Von Facebook lernen heißt Überleben lernen
Im Rahmen des Brost-Projektes „Perspektiven für den Lokaljournalismus an Rhein und Ruhr“ diskutierten Wissenschaftler und Medienprofis über digitale Geschäftsmodelle
„Der Lokaljournalismus hat kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem!“ Die ambitionierte Aussage von Dr. Jost Lübben, Chefredakteur Westfalenpost, zu Beginn der Debatte über „Digitale Geschäftsmodelle im Lokaljournalismus“ überraschte nicht wenige Zuhörer in einem Problemfeld voller Widersprüche:90 Prozent der Deutschen bezeichnen in einer vom WDR finanzierten Studie von Infratest dimap die Qualität der Informationen in Zeitungen, Zeitschriften, Radio, Fernsehen und Internet hierzulande als sehr gut oder gut. Gleichzeitig halten es rund 60 Prozent der Befragten in einer Untersuchung im Auftrag des Landesamtes für Medien NRW für „unwahrscheinlich“ bis „sehr unwahrscheinlich“, dass sie in Zukunft für digitalen Journalismus zahlen werden.
„Warum für die Kuh zahlen, wenn es die Milch auch umsonst gibt?“
Probandin (38) aus der Buschow-Studie
Welche „Perspektiven für den Lokaljournalismus an Rhein und Ruhr“ lassen sich daraus ableiten? Im Rahmen des gleichnamigen Projektes hatte die Brost-Stiftung erneut Experten und Zeitungsprofis, allesamt von den Herausforderungen des medialen Strukturwandels betroffen, zu einem Workshop ins Hotel Franz nach Essen eingeladen. Ging es in den vorhergehenden Diskussionen primär um Bestandsaufnahme sowie inhaltlichen Relaunch, stand diesmal die technische Umsetzbarkeit von Journalismus am Ende des Printzeitalters im Vordergrund.
Die Kenntnisse der Spielregeln in einer von Facebook, Google oder Amazon beherrschten digitalen Welt wird für die Medienhäuser zur existentiellen Herausforderung. „Ohne Paid Content überlebt die freie Presse nicht“, stellte Dr. Helge Matthiesen, Chefredakteur Bonner General-Anzeiger, in der Anmoderation nüchtern fest. Aber wie gewinnt man zahlungswillige Kunden in einem Land, dessen „Zahlungsbereitschaft für digitale Inhalte“ laut Professor Dr. Christopher Buschow „stark unterentwickelt ist“?
Aus seiner gemeinsam mit Christian Wellbrock durchgeführten Untersuchung zur Zahlungsbereitschaft für digitaljournalistische Inhalte („Money For Nothing And Content For Free?“) leitet Buschow angesichts widerstreitender Positionen der 6000 Befragten ab 14 Jahre Handlungsempfehlungen für Medienhäuser ab.
Nutzer zahlten eher für harte, nachrichtliche Inhalte als für Meinung, Satire oder Interviews. Persönliche Relevanz und Nutzwert beeinflussen die Zahlungsbereitschaft ebenso wie strukturierte Darbietung, bevorzugt personalisiert. Auf der Grundlage der erhobenen Daten liegt die Schmerzschwelle der Bezahlwilligen bei 10 Euro, dafür werden neben den Inhalten auch transparente Preisgestaltung sowie kurze Vertragslaufzeiten sowie Kündigungsfristen erwartet.
„10 Euro für die ganze Musikwelt bei Spotify oder für recht viele Filme bei Netflix – da sind 10 Euro für eine begrenzte Anzahl an Artikeln schon irgendwie unverhältnismäßig.“
Proband (27) aus der Buschow-Studie
Für Dr. Lübben sind diese und andere Daten der Schlüssel für eine zukunftsfeste Gestaltung des Redaktionsalltags: „Wir müssen von den Unternehmen lernen, die digital erfolgreich sind wie Google und andere. In Facebook-Gruppen können wir beispielsweise aktuelle Befindlichkeiten der Bürger wahrnehmen, wir müssen in der Themenmischung weg vom Gießkannenprinzip und näher an die Menschen heran.“ Dazu gehörten Dashboards als Seismographen für das gerade aktuelle Leserinteresse ebenso wie ständige Zielgruppen-Analysen. „Wir benötigen Daten, Daten, Daten.“
Das Wissen, für wen man digitale Inhalte konzipiert, bestimme am Ende das wie der redaktionellen Aufbereitung, ergänze Dr. Anne Krum. Sie ist als stellvertretende Chefredakteurin der Funke-Zeitungen in NRW auch bei der Westfalenpost für Digitales verantwortlich. „Wir haben zum Beispiel die Zielgruppe der von uns so bezeichneten ‚Performer‘ identifiziert, eine effizienz-orientierte Leistungselite. Diese Menschen sind gut ausgebildet, gut verdienend und an Nachrichten interessiert. Ihr Tagesablauf gibt aber eine kompakte, faktenorientierte und schnelle Aufbereitung der digitalen Geschichten vor.“
