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Rückblick auf ein Jahr voller Herausforderungen

Zeitenwende – heute tun, was morgen nützt“

Unter dieser Überschrift fasste die Brost-Stiftung ihre Projekte und Initiativen im abgelaufenen Jahr 2022 zusammen. Die letzten 12 Monate gehörten zu den herausfordernden in mehr als einem Jahrzehnt Stiftungsgeschichte, nicht nur wegen der noch schwelenden Coronakrise.

„In jeder Morgenzeitung stehen plausible Gründe für Schockstarre und Angstblockade: Die konkreten Auswirkungen des Klimawandels. Der Blind- und Taumelflug durch die Pandemie. Der irrationale Krieg in der Ukraine. Die vielleicht noch nicht galoppierende, aber schon trabende Inflation“, schrieb Professor Bodo Hombach als Vorstandsvorsitzender in seiner Einführung zur gedruckten Stiftungsbilanz.

Konsequenz wachsender Herausforderungen sind gesteigerte Anstrengungen, im Sinne von Stifterin Anneliese Brost und dem von ihr formulierten Auftrag. Hombach: „Jedes kleine oder große Projekt stößt auf seine – oft auf neue – Art ins Unbekannte vor, bündelt gleichgesinnte Kräfte und erprobt nützliche Ideen, immer mit dem Anspruch Jetzt und Hier.“

Blicken wir gemeinsam auf 12 „Brost-Momente“ eines bewegten Jahres:

Schnelle Hilfe in größter Not

Tausende vor dem Krieg flüchtende Menschen sind inzwischen im Ruhrgebiet angekommen, der Diakonieverband Oberhausen lieferte mit Unterstützung der Brost-Stiftung ein Beispiel zupackender Hilfe. Eine ehemalige Hausmeisterwohnung wurde renoviert, zwei Familien mit zusammen fünf Kindern werden dort seit dem Frühjahr von Geschäftsführer Stefan Gill und seinem Team betreut.

Darüber hinaus beteiligte sich die Brost-Stiftung mit Spenden in Höhe von 78.000 Euro an den Hilfsaktionen der Stiftung Universitätsmedizin Essen. Hier wurden nicht nur mehrere Lieferungen medizinischer Hilfsgüter organisiert, sondern auch schwer krebskranke Kinder und Jugendliche an der Uniklinik Essen weiterbehandelt.

Auch bei der Wohnraumbeschaffung für geflüchtete Menschen aus der Ukraine konnte die Brost-Stiftung kurzfristig, unbürokratisch und unmittelbar helfen. 


Bildung unter einem Dach

Im März hob sich nach langer Vorbereitung der Vorhang, inzwischen entwickelte sich die Brost-Akademie zur neuen Heimat für die gesellschaftspolitischen Aktivitäten der Stiftung. Dem Motto folgend: „aus dem Ruhrgebiet für das Ruhrgebiet“. Die gemeinnützige Institution stellt als hundertprozentige Tochter der Brost-Stiftung vor allem den Vorbildcharakter des Ruhrgebiets für andere Regionen in den Fokus.

Begleitet von der Podcast-Reihe „Revier im Fadenkreuz“ bildete ein Diskussionsforum zum Thema „Innere Sicherheit“ den Schwerpunkt in diesem Jahr. Parallel erschienen die ersten drei Bände der Brost-Bibliothek.

„In einer Zeit tiefgreifenden Wandels muss es darum gehen, die Zeichen zu erkennen, brachliegende Ressourcen zu aktivieren und die Region als attraktiven Lebensraum zu fördern“, erklärt Professor Bodo Hombach, der als ehrenamtlicher Präsident die Akademie führt. 


Weltkunst auf Weltreise

Alles begann mit 67, teilweise großformatigen, Leinwänden. Im Osthaus Museum Hagen dokumentierte eine spektakuläre Bilderschau die andere künstlerische Seite von Dieter Nuhr. Das Ausstellungsprojekt mit dem TV-bekannten Comedian gehörte zu den Höhepunkten des Stiftungsjahres.

Nuhr versteht seine Kunst als einen „Vorschlag, den der Betrachter annehmen oder ablehnen kann“, ganz bewusst verzichtet er auf „Statements oder Botschaften“. Um zusätzliche Arbeiten ergänzt war „Von Fernen umgeben“ ab dem

1. September in Venedig und anschließend (26. November bis 17. Dezember) im Senegal zu sehen, weitere Stationen wie Rom sollen folgen. „So schließt sich ein Kreis“, erläutert Nuhr. „Ich nehme durch die Fotografien immer etwas mit, behalte etwas von dem, was ich gesehen habe. Mit den Ausstellungen kehren die Bilder jetzt sozusagen in ihre Heimat.


