Schon ausgecheckt? – „Star-Schmiede Ruhrgebiet: If you make it there you make it anywhere…“
Wie tickt das Ruhrgebiet? Was ist so besonders am Pott und was bewegt die Menschen?
All diesen Fragen geht die Beteiligungsplattform „CheckPott“ auf den Grund. Das von der Brost-Akademie und Brost-Stiftung beauftragte Projekt ist eine Seite für alle, die den Ruhrpott mit anderen Augen betrachten und ganz neu kennenlernen möchten. Eine Plattform für alles, was im Pott für Diskussionen sorgt. In dieser Serie präsentieren wir eine Auswahl an Beiträgen und aktueller Themen rund ums Revier. Heute:
Diese ganz besonderen Bretter, sie bedeuten im Revier wirklich die Welt. Denn Theater sind im Pott mehr als nur eine Bühne. Sie verschaffen der Region Bedeutung und Vielfalt, weit über Nordrhein-Westfalen hinaus
Es war Liebe auf den ersten Blick, als ich das erste Mal ins Theater ging. In ein richtiges Theater. Zuvor kannte ich nur den Kasperle oder Aufführungen der Grundschule und, ohne den Laien zu nahetreten zu wollen, hatte ich so geprägt eher eine Abneigung gegen künstlerische Kostproben auf der Bühne. Leander Haußmann war Intendant am Bochumer Schauspielhaus, als dort meine Leidenschaft für die Bretter, die die Welt bedeuten, entfachte. Haußmann, bundesweit bekannt durch Filme wie „Sonnenallee“ oder „Das Pubertier“, und auch bekannt durch eine Schlägerei mit einem der Theater-Regisseure, riss meine Vorurteile, Theater sei elitär, spießig und irgendwie überholt, in viele kleine Fetzen. Nie werde ich die Inszenierung von Shakespeares „Viel Lärm um nichts“, unterlegt mit Rockhits wie dem Sweet-Evergreen „Ballroom Blitz“, vergessen. Erst später sollte ich herausfinden, dass die Kombination von Jugendsprache und Populär-Musik weniger genial als vielmehr eine Standardstrategie der Theatermacher ist. Die aber bis heute bestens funktioniert. Dem Theater hielt ich trotz Enttarnung gewisser Massenstrategien die Treue und sah dort in Bochum viele Schauspielerinnen und Schauspieler um ihr Leben spielen, die entweder schon feste Größen im TV waren oder – und das kam deutlich häufiger vor – echte Stars werden sollten. „If you make it there you make it anywhere“, sang Frank Sinatra einst über New York. Für Bochum oder das Ruhrgebiet allgemein gilt das aber auch. Hier wirste was. Die jüngste Theatergründung war die des Theaters an der Ruhr in Mülheim 1981. Aktuell findet man im Ruhrgebiet u.a. acht Theater und gut 150 Bühnen in freier Trägerschaft.
Acht Theater, gut 150 Bühnen
Dass unsere Region heute als dichteste Theaterlandschaft der Welt gilt, war, wie so oft im Ruhrgebiet, ein langer zäher Weg. Zwar gab es bereits Mitte des 15. Jahrhunderts öffentliche Theater, etwa in Essen, Duisburg oder Dortmund, doch hier wurden überwiegend biblische Themen aufgeführt. Breitere Bevölkerungsschichten entdeckten die Welt der Bühnen erst im Laufe des 19. Jahrhunderts mit der Industrialisierung und steigenden Einkommen für sich.
Das Grillo-Theater: erstmals eine Bühne für alle
So teilte der Großindustrielle Friedrich Grillo im Oktober 1887 mit, seiner Heimatstadt für den Bau eines Theaters eine halbe Million Mark, notfalls auch mehr, zu spenden und Zeit seines Lebens für dessen Unterhaltskosten aufkommen zu wollen. Bevor es aber zu einem offiziellen Vertrag kam, verstarb der Förderer. Glücklicherweise löste seine Witwe das Versprechen ihres Mannes ein – und eine echte, renommierte Landschaft begann zu blühen. Die Fassade des Grillo-Theaters ist heute moderner, die Platzzahl wurde reduziert, seine Bedeutung aber bleibt unbestritten: Seit über 130 Jahren steht das Essener Grillo-Theater für die Idee eines Volkstheaters. Erstmals nicht von fürstlicher Hand errichtet, sondern aus bürgerlichem Gemeinwohl-Gedanken entstanden.
Die Entstehungsgeschichte des Schauspielhauses Bochum beginnt kurz darauf, 1908, als das Apollo-Theater, ein Varieté-Theater des Bauunternehmers Clemens Erlemann, an der Königsallee eröffnet. Nach dem Bankrott Erlemanns kaufte die Stadt das Theatergebäude 1914. Während des Ersten Weltkrieges finden jedoch nur Gastspiele statt. Am 30. Dezember 1915 eröffnet das Stadttheater Bochum mit Friedrich Schillers „Don Carlos“, einem Gastspiel des Düsseldorfer Schauspielhauses. Richtig Leben eingehaucht wird dem Theater erst ab November 1918 mit dem Beginn der Intendanz von Saladin Schmitt, der das erste Bochumer Ensemble engagiert. Unter Schmitt macht sich das Theater schon bald als Shakespeare-Bühne einen Namen.
