Demokratie stärken, Grenzen überschreiten
Demokratie stärken, Grenzen überschreiten
Der Stiftungstag 2024 stand unter dem Motto: demokratisch, inklusiv und optimistisch. Brost-Stiftung deutet neues Projekt mit Udo Lindenberg an.
Wo liegt der Unterschied zwischen einem Optimisten und einem Pessimisten? Letzterer ärgert sich, wenn er von einem Vogelschiss getroffen wird. Der Optimist freut sich, dass Kühe nicht fliegen können…
Den zahlreichen humoristischen Differenzierungen zum Thema stellte Professor Bodo Hombach beim Auftakt des diesjährigen Brost-Stiftungstages eine sachbezogene entgegen, um die positive Zukunftseinstellung der Stiftung zu unterstreichen. „Optimismus ist kein verblasenes Gefühl, kein Pfeifen im Wald. Es ist die Haltung, die zu kreativen Lösungen aktueller Probleme motiviert“, erklärte der Vorsitzende des Vorstandes in seiner Anmoderation im vollbesetzten Erich Brost-Pavillon auf Zeche Zollverein.
Hombach beschrieb gleich zu Beginn den verbindenden Impetus aller Stiftungsaktivitäten: „Im Geiste des Langzeitgedächtnisses von Anneliese Brost fördern wir besonders intensiv Projekte, die Grenzen überschreiten.“ Gemeint sind damit nicht nur Ländergrenzen, sondern auch vermeintliche Trennungslinien zwischen Menschen sowie Kunst und Kultur oder Staat und Bürgern.
Es wurde ein Abend, eingerahmt von prominenten „Mittätern“, an dem der größte Applaus den kleinen Menschen zukam. Die in den wichtigsten Stiftungsprojekten die Hauptrolle spielen. Aber der Reihe nach…
„Grenzen spielen immer eine Rolle. Denn es gilt, ständig auszuloten, was wäre, wenn es sie nicht gäbe.“
— Till Brönner
Im Gespräch mit Moderatorin Anke Plättner philosophierten Till Brönner und Johan Simons über „grenzenlose Begegnungen“ während des Tanzprojektes „Pulse“. Im Auftrag der Brost-Stiftung hatte der weltberühmte Jazztrompeter das Lebensgefühl „Ruhrgebiet“ in Noten übersetzt, unter Leitung des Intendanten des Schauspiels Bochum war daraus ein gefeiertes Tanzprojekt entstanden. Choreografiert von Nicole Beutler, die, wie der gebürtige Holländer Simons, in den Niederlanden lebt.
Wo liegt der Unterschied zwischen beiden Ländern?
Während Weltbürger Brönner am ehesten die Arbeitsbedingungen von Kulturschaffenden zu Gunsten von Deutschland beschrieb, hat Simons den großen „Romantiker“ im Ruhrgebietsmenschen entdeckt. „Die Niederländer sind dagegen ein Volk von Kaufleuten!“
„In den gesamten Niederlanden gibt es vielleicht 40-45 Schauspieler mit festem Engagement. So viele haben wir allein in Bochum und Dortmund.“
— Johan Simons
Hannah Tijmes, Generalkonsulin des niederländischen Königreichs in Deutschland, fasste als dritte Teilnehmerin des Podiums zusammen: „Die Projektplanungen laufen in den Niederlanden deutlich schneller. In Deutschland dafür gründlicher.“
Dem Grundkonsens des Abends folgend stellte Simons am Ende das grenzüberschreitende Miteinander unter das Motto: „Das Beste muss noch kommen!“
Ibrahim hat einen solchen Höhepunkt gerade hinter sich. Der Schüler der Förderschule „Am Rönsbergshof“ besuchte mit seinen Klassenkameraden Reinhold Messner auf Schloss Bruneck in Südtirol. Mit Klassenlehrerin Desirée Pintzke und deren Kollegin Hanna Gast berichtete er von der persönlichen Begegnung mit der Bergsteigerlegende. Und schilderte unter großem Beifall, wie sehr ihn die Reise beindruckt habe. Sowohl die anwesenden Lehrer als auch ihre italienischen Kollegen im Einspielfilm stellten eine zentrale Bedeutung des Schüleraustausches heraus: „Ohne die Unterstützung der Brost-Stiftung wäre für eine Vielzahl der Schüler aus finanziellen Gründen eine solche Reise nicht möglich gewesen.“
„Kunst und Kultur sind Kleber und Zement der Gesellschaft. Sie müssen nicht nur von der Politik grenzüberschreitend unterstützt werden.“
— Hannah Tijmes
Das Projekt „Ruhr Natur“ prägte nicht nur das Umweltverständnis der Schüler, auf beiden Seiten wuchs der Respekt vor den Mitmenschen. Hanna Gast: „Es waren bewegende Momente, nicht nur für unsere Jugendlichen. Die Schüler der Partnerschule haben ebenfalls gesehen: So anders ist der Andere gar nicht.“ Ibrahim wird auf jeden Fall bald wieder nach Tirol reisen. „Zwei Wochen“ wie er stolz auf dem Podium erklärte, „ohne Lehrer“…
Prägende Impulse für ihr Leben will die Brost-Stiftung jungen Menschen auch in einem Projekt zur Förderung von Qualitätsjournalismus vermitteln. „Salon 5“ animiert Schüler, sich mit Medien und der Nachrichtenwelt auseinanderzusetzen.