Der Tod steckt voller Leben

Drei bemerkenswerte Frauen wurden 2022 mit dem Brost-Ruhr Preis geehrt, Dr. Marianne Kloke sowie Dr. Ferya Banaz Yazar und Dr. Nicole Selbach erhielten jeweils 25.000 Euro. Damit fördern die Palliativmedizinerinnen eigene Forschungsprojekte.

Professor Bodo Hombach begründete die Entscheidung: „Die Stiftung will ihren Beitrag dazu leisten, diesem so existenziellen Teil der medizinischen Vor- und Fürsorge mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen und ihn besser auszustatten. So, wie es sich für eine humane Gesellschaft gehört.“

Im Rahmen der Brost-Bibliothek erschien dazu das Buch „Das Leben vom Ende her denken“, bei dessen Vorstellung Prof. Dr. Jeanne Niklas-Faust, Geschäftsführerin der Bundesvereinigung Lebenshilfe, appellierte: „Es sollte uns allen bewusst sein, wieviel Leben im Sterben ist.“


Existenzangst wohnt gleich nebenan

Es ist eine Statistik der nackten Not, für die sich nicht nur die politisch Verantwortlichen schämen müssen. 630 verzweifelte Menschen hat die Sozialarbeiterin Gabi Spitmann bereits im ersten Halbjahr 2022 beraten, detailliert erfasst beim Mülheimer Arbeitslosenzentrum (MALZ). 

Mit rund 85.000 Euro sicherte die Brost-Stiftung den Fortbestand der Beratungsstelle, die von einem Förderverein getragen wird. Vor Spitmann sitzen immer mehr Menschen, die trotz aller Anstrengung und teilweise Vollzeitarbeit das Lebensnotwendige nicht zusammen bekommen. Sie sind aktuell vor allem angesichts steigender Kosten für Lebenshaltung und Energie schlicht verzweifelt. Spitmann: „Mir hat kürzlich eine Frau erzählt, dass sie seit Ausbruch des Ukrainekrieges ihren Elektroherd nicht mehr anschaltet, aus Furcht vor den Stromkosten. Sie ernährte sich ab der fünften Kriegswoche nur noch von Toast und Marmelade.“

Neben praktischer Hilfe bei Abmahnungen und Kündigungen, Fragen zum Arbeitslosengeld I und Hartz IV, beim Ausfüllen von Anträgen und Verstehen von Bescheiden, bei der Grundsicherung im Alter und Krankengeld, bei Eltern- und Kindergeld, bei Bewerbungen und Qualifizierung steht bei vielen Ratsuchenden Unterstützung bei der reinen Existenzsicherung im Vordergrund.


Zukunft braucht Bewegung

Eine aktuelle Umfrage unter Eltern belegt zufällige Beobachtungen im Alltag: Jedes sechste Kind in Deutschland ist seit Beginn der Corona-Pandemie dicker geworden, fast die Hälfte bewegt sich weniger als zuvor, etwa ein Viertel isst mehr Süßes.

Die Brost-Stiftung versucht nachhaltig, mit verschiedenen Projekten diesen Trend zu brechen und jungen Menschen Bewegungsanreize sowie Impulse zur gesunden Ernährung zu vermitteln.

Seit 2016 bereits wird am „Kindermobil“ mehrfach in der Woche an regelmäßig angefahrenen Standorten im Essener Norden gemeinsam gekocht, gespielt und auch gelernt.

Über das Projekt „DoppelSpass“ können Vereine aktuell Zuschüsse beantragen, um den Austausch junger Sportler mit befreundeten Klubs zu fördern. Inzwischen haben neben der C-Jugend der DJK Essen-Holsterhausen auch die Rolli-Tennissportler des SV Windhagen die jeweils 4000 Euro zur Finanzierung von Unterbringung und Verpflegung, Reisekosten sowie Kulturprogramm erhalten.

Mit dem Verein „Be strong for Kids“ macht sich die Brost-Stiftung stark für mehr Schwimmunterricht, durch den Lockdown konnten rund 40.000 Grundschüler allein in NRW nicht Schwimmen lernen. MiMa Sports hat alternative Sport- und Spielformen entwickelt, mit denen Grundschüler in Lünen und Selm in Bewegung gebracht werden.