Bei einem Luftangriff am 4. November 1944 wurde das Theater allerdings fast völlig zerstört. In den acht Jahren von 1945 bis zum Wiederaufbau wurde in den Räumen des Restaurants im Bochumer Stadtpark gespielt. Während der Spielbetrieb so aufrechterhalten werden konnte, entstand an der Königsallee, teils auf den alten Fundamenten, bis zum Herbst 1953 das heutige Schauspielhaus Bochum. Jedes Jahr strömen weit über 100.000 Besucherinnen und Besucher hierher. Nach prominenten Intendanten von Peter Zadek über Claus Peymann ist aktuell Johan Simons am Werk. Der niederländische Theatermacher ist ein echter Fan des Potts, war zuvor schon Ruhrtriennale-Intendant. „Ich fühle mich im Ruhrgebiet sehr wohl. Ich mag die Mentalität: Die Menschen sind ehrlich, neugierig und offen, sich auf Theater und Kunst einzulassen”, sagt er bei seiner Vorstellung 2018.
Strukturwandel kostet, auch kulturell
„Wenn man sieht, welchen Strukturwandel diese Region hinter sich hat, ist man doch erstaunt, mit welcher Selbstverständlichkeit hier Theaterförderung betrieben wird”, sagte der langjährige Geschäftsführer des Deutschen Bühnenvereins, Rolf Bolwin (bis 2016 im Amt), einmal. Recht hat er. Auch Städte mit Finanzproblemen leisten sich ihre Bühnen und das ist auch genau richtig so. Strukturwandel kostet.
Dazu gehört auch, in den Nachwuchs zu investieren. Getreu dem Pott-Motto: „Junge, lern was Anständiges“. Eine der renommiertesten Ausbildungsstätten für Theaterberufe im Ruhrgebiet ist die Folkwang Universität der Künste, die Standorte in Essen, Duisburg, Bochum und Dortmund hat. Die Folkwang Universität der Künste geht zurück auf die 1927 gegründete Folkwangschule und Tanzpionier Kurt Jooss. Die Schauspielausbildung dort hat mit ihrer interdisziplinären Ausrichtung durch die Einbindung verschiedener Folkwang Disziplinen ein besonderes Profil. Schauspielerinnen und Schauspieler wie Lina Beckmann, Karoline Eichhorn, Jürgen Prochnow, Armin Rohde oder Star-Choreografin und Ballett-Direktorin Pina Bausch sind nur einige der berühmten Absolventinnen und Absolventen.
Die Westfälische Schauspielschule Bochum, die im Jahr 2000 in die Folkwang Universität der Künste integriert wurde, war eine weitere wichtige Institution im Ruhrgebiet. Durch die enge Zusammenarbeit mit dem Schauspielhaus Bochum erhalten Studierende hier intensive Praxiserfahrungen. Die Tatort-Stars Dietmar Bär (Kölner Tatort) oder Martin Brambach (Tatort Dresden) machten hier ihren Abschluss, genauso wie Uwe Ochsenknecht, Martin Wuttke, Esther Schweins, Diana Körner, Andreas Pietschmann, Peter Lohmeyer oder Sabine Postel – um nur eine kleine Auswahl zu nennen.
Als Wirtschaftskraft funktionieren Theater allerdings wenig bis kaum. Viele werden stark gefördert, Umsätze schwanken, teils auch mit dem Ego der Intendanten. Ihr Ensemble teils auch vor deutlich geleerten Rängen zu spielen, halten solche Künstler gut aus. Manchmal zu gut. Und noch hält es auch das Revier aus, wenn Stücke mal floppen, ganze Spielzeiten schwierig sind.
„Tatort“-Kommissare machten hier ihren Abschluss
Wichtiger sind oft Strahlkraft und Kettenreaktionen. Städte mit einem renommierten Theater, einer Oper, einem Musical, sie wirken anders. In einer vom Abschied der schwerindustriellen Bedeutung geprägten Region ist das oft der einzige Weg, noch wer zu sein. Ein Star, die/der mal bei uns „großgeworden“ ist und er plötzlich Kino und Fernsehen am Fließband macht? Das tut gut. Und als Booster des kulturellen Sektors funktioniert das allemal.
Milliarden-Umsätze in der Kultur- und Kreativwirtschaft
Um eine Milliarde Euro sind die Umsätze in der sogenannten Kultur- und Kreativwirtschaft im Revier allein von 2012 bis 2019 auf 7,1 Milliarden Euro angewachsen. Das sind insgesamt 16 Prozent Plus. Mittlerweile gehört jeder 14. Betrieb im Ruhrgebiet diesem Sektor an. Bochum, Dortmund und Essen sind die Treiber der Kultur- und Kreativwirtschaft in der Metropole Ruhr. Ein entscheidender Faktor für die Konzentration ist die starke Hochschullandschaft im Ruhrgebiet. Und die ist in Bochum, Dortmund und Essen mit starken Kreativkompetenzen vertreten; die Fachhochschule Dortmund mit ihrem renommierten Fachbereich Design und die TU Dortmund mit dem Studiengang Musikjournalismus, die Ruhr-Universität Bochum mit ihrem Studiengang der Theaterwissenschaft sowie die Folkwang Universität der Künste mit einem Standort in Bochum (Institut für Pop-Musik) und zwei Standorten in Essen.
Kunst und Kreativität machen heute Kohle. Besonders dort, wo einst die Kohle alles war.