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Feindbild statt konstruktive Kontroverse

Politiker und Journalisten diskutierten bei Veranstaltung der Brost-Stiftung über Gefahren für die Demokratie durch „alternative Fakten“ und schwindende Streitkultur

„BILD Dir Deine Meinung“ – dieser Wahlspruch begleitete Deutschlands größte Boulevardzeitung durch bessere Tage. Der Erfolg des Werbeslogans fußte auf seiner genial einfachen Doppeldeutigkeit. In einer Zeit, als sich Menschen tatsächlich noch durch Lektüre der Tageszeitung einen Standpunkt bildeten. Heute müsste der Slogan heißen: Aus welchem sozialen Netzwerk beziehst Du Deine Meinung?

Immer mehr Menschen der modernen Gesellschaft greifen auf Inhalte ihrer digitalen Freundeskreise zurück, um sich das Tagesgeschehen einordnen zu lassen. Seriöse, journalistische Inhalte bleiben zum Beispiel angesichts des Auflagensterbens der Zeitungen auf der Strecke. Durch die einfach mögliche Verbreitung von „Fake News“ entstehen im Internet schnell Gegenöffentlichkeiten, die auf „alternativen Fakten“ basieren.
„Journalistinnen und Journalisten verlieren ihr faktisches Monopol, im öffentlichen Diskurs Sachverhalte darzustellen.“
Prof. Dr. Dieter Engels, Kuratoriums-Vorsitzender der Brost-Stiftung
Doch stellen diese alternativen Öffentlichkeiten bereits eine Gefahr für unsere gesamte Demokratie dar? Diese und andere Fragen sollten eine Debatte im Bonner Universitätsforum befeuern, zu der die Brost-Stiftung und die Bonner Akademie für Forschung und Lehre Praktischer Politik (BAPP) eine hochkarätige Runde eingeladen hatten. Neben Tanit Koch, Geschäftsführerin n-tv und RTL Group, und Lukas Eberle, NRW-Korrespondent beim SPIEGEL, diskutierten Dr. Helge Matthiesen, Chefredakteur Bonner General-Anzeiger, sowie Alexander Schweitzer, Fraktionsvorsitzender der SPD im Landtag von Rheinland-Pfalz.

„Das Internet ist ein fester Bestandteil unseres Lebens geworden“, so Prof. Dr. Dieter Engels, Kuratoriums-Vorsitzender der Brost-Stiftung, zum Auftakt. „Die Kommunikation der Mehrheit der Menschen in Deutschland findet hier statt, das Internet ist somit auch essentiell für die Spielregeln unserer Demokratie.“ Sowohl Politiker, als auch Journalisten ständen in der Verantwortung herauszufinden, ob und wie sich diese Spielregeln potentiell geändert haben.

Lukas Eberle hält apokalyptische Betrachtungsweisen für unangemessen. „Der Titel der Veranstaltung ‚Gefahr für unsere Demokratie?‘ ist mir persönlich schon zu negativ“, kritisiert er. „Soziale Medien stellen zwar eine Herausforderung, aber durchaus auch eine Chance für Politik und Journalismus dar. Wir müssen uns genau fragen, welchen Platz wir darin einnehmen wollen.“
„Journalistinnen und Journalisten zitieren viel aus den sozialen Medien, setzen sich aber nicht mehr direkt mit den zitierten Personen auseinander.“
Lukas Eberle, NRW-Korrespondent beim SPIEGEL
Der SPIEGEL versuche sich vor allem mit dem Format SPIEGEL Plus an die Gegebenheiten des Internets anzupassen. Die Leser können hier journalistische Beiträge mit einem bezahlten Abonnement freischalten.

