment, oder das Glück gehabt, was man im Ruhrgebiet so mag. Einfach alles zu geben.“

— Norbert Dickel zum BVB-Pokalsieg in Berlin 1989

Mit dieser Mentalität steht er für Generationen von Fußballern, die wussten, was Malochen heißt, nicht nur auf dem Fußballplatz. Sie legten den Grundstein für die im wilden Fußball-Westen einmalige Identifikation der Fans mit ihren Vereinen. Borussia Dortmund ist Dickels Heimat geblieben, seit über 30 Jahren arbeitet es als Stadionsprecher, Kommentator im Netz-Radio und Event-Manager sowie in der Sponsoren-Betreuung. „Ich kann nur BVB“, erzählt „Nobby“ den applaudierenden Gästen.
Und er hat dem Fußball einiges zurückgegeben. 2001 gründete er den Verein der GoFus (golfspielende Fußballer), der heute 530 aktive und ehemalige Kicker mobilisiert. „Wir haben ein eigenes Projekt, das heißt „Platz da“. Wir schaffen Platz da, wo keiner ist, weil wir glauben, dass auf den Plätzen die Kinder sozialisiert werden. Wir habe es bis vorgestern geschafft, 288 Bolzen Bolz- und Spielplätze in ganz Deutschland zu bauen und zu renovieren.“

Kein Mehrwert im Frauenfußball?

Auch Annike Krahn ist jetzt zu ihren Anfängen als Fußballerin zurückgekehrt, sie möchte den VfL Bochum aus Liga 2 in die Bundesliga führen. Und dem Frauenfußball vor allem im Ruhrgebiet zur verdienten Anerkennung verhelfen.
„1982 hat das erste Länderspiel einer Frauennationalmannschaft in Deutschland stattgefunden“, so Krahn. „Aber bis die großen Vereine im Ruhrgebiet mal darüber nachgedacht haben, Frauen könnten auch Fußball spielen, hat sehr lange gedauert.“ Dortmund und Schalke trafen sich gerade zum ersten Revierderby der Frauen – in der vierten Liga!
Annike Krahn: „In meinen Augen ist das vor allem der Tatsache geschuldet, dass in den Vereinen hauptsächlich Männer arbeiten, die mit dem Frauenbereich nicht so viele Berührungspunkte haben oder auch hatten und auch keinen Mehrwert darin gesehen haben.“ Dadurch sei „unfassbar viel Potential“ in der Region verloren gegangen. „Wenn wir mal in den letzten zwei Jahren sehen, wie viele Nationalspielerinnen ursprünglich aus Nordrhein-Westfalen oder auch aus dem Ruhrgebiet kommen. Und die sind jetzt nicht alle weggegangen, weil sie das Ruhrgebiet so scheiße finden. Das muss man ehrlicherweise sagen.“

„Ich glaube grundsätzlich, dass Frauenfußball ein Zukunftsmarkt ist, wenn man den gesellschaftlichen Wandel anguckt. Und wenn man auch sieht, was sich in diesem Bereich in den letzten Jahren getan hat.“

— Annike Krahn zur Perspektive des Frauenfußballs im Revier

Krahn hält Forderungen nach gleicher Bezahlung von weiblichen und männlichen Profis für unrealistisch, am Ende angesichts der „absurden“ Auswüchse im Profifußball auch für nicht erstrebenswert. „Aber es sollte möglich sein, dass alle Spielerinnen der 1. und 2. Liga mit dem Fußball ihren Lebensunterhalt verdienen. Aktuell müssen die meisten noch vor dem Training arbeiten gehen.“
Dazu fehle es an Infrastruktur wie Trainingsplätzen. „Ich würde mich freuen, wenn Nobby uns mit seinem Verein auch einen Platz hinstellt.“, scherzt Krahn. „Wir trainieren manchmal abends um acht, weil die Anlage vorher nicht frei ist.“ Der VfL Bochum plant inzwischen immerhin ein eigenes Leistungszentrum für den Frauenfußball.

Krahn hält Forderungen nach gleicher Bezahlung von weiblichen und männlichen Profis für unrealistisch, am Ende angesichts der „absurden“ Auswüchse im Profifußball auch für nicht erstrebenswert. „Aber es sollte möglich sein, dass alle Spielerinnen der 1. und 2. Liga mit dem Fußball ihren Lebensunterhalt verdienen können. Wir reden hier nicht von der Bildung großer Rücklagen. Aktuell müssen die meisten noch vor dem Training arbeiten gehen.“
Dazu fehle es an Infrastruktur wie Trainingsplätzen. „Ich würde mich freuen, wenn Nobby uns mit seinem Verein auch einen Platz hinstellt.“, scherzt Krahn. „Wir trainieren manchmal abends um acht, weil die Anlage vorher nicht frei ist.“ Der VfL Bochum plant inzwischen immerhin ein eigenes Leistungszentrum für den Frauenfußball neben dem Durchmarsch in die Bundesliga..