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Stadtschreiber Eilenberger: Anstoß zum neuen Denken!

Ab Oktober wird der Philosoph, Autor und Fußballtrainer im Auftrag der Brost-Stiftung seine „menschliche, kulturelle und historische Schatzsuche“ im Ruhrgebiet beginnen

„Das Ruhrgebiet wird mich jeden Tag neu überraschen.“ So beschrieb Lucas Vogelsang seine Erwartungshaltung zum Start der Stadtschreiber-Zeit. Bei seinem Nachfolger Wolfram Eilenberger (47), ab Oktober 2019 neuer Stadtschreiber Ruhr, dürften sich die Bezüge umkehren: Der bekannte Philosoph, Autor und Publizist wird die Menschen im Ruhrgebiet immer wieder überraschen!
Eilenbergers Begabungen sind so vielfältig, wie seine Biographie vermuten lässt: Er ist begeisterter Angler mit Liebe zu Finnland, schrieb für „Die Zeit“ und den „Tagesspiegel“ sowie das Cicero-Magazin. Gleichzeitig besitzt er als Trainer eine DFB-Lizenz, veröffentlicht seine zugespitzten Gedanken regelmäßig in „Eilenbergers Kabinenpredigt“. Von Januar 2010 bis 2012 unterrichtete er Philosophie an der Universität Toronto, pendelte mit der Familie zwischen Toronto und Berlin. Jetzt wird Mülheim für ein Jahr sein neuer Schreibort.
„Mich interessiert dieser Prozess der Transformation, der uns ja in allen westlichen Gesellschaften bevorsteht“, erläutert Eilenberger die Entscheidung zum Ortswechsel. „Da ist das Ruhrgebiet ein Laboratorium, da findet eine Operation am offenen Herzen statt.“
Prof. Bodo Hombach, stellvertretender Vorsitzender des Vorstands der Brost-Stiftung: „Wenn man ein realistisches Bild seiner Zeit und seiner Region haben möchte, braucht man den Blick von außen. Für Entdecker beginnt eine reiche menschliche, kulturelle und historische Schatzsuche. Wir sind sehr stolz, mit Herrn Eilenberger einen Stadtschreiber begrüßen zu können, der einerseits komplexe Themen anschaulich vermitteln, aber andererseits auch den leichtesten Stoffen noch kluge Beobachtungen abgewinnen kann.“
Das Stadtschreiber-Ruhr-Projekt, von der Brost-Stiftung 2017 initiiert und finanziert, soll das Leben im Ruhrgebiet und der Menschen in all seinen Facetten in Texten und anderen Berichtsformen betrachten. Es will Wissen und Neugier auf das Revier durch die neue Perspektive des Stadtschreibers erweitern.
Nach der Schriftstellerin Gila Lustiger (2017) und dem Autoren Lucas Vogelsang (2018) setzt sich nun Eilenberger aus einer neuen Perspektive mit dem Ruhrgebiet auseinander. Angesichts der Bandbreite seiner klugen und originellen Gedanken darf man darauf gespannt sein.
Der Gründer des Philosophie Magazins stand mit seinem Buch „Zeit der Zauberer“ sieben Monate auf der Spiegel-Bestsellerliste. Mit dessen „Helden“, den großen deutschen Philosophen des beginnenden 20. Jahrhunderts, wird die Mehrheit der Ruhris eher fremdeln. Aber Rezensent Marc Reichwein schreibt in der „Welt“: „Philosophie ist wie Fußball. Derart gekonnt und theatralisch inszeniert Wolfram Eilenberger eine Konferenzschaltung von vier Geistesgrößen der Weimarer Zeit. Der Autor weiß anhand von vier philosophischen Positionen das Dilemma von Weimar darzustellen. Heidegger, Cassirer, Wittgenstein und Benjamin begegnen dem Leser allerdings nicht nur denkend als Figuren ihrer Zeit, sondern auch lebensprall.“
Nach Lucas Vogelsang, der als Fan von Borussia Dortmund der Südtribüne mit der lyrischen Liebeserklärung „In der Wand“ ein geschriebenes Denkmal baute, dürfte auch der neue Stadtschreiber die fußballbegeisterten Menschen der Region auf sein Spielfeld locken. In einer „Kabinenpredigt“ (erscheint bei Zeit Online) hat Eilenberger zum Beispiel das WM-Desaster in Russland treffend analysiert: „Jogis eigentliche Magie bestand einst darin, in das Wirken des vergleichlos qualitätsstarken Spielerpools, den er zu Amtsantritt vorfand, nicht allzu störend einzugreifen. Die Mannschaft ließ ihn gewähren, weil er sie gewähren ließ. Dieser stille Pakt brachte nach dem WM-Sieg auch ein faktisches Aussetzen eben jenes Prinzips mit sich, auf dem jede Nationalauswahl beruhen muss: dem Leistungsprinzip.“
Eilenberger, Mitglied der deutschen Autorennationalmannschaft, möchte sich das Ruhrgebiet freilich nicht direkt über den Fußball erschließen. „Ich verstehe ja die Philosophie als Anreicherung meiner Wahrnehmung“, sagt er im Interview mit der „WAZ“. „Deshalb möchte ich auch an Orte kommen, die gar nicht so unmittelbar am Weg liegen.“ Bevorzugt mit dem Fahrrad. Wir erwarten neugierig den ersten Anstoß des neuen Stadtschreibers Ruhr...
Die bisherigen Beiträge der Stadtschreiber Ruhr können Sie direkt unter diesem Link nachlesen:
Foto: ©Michael Heck