Auch Tanit Koch warnte davor, die aktuelle Medienlandschaft allzu kritisch zu betrachten. „Historisch gesehen ist dieses Internet quasi gerade mal fünf Minuten alt“, erläuterte die Geschäftsführerin von n-tv. „Wir lernen also im Moment immer noch, mit diesem Medium vernünftig umzugehen.“ Eine Gefahr sieht sie weniger für die Demokratie, als für die traditionellen Medien. „Zeitungen, Fernseh- und Radiosender haben Schwierigkeiten damit, in sozialen Netzwerken als unabhängige Marken auf sich aufmerksam zu machen. Beispielsweise Facebook oder YouTube vereinheitlichen ihre Inhalte sehr stark.“ Um seriösen Journalismus wieder zu stärken, müsse vor allem die Politik handeln. „Privatsendern werden vom Staat Hürden in den Weg gestellt, die wir eigentlich nicht brauchen und die man abschaffen kann – hier muss ganz klar dereguliert werden“, so Koch weiter.
„Unsere Verantwortung als Journalistinnen und Journalisten ist es nicht Menschen zu sagen, was sie denken sollen, sondern worüber sie nachdenken sollen.“
Tanit Koch, Geschäftsführerin bei n-tv
„Ich hatte eigentlich den Eindruck, dass wir das Zeitalter von Deregulierung und Neoliberalismus hinter uns gelassen hätten“, konterte Alexander Schweitzer. Insgesamt versuchte jedoch auch der Politiker, die Situation zu deeskalieren. „Die Bedeutung sozialer Medien sollte nicht überschätzt werden“, findet Schweitzer. „In meinem Alltag habe ich immer noch verstärkt mit Menschen zu tun, die sich auf Printmedien fokussieren.“

„Warum machen Sie sich dann überhaupt die Mühe zu twittern?“, hakte Dr. Helge Matthiesen nach. „Die einfachste Antwort ist wohl: Weil es Spaß macht“, entgegnete Schweitzer. Als Politiker müsse man zudem in der Lage sein, seine Meinung innerhalb der 280 verfügbaren Zeichen eines Twitter-Posts verständlich auszudrücken. Twitter könne somit als effizientes und einfaches Kommunikationsmedium dienen, Schweitzer selber tausche sich hier sehr viel mit Journalistinnen und Journalisten aus.
„Ich lasse mich lieber von kritischen Kommentaren aus seriösen Medien angreifen, als dass meine Aussagen einfach unangefochten widergegeben werden.“
Alexander Schweitzer, SPD-Fraktionsvorsitzender Rheinland-Pfalz
„Durch die Konkurrenz der sozialen Medien sind seriöse Nachrichten wieder deutlich wertvoller für die Öffentlichkeit geworden“, glaubt Matthiesen. Mit einem weiteren positiven Effekt in Zeiten komplexer Problemstellungen. „Journalistische Inhalte werden tendenziell wieder länger als kürzer, man betrachte allein die wachsende Beliebtheit von Podcasts“, skizzierte Spiegel-Mann Eberle.

Eine direkte Gefahr für die Demokratie durch alternative Öffentlichkeiten besteht also offenbar nicht. Allerdings, darüber war sich die Runde einig, wachse sowohl online als auch offline in Deutschland die Tendenz, sich nicht mehr konstruktiv mit der Meinung anderer auseinandersetzen zu wollen. „Die Vorfälle mit Bernd Lucke und Christian Lindner an deutschen Universitäten bieten hier ein schockierendes Beispiel“, findet Koch. „Es scheint eine regelrechte Angst vor der Existenz anderslautender Ansichten zu herrschen.“
„Journalistinnen und Journalisten leiden unter der Berufskrankheit immer gelobt werden zu wollen für das was sie tun.“
Dr. Helge Matthiesen, Chefredakteur Bonner General-Anzeiger
Um dem Verlust einer für die vitale Demokratie wichtigen Streitkultur entgegenzuwirken, müsse man, so Eberle, bereits im Bildungssystem ansetzen. „In einem neuen Fach wie Medienkunde könnte man beispielsweise über die Entstehung und Verbreitung von Fake News aufklären.“