Eva von Redecker stellt sich vor
Am 7. Januar 2024 zog die Philosophin und Autorin Eva von Redecker in die Mülheimer Metropolenschreiber-Residenz ein. Im Auftrag der Brost-Stiftung wird sie für die nächsten neun Monate das Ruhrgebiet erkunden und nach ihrer Amtszeit darüber ein literarisches Werk veröffentlichen.
Die Philosophie ist eine Arbeit mit poetischen Anklängen. Als kritische Theoretiker:innen suchen wir nach Begriffen, die unsichtbare Zwänge greifbar machen. Wie wirkt die Herrschaft, auch über eigentlich Freie? Wo steckt die Gewalt, auch wenn niemand Waffen schwingt? Bisher habe ich mich vor allem mit Eigentum und sozialem Wandel befasst, sowie damit, wie die kapitalistische Wirtschaft die Klimakrise zuspitzt. Genauso interessant ist aber die verborgene Gegenmacht: welche Zuversicht, welche Zukunftsträume finden sich in den Zwischenräumen der bestehenden Verhältnisse? In meinem letzten Buch, Bleibefreiheit, ging es zum Beispiel um den Anspruch auf erfüllte Zeit und darum, einen Ort zu haben, an dem man bleiben kann. Es gibt kreative Momente in der philosophischen Arbeit – das große Glück, plötzlich einen treffenden Begriff zu finden – aber ein Großteil der Tätigkeit ist lauschend. Man lauscht den Stimmen vergangener Größen der Geistesgeschichte. Mich beruhigt, dass in meiner Residenz in Mülheim eine Marx-Gesamtausgabe steht. Aber vor allem lauscht man der Gegenwart. Es sind ja die realen Gegebenheiten und die echten Menschen mit ihren Wünschen, um die es gehen soll. Die erste Aufgabe, der ich mich als Metropolschreiberin verpflichte, ist mit offenen Ohren durch das Ruhrgebiet zu gehen. Nicht zu viele dumme Fragen zu stellen (obwohl die Philosophie auch die Kunst der dummen Fragen ist), sondern mich ansprechen zu lassen.
Ich, das ist übrigens Eva von Redecker. Ich bin auf einem kleinen landwirtschaftlichen Betrieb in Schleswig-Holstein aufgewachsen und lebe auch jetzt wieder auf dem Land, in einem brandenburgischen Dorf. Ich verlaufe mich niemals im Wald, aber ständig in Städten und finde es unnormal, Obst und Gemüse im Supermarkt kaufen zu müssen. Ich bin während meines Philosophiestudiums und meiner wissenschaftlichen Arbeit viel rumgekommen – nach Kiel, Tübingen, Potsdam, Berlin, Cambridge, New York und Verona – aber eigentlich ein Reisemuffel. Im Ruhrgebiet bin ich ein Neuling. Ich weiß viel mehr über Böden als über Bödenschätze. Arbeit stelle ich mir automatisch unter freiem Himmel vor. Ich lasse mich gern eines Besseren belehren.