Das Wissen, für wen man digitale Inhalte konzipiert, bestimme am Ende das wie der redaktionellen Aufbereitung, ergänze Dr. Anne Krum. Sie ist als stellvertretende Chefredakteurin der Funke-Zeitungen in NRW auch bei der Westfalenpost für Digitales verantwortlich. „Wir haben zum Beispiel die Zielgruppe der von uns so bezeichneten ‚Performer‘ identifiziert, eine effizienz-orientierte Leistungselite. Diese Menschen sind gut ausgebildet, gut verdienend und an Nachrichten interessiert. Ihr Tagesablauf gibt aber eine kompakte, faktenorientierte und schnelle Aufbereitung der digitalen Geschichten vor.“
„Ich muss schon für den Kabelanschluss in meiner Mietwohnung zahlen, außerdem noch GEZ, die ich gar nicht zahlen will. Das ist nicht wenig, wenn man das mal hochrechnet.“
Proband (32) aus der Buschow-Studie
Um den neuen Herausforderungen gerecht zu werden, wurden die Redaktionsstrukturen grundlegend aufgebrochen. „Online first“ ist nicht länger nur Schlagwort, sondern jede Geschichte wird direkt als Digital-Angebot erstellt. Erst später wird sie von einer eigens verantwortlichen Blattmacher-Crew ins Zeitungsformat übertragen. Die Rezeption der Online-Artikel wird permanent beobachtet. „Wir müssen von der E-Commerce-Branche lernen“, so Krum. „Für die Kundenbindung ist es zum Beispiel wichtig, herauszufinden, welche Artikel von den neuen Abonnenten gelesen werden.“
Funke hat die Zielperspektive der neuen Digital-Strategie in Zahlen definiert. Krum: „Wir benötigen NRW-weit täglich 150 neue Abos bzw. Zugänge.“ Inzwischen sei die magische Grenze immerhin schon zweimal durchbrochen worden. Und sie lieferte noch eine weitere Zahl, die ein wenig Licht in die düstere Perspektive der Lokalzeitungen wirft: „90 Prozent der Zugänge gehen auf lokale und regionale Inhalte zurück.“
„Da werden sehr oft Dinge bekanntgegeben: Umbaumaßnahmen, jetzt kommt der Marathon. Ich denke, wenn ich das grob zusammenrechne, hat mir diese Zeitung auch schon viel Zeit gespart.“
Probandin (60) aus der Buschow-Studie
Alexander Drößler, Produktmanager des Lokalportals von OWL Digital, ging am weitesten mit der im Raum stehenden Forderung „Von den Internet-Giganten lernen heißt überleben“. Er will mit einer Plattform-Strategie „Facebook im Kleinen“ umsetzen, 12.000 Nutzer haben sich bereits in Bielefeld registriert. Das Portal generiert kaum selbst verfassten regionalen Content, sondern bietet den Nutzern eine breite Bühne für die unterschiedlichsten Mitteilungsbedürfnisse. Von amtlichen Bekanntmachungen über Vereinsnachrichten und Veranstaltungshinweisen bis hin zur Nachbarschaftshilfe. Drößler: „Wir sind so dennoch ein Nachrichtenproduzent als lokaler Communitybuilder. Wir verbinden Menschen mit Menschen, Informationen mit Menschen und verbinden die lokale Community.“
Ob die dem Lokaljournalismus in der Projektbeschreibung zugewiesene Funktion für die Demokratie so noch zu realisieren ist, wird die Zukunft zeigen. Und dabei auch Antworten auf die Frage, was es für das Zusammenleben der Menschen an Rhein und Ruhr bedeutet, wenn Lokalzeitungen den öffentlichen Diskurs nicht mehr organisieren, strukturieren und mäßigen.
Am Ende zeigt eine Zahl, wie kurvenreich der eingangs beschriebene Weg von der Erkenntnis zur Umsetzung noch sein wird: 50 Prozent der bei Funke gewonnenen täglichen NRW-Abos sind nach vier Wochen wieder weg.
Ob die dem Lokaljournalismus in der Projektbeschreibung zugewiesene Funktion für die Demokratie so noch zu realisieren ist, wird die Zukunft zeigen. Und dabei auch Antworten auf die Frage, was es für das Zusammenleben der Menschen an Rhein und Ruhr bedeutet, wenn Lokalzeitungen den öffentlichen Diskurs nicht mehr organisieren, strukturieren und mäßigen.
Am Ende zeigt eine Zahl, wie kurvenreich der eingangs beschriebene Weg von der Erkenntnis zur Umsetzung noch sein wird: 50 Prozent der bei Funke gewonnenen täglichen NRW-Abos sind nach vier Wochen wieder weg.
Perspektiven für den Lokaljournalismus an Rhein und Ruhr
Das von der Brost-Stiftung initiierte Projekt liefert eine Bestandsaufnahme der journalistischen Entwicklung im Ruhrgebiet und zieht daraus Rückschlüsse auf die politische Kultur. In mehreren Workshops wurden gemeinsam mit den Medienmachern Formate entwickelt, die eine politische Partizipation der Menschen vor Ort verbessern. Es galt vor allem Strukturen auf dem Nachrichtenmarkt Internet transparent zu machen, damit die Nutzer nicht hilflos subtiler Propaganda ausgesetzt sind und die digitale Zukunft des Lokaljournalismus zu formen.
Berichte zu den anderen Workshops finden Sie auf unserer Homepage:
Feindbild statt konstruktive Kontroverse
Muss der Staat den Journalismus retten?
Wann stirbt die letzte Lokalzeitung?
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