Rampensau im U-Bahntunnel

Rampensau im U-Bahntunnel
Stefan Gwildis begeisterte als Überraschungsgast bei den „Urbahn Music Sessions“
Das spontane Konzert in der zugigen Essener U-Bahn empfand Stefan Gwildis wie ein Heimspiel – der Überraschungsgast bei der ersten „Urbahn Music Session“ 2025 fühlte sich an die Anfänge seiner Karriere erinnert. „Ich komme von der Straße. In der Käseglocke in Wandsbek habe ich mein erstes Konzert gegeben“, erzählt der Sänger und Schauspieler. „Die Location war genau wie die heutige. Ein Durchgang mit einer großen Glasglocke zwischen zwei U-Bahn-Stationen.“ Der große Unterschied: „Es ist fast niemand stehen geblieben! Da habe ich gemerkt, dass ich noch viel an meinem Gesang arbeiten muss.“
Das hat der heute 66-Jährige offensichtlich gut hinbekommen: Mehr als 350 begeisterte Menschen sangen, klatschten und tanzten zum „spontanen“ Auftritt des Hamburger Multitalentes unter dem Essener Rathaus mit. „Für mich war das heute ein Riesenvergnügen“, fasste Gwildis beim verdienten Pils aus der Flasche nach der letzten Zugabe zusammen.
Für die Macher von „Urbahn Music Sessions“ erwies sich der Überraschungsgast ebenfalls als Volltreffer. „Stefan ist halt eine echte Rampensau“, so der Sänger und Keyboarder Benjamin „Benny“ Nauschütz. Gemeinsam mit Sängerin Joyce van de Pol sowie Saxophonist Joël van de Pol hat er das Konzept der spontan-geplanten Konzerte ins Leben gerufen, aus dem sich mit Unterstützung der Brost-Stiftung ein Erfolgsformat entwickelt hat. Die Konzerte werden angekündigt, der Überraschungsgast bleibt allerdings bis zuletzt geheim.

„Ist das eine geile Band?“
2024 hat das Trio damit begonnen, „die Essener U-Bahn in Konzerthallen zu verwandeln“, erzählt Joyce van de Pol. Ein Ort, an dem die Menschen sonst schnell durchhetzen, um ihre nächste Bahn zu erreichen, wird unerwartet mit Klängen, Emotionen und Livemusik gefüllt.
Neben Joyce van de Pol (Gesang), Benjamin Nauschütz (Keyboard), Joël van de Pol (Saxophone) sind auch Alexander Rink (Gitarre), Bassist Robert Schulenburg und Schlagzeuger Claus Schulte ausgebildete Musiker, die an der Essener Folkwang-Universität studiert haben. An diesem sonnigen Mittwoch begeisterten sie auch unter der Erde ihren früheren Professor als Zuhörer, die dichtgedrängte Zuschauergruppe und natürlich ihren Überraschungsgast. „Ist das eine geile Band?“, fragte Gwildis eher rhetorisch in die Menge.
Die Botschaft ist BUNT!
An diesem Abend war der Träger der Goldenen Stimmgabel (2003) freilich der Topact. In einer Mischung aus Gospelandacht und Hamburger Hafenrundfahrt rockte der ausgebildete Stuntman, der nebenbei als Lagerarbeiter, LKW-Fahrer, Sonnenbankaufsteller und Weihnachtsmann seinen Lebensunterhalt verdiente, Konzertbesucher (die sich vorher informiert hatten) und „Stehenbleiber“ gleichermaßen. Mit seinen sehr eigenen Cover-Versionen diverser Welthits von „Walking in Memphis“ bis „Sittin´ at the dock of the bay“ animierte er zum Mitsingen, rief die „Brüder und Schwestern“ zwischendurch immer wieder zur Achtsamkeit gegenüber Rechtsextremismus und gesellschaftlicher Intoleranz auf. Sein gesungenes Glaubensbekenntnis – „Ich will es BUNT! …“. Bei der Großdemonstration gegen Rechts 2024 in Hamburg trat er ebenso auf wie 2007, als Al Gore bereits vor der globalen Erderwärmung warnte.
Am Ende dieses einzigartigen Abends zwischen Getränkekühlern und Fahrkartenautomaten stand ein Publikum, das beseelt applaudierte – nicht ohne eine letzte Zugabe. Auch die mitgebrachten CDs fanden schnell ihre Abnehmer. Zwischen dem ersten Straßenkonzert unter einer Glasglocke in Hamburg-Wandsbek und der improvisierten U-Bahn-Session in Essen liegen viele Jahre, viele Geschichten – und ein Musiker, der seiner Linie treu geblieben ist.
Alle Fotos (c) Hendrik van de Pol

