Direkt zum Inhalt wechseln

„Melting Pott schreit nach einer Fortsetzung“

Till Brönner hängt am 6. Oktober die Fotos seiner erfolgreichen Ausstellung ab. Und macht sich Gedanken über seine Zukunft zwischen Kamera und Trompete.

__________________________________________________

Sie können brüllen vor Begeisterung und stehend applaudieren – diesmal gibt Till Brönner KEINE Zugabe! Am 6. Oktober 2019 fällt der Vorhang für seine Fotoshow „Melting Pott“ in Duisburg, 200 überwiegend großformatige Bilder wandern von den Wänden des Museums Küppersmühle ins Archiv. „Ich werde dabei sein, wenn die Fotos abgehängt werden“, kündigt der weltweit gefeierte Jazztrompeter und Fotograf an. „Vorher möchte ich mich noch einmal bei einem privaten Rundgang von der Ausstellung verabschieden.“

Seit Februar 2018 hatte Brönner auf Einladung der Brost-Stiftung das Ruhrgebiet mit der Kamera erkundet, aus mehr als 1.000 Fotos wurde eine Ausstellung komponiert, in die tausende von Ruhrgebietsmenschen strömten. Brönner: „Es ist ungewöhnlich, dass ein lokales Thema derart großen Widerhall in der unmittelbaren Nachbarschaft findet. In Berlin startet gerade eine ähnliche Ausstellung mit Fotomotiven aus der Stadt, ich bin gespannt, wie viele Besucher dort hingehen werden.“

Mit welchen Gefühlen werden Sie beim „Abschiedsbesuch“ auf Ihre Fotos blicken?

Brönner: „Jeder Rundgang startet mit der gleichen Neugier. Ich kenne immer noch nicht die genaue Position eines jeden Fotos, einzelne Wände wirken immer wieder neu auf mich“, erklärt Brönner. „Die Ausstellung ist ein Ergebnis der Arbeit von vielen Menschen, unter anderem der Kuratorin und des Direktors des Museums Küppersmühle. Es war ja nicht nur das Fotografieren, sondern auch die Auswahl und Formatierung sowie die Hängung im Museum, die „Melting Pott“ seine letztendliche Form gaben.“

Einblocker:

„Ich glaube, dass das Ruhrgebiet mit vielen Klischees über sich selbst konfrontiert worden ist und das manchmal nicht so gut findet. Meine Aufgabe war es, diese Klischees vielleicht nicht zu 100 Prozent zu beleuchten, sondern meine ganz persönliche Till-Brönner-Sicht zu zeigen.“

Würden Sie im Rückblick bestimmte Dinge anders angehen?

Brönner: „Vielleicht, aber wir mussten zum Eröffnungstag punktgenau fertig werden. Man wünscht sich immer, man hätte mehr Zeit gehabt. Aber am Ende bin ich zufrieden: Die Ausstellung zeigt meinen persönlichen Blick aufs Ruhrgebiet, ohne Anspruch auf Vollständigkeit.“

Wie hat sich Ihr Blick auf das Ruhrgebiet im Laufe der Arbeit am Projekt verändert?

Brönner: „Man erlebt hier intensiv, dass Wandel nicht in Nullkommanix geht. Es braucht noch viel mehr Zeit als wir ahnten. Die Bewohner des Ruhrgebiets werden oft mit dem Vorwurf konfrontiert, hier sehe es immer noch aus wie in Nachkriegsdeutschland. Aber man sollte den Zustand einer Region nicht an grauen Hausfassaden festmachen.

Das Ruhrgebiet jedenfalls ist auf dem Weg zum erfolgreichen Strukturwandel. Und die Mentalität der Menschen wirkt dafür geeigneter als in jeder anderen Region Deutschlands.“

 

Was geschieht jetzt mit den Fotos?

„Die Ausstellung bleibt zunächst einmal so zusammen. Aber es wird kaum möglich sein, sie noch einmal ähnlich opulent auf vielen Wänden zu präsentieren.

Sie schreit nach einer Fortsetzung außerhalb des Ruhrgebiets, vielleicht mal in Berlin. Ich bin überzeugt, die Trageweite der Ausstellung geht über die Region hinaus. Sie bietet einen Einblick, wie Deutschland im Jahr 2019 aufgestellt ist.“

Einblocker:

„Das Projekt „Melting Pott“ ist nicht beendet. Es kann einem anderen Ort mit wechselnden Fotos fortgesetzt werden. Ich verstehe es als eine offene Ausstellung.“

Gibt es ein persönliches Lieblingsfoto in der Schau, das Sie sich später einmal in Ihre Wohnung hängen würden?

„Die überdimensionale Nahaufnahme der Dortmunder Südtribüne berührt mich immer wieder. Sie entstand eine halbe Minute vor einem Tor, man spürt die kollektive Anspannung der Fans regelrecht. Und hat durch die Vielzahl der Gesichter ein Gefühl von Nähe und Gemeinschaft.

Aber ich neige nicht dazu, mir meine eigenen Arbeiten vor die Nase zu hängen. Wenn ein Werk fertig ist, entwickle ich spontan erst einmal Distanz dazu. Manchmal dauert es acht bis zehn Jahre, ehe ich im Rückblick sage, ein Musikalbum war besonders gelungen.“

 

Stichwort Album: Nach dem Exkurs in die Fotografie widmen Sie sich wieder der Trompete, im nächsten Jahr soll ein neues Album erscheinen?

„Ich bin gerade aus Südfrankreich zurückgekehrt, habe dort im Studio mit dem legendären Pianisten Bob James und dem Schlagzeuger Harvey Mason in einer sehr minimalistischen Besetzung aufgenommen. Das Album soll im März 2020 erscheinen.

Vorher gibt es im November eine große Deutschland-Tournee, in deren Mittelpunkt erstmals ein Weihnachtsalbum steht. Das haben wir bereits 2008 einmal aufgenommen und wir sind vom dauerhaften Erfolg noch immer überrascht.“

Liegt nach den Erlebnissen der letzten Monate nun die Kamera Ihrem Herzen näher als die Trompete?

„Die Trompete ist untrennbar mit mir verbunden. Und die Kamera jetzt eben auch. Bei der Studioarbeit für ein neues Album ist aber eine Konzentration auf die Musik angezeigt.

Jazz und Fotografie liegen jedoch sehr eng zusammen, die Musik hat auch eine eigene Bildsprache. Nicht nur in der Gestaltung eines Covers, das ja Assoziationen zur Musik wecken soll und umgekehrt.

Es ist für mich ein Fernziel, einmal mit einer Mischform aus Musik und eigener Fotografie auf der Bühne zu stehen oder beides in einer anderen Darstellungsform zu präsentieren. Aber immer als eine Geschichte von mir, als etwas selbst Erlebtes, Authentisches. Etwas anderes glaubt einem auch keiner.“