Wo liegt der Unterschied zwischen „Salon 5“ und den gängigen Medien im Land?
„Wir sprechen mit und nicht über junge Leute“, erläuterte Redaktionsleiterin Hatice Kahraman den Zuhörern beim Stiftungstag. „Wir wollen sie demokratiefähig machen. Sie sollen verstehen, wie Nachrichten zu Stande kommen, um sie angemessen einordnen zu können.“ Mit Unterstützung der Brost-Stiftung wird in Dortmund gerade ein weiterer Redaktionsstandort aufgebaut. Details zu diesem und allen anderen Projekten finden Sie im Jahrbuch der Stiftung unter Unser Jahrbuch 2024
Weil „alle Jahre wieder“ keinesfalls „die Wiederkehr des Gleichen“ (Prof. Bodo Hombach) betiteln soll, endete der Stiftungstag mit dem Einschlag eines Kometen. Begleitet von einem Comic, der den Meister persönlich an einer Staffelei zeigte, kündigte Udo Lindenberg („Hallöchen“) persönlich an, sich zeitnah mit einem Projekt im Ruhrgebiet einzufinden! In spontanen Spekulationen unter den Besuchern tauchte immer wieder das Wort „Eierlikörchen“ auf!?
Bleiben wir optimistisch: Selbst auf ganz viel Gutes kann noch Besseres folgen…
Grußwort des Vorsitzenden des Vorstands der Brost-Stiftung, Prof. Bodo Hombach
Verehrte, liebe Gäste,
„Alle Jahre wieder“ Brost-Tag klingt wie Wiederkehr des Gleichen. Davon kann keine Rede sein. Kurt Tucholsky schrieb in einem Essay „Die Dämmerung“, „…Die Leute gehen täglich ihren Geschäften nach, machen Verordnungen und durchbrechen sie, halten Feste ab und tanzen, heiraten und lesen Bücher – aber es rumort in der Tiefe, und der Boden schwankt leise …“.
Wir erleben wirtschaftliche, soziale und außenpolitische Verwerfungen. Gesellschaftliche Aufsplitterung ist da Folge und Ursache zugleich. Das ist politikgemacht mit Wahrscheinlichkeit zur Eskalation. Zur Vermeidung von Kipppunkten ist privates Bürger-engagement sehr nützlich. Dazu gehören unsere Projekte aus der Welt des sozialen, medizinischen und kulturellen Miteinander. Von Weltuntergangs-Junkies halten wir nichts. Die lärmen und lähmen. Die verbreiten Unruhe und Angst. Die leben von Problemen. Die lösen keines.
Martin Luther hat wider die Apokalyptiker gepredigt. „Auch wenn ich wüsste, dass morgen die Welt untergeht, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.“ Das klingt naiv - ist aber das allzeit bewährte: „Jetzt erst recht.“ Bei ungewisser Zukunft und möglichen Katastrophen ist Blockieren oder Wortdiarrhoe die schlechteste Option. Stiftungen als Initiativen der Zivilgesellschaft müssen Dynamik entfachen. Mein Geschichtsbuch ist voller Beispiele, wie Gesellschaften und Staaten zerbröseln. Sie verschleppen Reformen und Innovationen.
Leistungslose Ansprüche befördern Trägheit. Wohlstandsverlust, aber auch Wohlstands-verwahrlosung bewirken politischen Akzeptanzverlust. Das und beschwiegene Realitäten sind Nährlösung der Entfremdung und Radikalisierung für Traumtänzer, Wirrköpfe und Demagogen. Brost-Kuratoriumsmitglied und Ministerpräsident Hendrik Wüst formulierte in seiner Regierungserklärung: „Eine Politik der Mitte beschäftigt sich nicht mit Ideologien – sondern mit der alltäglichen Realität der Menschen“. So wollte es auch unsere Stifterin Anneliese Brost.
Wir wollen es so auch. Gerade kompliziert zusammengefügte Parteibünde müssen Grenzen des Interessenegoismus respektieren. Unsere Projekte der „Volksbildung“, (so nennt das der Gesetzgeber) sind dem Gemeinwohl nie einer Parteipolitik verpflichtet. Ohne Illusionen über die Wirkmächtigkeit unseres Handelns übernehmen wir dafür Verantwortung - immer auf der Suche nach Gleichgesinnten und Mittätern. Und mit dem kritischen Rationalismus des Philosophen Karl Popper: „Ich gebe zu, dass ich mich irren kann, dass du recht haben kannst und dass wir zusammen vielleicht der Wahrheit auf die Spur kommen werden“. Der große Denker weiß, eine pluralistische Gesellschaft verändert man nicht sprunghaft, sondern schrittweise. Es geht nicht um publizistische Fleißkärtchen und nicht um Streicheleinheiten von und für bestimmte Gruppen. Es geht um Nutzen und Wirkung. Geprüft wird Idee und Praxis an rationaler Problemlösung zum allgemeinen Wohl.