Angst und neue Rückschläge

Mitte Juli 2022 gab es Berliner und Käsewürfel: Vor einem von der Caritas errichteten Tiny-Haus trafen sich betroffene Anwohner des Campingplatzes „Freizeitdomizil Ruhrtal“ zum Austausch.

Die Bilanz fällt unterschiedlich aus, während einige der Geschädigten der Flut vom Sommer 2021 inzwischen wieder in (trockenen) eigenen vier Wänden leben, kämpfen andere noch mit den Folgen. Viele Anträge auf Wiederaufbau wurden vom Land NRW zurückgewiesen, weil die rechtlichen Lebensumstände der Dauercamper nicht geklärt sind.

Hier half die Brost-Stiftung schnell: 250.000 Euro Soforthilfe stellte der Vorstand zur Verfügung, 150.000 Euro wurden davon bereits abgerufen und verteilt. Petra Backhoff, Koordinatorin der Caritas-Hilfsmaßnahmen vor Ort: „Wenn auch oberflächlich die meisten Schäden behoben werden konnten, so bleibt für uns die Angst, ob ein solches Ereignis noch einmal kommen wird tief in unsere Seelen eingeschrieben. Hinzu kommen neue Rückschläge, wie jetzt enorme Energieforderungen aufgrund der hohen Verbräuche durch Trockengeräte und Ventilatoren. Es reißt nicht ab.“


Theater in neuer Dimension

Um Risiken und Nebenwirkungen bei dieser völlig neuen Theatererfahrung zu begrenzen, liefert das Schauspiel Essen einen schriftlichen Leitfaden zur Anwendung. Der wichtigste Hinweis darin: „Benutzen Sie bitte nach Möglichkeit einen drehbaren Stuhl, um den dreidimensionalen Raum der VR-Technik in Gänze wahrnehmen zu können.“

In der mit Förderung der Brost-Stiftung von Regisseur Thomas Krupa umgesetzten Romanvorlage „Die Wand. 360 Grad“ von Marlen Haushofer wird ein Alptraum zur Realität: Die Heldin läuft im Wald plötzlich gegen eine Wand, mitten in der Landschaft – unsichtbar, undurchdringlich, endlos. Allein auf sich gestellt muss sie in der Natur des Waldes ums nackte Überleben kämpfen.

Mit Aufsetzen von 3-D-Brille Brille und Kopfhörer werden die Betrachter aus ihrer Umgebung gerissen, befinden sich plötzlich mit Schauspielerin Floriane Kleinpaß in einem Raum und schauen durch bodenhohe Fenster in den Wald. Sie folgen automatisch den Geräuschen, suchen nach deren Ursache (dabei hilft der Drehstuhl!).

 Mit den Mitteln der Virtual Reality erreicht das Theater eine neue Dimension. Regisseur Thomas Krupa: „Ich bin unmittelbar anwesend mit der Heldin hinter der gläsernen Wand. Ich kann jeden ihrer Schritte hautnah mitverfolgen und die Gedanken, die ihr dabei durch den Kopf schießen, mithören. Im besten Fall entsteht ein dreidimensionales Bild- und Klangerlebnis, in das ich komplett eintauchen kann.“


Erfolgreiche Schatzsuche

Im Oktober wurden wieder die Hausschlüssel weitergereicht: Ingo Schulze zog als „Metropolenschreiber Ruhr“ in Mülheim an der Ruhr ein, nachdem Per Leo den „Inspirations- und Leseort“ verlassen hatte. Nach dem mehrfach ausgezeichneten Schulze setzt im März 2023 die Thomas-Mann-Preisträgerin Nora Bossong den Reigen fort.

Die „Metropolenschreiber“ sind zu einem festen Bestandteil des Literaturbetriebes im Ruhrgebiet geworden, was nicht nur die regelmäßige Präsenz bei der Lit.Ruhr belegt. Mit dem Blick von außen stießen Gila Lustiger und ihre Nachfolger in vielfältiger Form Debatten zur gesellschaftlichen Gestaltung Region an.

Per Leo bewegte sich auf Spuren von Michael Zimmermann, einem 1951 in Mülheim geborenen Historiker, der durch zahlreiche Veröffentlichungen vor allem zum „Porajmos“, der Verfolgung von Roma im Nationalsozialismus, hervorgetreten ist. Zimmermann gehört zu den herausragenden Vertretern der Essener Schule, die Geschichtsforschung primär auf der Grundlage von Befragung der Zeitzeugen betrieb („Oral History“). Leo: „Im Mittelpunkt eines Essaybandes, der im nächsten Jahr erscheinen soll, steht der Mensch Zimmermann. Und die Geschichte eines schon tragisch anmutenden Scheiterns des Projektes.“

Das Projekt „Metropolenschreiber Ruhr“ entwickelt sich dagegen zur Erfolgsgeschichte, ganz im Sinne der von Professor Hombach formulierten Idee: „Wenn man ein realistisches Bild seiner Zeit und seiner Region haben möchte, braucht man den Blick von außen. Für Entdecker beginnt eine reiche menschliche, kulturelle und historische Schatzsuche.“


Räume zum Träumen

Hier geht’s direkt ins Museum: https://broststiftung.ruhr/virtuellesmuseum/ !

Hätten Sie auch manchmal Lust, nach Feierabend noch eine Ausstellung zu besuchen? Wie wär‘s mit der oben beschriebnen Bilderschau von Dieter Nuhr, die derzeit auf Welttournee unterwegs ist? Die Brost-Stiftung macht’s möglich im digitalen Museum, den 2022 eröffneten BrosTRäumen. Kostenlos. Barrierefrei. Zeitlich unbegrenzt. 

Besucher müssen nicht mehr weite Wege in Kauf nehmen oder hohe Eintrittspreise bezahlen, um hochkarätige Kunst zu sehen. Das geht jetzt über die Homepage der Stiftung. Das Projekt trägt so der Tatsache Rechnung, dass Stiftungen im Kunstbereich immer mehr Bedeutung zukommt. Nicht nur in der Förderung von Kunstprojekten, sondern auch in deren Vermittlung.

Nach Dieter Nuhrs digitaler Malerei soll im nächsten Jahr auch die vielbeachtete Fotoschau „Melting Pott“ von Till Brönner in den BrosTRäumen jederzeit zugänglich sein.


Klartext als Kernkompetenz

Aller guten Dinge sind drei: Gastgeber Hajo Schumacher plant bereits die dritte Staffel des BrostCast. Fortsetzung einer Gesprächsreihe nach dem Motto: „Kluge und optimistische Stimmen aus dem Ruhrgebiet“.

Die auch schon mal Tacheles reden, wie der in Gelsenkirchen geborene Comedian Bastian Bielendorfer, der zum Auftakt der zweiten Staffel angeregt hatte, „Gelsenkirchen komplett auf links zu drehen“. Was Schumacher entspannt zur Kenntnis nahm: „Klartext reden, das ist eine Kernkompetenz der Menschen im Ruhrgebiet.“

Stiftungsvorstand Prof. Bodo Hombach wünscht sich auch in der Fortsetzung nach 18 erfolgreichen Folgen weiter engagierte Diskussionen: „Die Stiftung will Gutes für die Region und die hier lebenden Menschen anregen und auch selber tun. Dazu muss sie zuhören und gehört werden. Das Podcast-Projekt wird in diesem Sinne wirken.“


Bis zum Schluss in Würde leben

Am 8. Dezember 2022 begann an der Universitätsklinik Essen eine aufwändig vorbereitete Studie unter Leitung von Professor Tienush Rassaf. Gemeinsam mit der Universität Heidelberg sowie der Berliner Charité wollen Rassaf und seine Kollegen auf der Grundlage von 72 betreuten Krebspatienten im Endstadium in den nächsten 18 Monaten herausfinden, ob häufige Beschwerden wie Kurzatmigkeit und Kraftlosigkeit mit der fallgenauen Verabreichung von Medikamenten, die üblicher Weise bei Patienten mit Herzschwäche eingesetzt werden, gelindert werden können.

Das könnte helfen, eine gewisse Selbstständigkeit der oft bereits palliativ behandelten Menschen im Alltag beizubehalten.

„Es geht nicht darum, Leben und Leid zu verlängern“, so Rassaf. „Sondern darum, in den verbleibenden letzten Tagen oder Wochen eine gewisse Lebensqualität zu erhalten. Dem kranken Menschen bis zum letzten Atemzug ein würdevolles Leben zu ermöglichen, das ist das Ziel unseres Projekts. Über einen neuartigen Ansatz möchten wir erreichen, dass die oft bereits palliativ behandelten Menschen sich weiterhin selbstständig waschen oder zur Toilette gehen können. 

Das Ergebnis der Studie, die von der Brost-Stiftung mit 600.000 Euro gefördert wird, soll die medizinischen Leitlinien verändern.

P.S: Seit Gründung hat die Brost-Stiftung 167 Projekte mit insgesamt rund 38 Millionen Euro gefördert!