Die Projektpartner unserer Stiftung können ihre Beiträge vorweisen und darauf stolz sein.
Boris hat kürzlich ein 35 Jahre altes Buch von Peter Sloterdijk ausgegraben. Meinem Beitrag darin gab ich die Überschrift: „Denken folgt auf Schwierigkeiten und geht dem Handeln voraus“. Heute muss ich gestehen: Ich habe nichts hinzugelernt. Auch intellektuelles Schaffen muss immer in die tatsächliche Welt geführt werden. Da wird nicht indoktriniert oder determiniert. Nur dort können Bürgerinnen und Bürger ihre Zukunft frei wählen. Nur das erhält Bürgerstolz und individuelle Verantwortungsbereitschaft. Ereignisgerechte Ordnungs-leistungen des Staates sind nötig, um das Zusammenleben von Menschen konfliktarm zu halten. Sicherheit ist essenziell für die Legitimität eines Staates. Die von Frank Richter vorangetriebenen Publikationen dazu finden viel Zustimmung. Die neue Aufmerksamkeit gilt den Opfern.
Auch Diplomatie ist zivilisatorische Errungenschaft der Menschheitsgeschichte. Sie ist aus Kriegsleid gewachsene Methode der Vernunft, Stärke und Gestaltungskraft. Genau wie Respekt und Toleranz. Das baut Brücken und vertieft nicht Gräben. Hitzköpfe begründen Sorgen. Wir sind in der Nachkriegszeit eingeschlafen und in der Vorkriegszeit aufgewacht.
Ein heute geborenes Baby ist nicht klüger als ein Neandertaler Baby. Die uns jetzt regieren, haben Krieg nicht selbst erlebt. Die Erinnerung ans Entsetzliche wurde vielen nicht vererbt. Da neigt man wohl dazu, es noch einmal ohne Diplomatie zu versuchen. Im Geiste des Langzeitgedächtnisses von Anneliese Brost fördern wir deshalb Projekte des grenzüberschreitenden friedlichen Miteinander. Menschliche Hybris war den alten Griechen der Motor aller Tragödien. Überheblichkeit, Selbstüberschätzung und Hochmut sei Anfang vom Ende. Strotzende Selbstgerechtigkeit gesellt sich gern dazu.
Unsere Stiftung sucht die Bodenhaftung. Das Motto: Alles ist machbar, auch das Gute. Zu würdigen ist: das Gutgemachte und nicht das Gutgemeinte.
Dabei spielen unabhängige aufklärerische Medien eine wichtige Rolle. Mehr als zuvor investieren wir deshalb in Journalismus, der sich unserer „Mission Wahrheit“ verbunden fühlt. Am gleichnamigen neuen Buch hat sich eine spektakuläre Runde von Kennern und Könnern beteiligt. Die Partner, die wir hier gefunden haben, können uns optimistisch stimmen. Überhaupt „Optimismus“. Das ist kein verblasenes Gefühl, kein Pfeifen im Wald. Es ist die Haltung, die zu kreativen Lösungen aktueller Probleme motiviert. Den Projektpartnern, weiteren Unterstützern, Beratern, unseren Gremienmitgliedern und meinen Vorstandskollegen den Herren Dr. Berger und Dr. Sacher danke ich sehr, sehr herzlich. Unser Kuratorium unter dem Vorsitz von Herrn Prof. Dr. Engels gibt uns beständig sehr hilfreiche Impulse. Die vielen guten Erfahrungen, die wir miteinander machen konnten, haben enge Beziehungen und sogar Freundschaften begründet. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stiftung und Palladio sind hoch motiviert und effizient. Um wirksam und nachhaltig zu sein, brauchen wir zusätzlich verlässliche und kundige Partner und Sympathisanten. Wir haben großartige Persönlichkeiten gefunden.
Eine Gesellschaft, die erwartet, dass die Zukunft besser wird, verfällt nicht der frivolen Passivität. Sie investiert in die Zukunft durch Befähigung zu nützlicher Arbeit in Bildung und Wissenschaft oder technologischen Fortschritt. Optimismus trägt zu einem positiven mentalen Umfeld bei. Das fördert individuelle Gesundheit und die psychische Verfassung der Gesellschaft. Till Brönner hat das für uns vertont und Johann Simons visualisiert. Optimistische Menschen neigen dazu, an das Gute in anderen zu glauben. Das fördert Vertrauen und Solidarität. Das stärkt die kollektive Resilienz. Anneliese Brost hat sich nie zur Resignation hinreißen lassen. Für die Stiftung kommt das ohnehin nicht infrage.
Verehrte Gäste, anschwellende Herausforderung und Gegenwind motivieren. Wir können Menschen versammeln, die nicht lamentieren, sich nicht ankleben oder Wände besudeln.
Die tun Gutes.
Solche Partner sind hier. Auch deshalb werden wir optimistischer gehen, als wir gekommen sind. Ich danke und freue mich.