Bestseller-Autor Lucas Vogelsang spürt als Stadtschreiber Ruhr der Frage nach, warum die Menschen im Revier lachen, wenn ihnen zum Weinen zumute ist
Herr Dieske hat Lucas Vogelsang (33) in einem einzigen Satz mehr über das Lebensgefühl der Ruhrgebietsmenschen gesagt, als dies ganze Buchreihen könnten. „Ich bin heim gegangen und habe geweint, so viel, dat ich nicht mehr pissen konnte.“ So beschreibt Schalke-Fan Dieske die Stunden nach jenen 4:37 Minuten im Sommer 2001, in denen sich die königsblauen Anhänger als Deutscher Meister gefühlt hatten. Vogelsang ist ihm auf seinen Streifzügen durchs Revier begegnet, auf denen der Autor („Heimaterde“) als Stadtschreiber Ruhr unterwegs ist. Er spricht Menschen an oder schaut ihnen einfach aufs Maul, „etwa so wie Helge Schneider bei seinen Eduscho-Studien“.
Dabei trifft der gebürtige Berliner ständig Alltagshelden mit dieser besonderen Veranlagung für Humor. Vogelsang: „Es muss einen Grund geben, warum aus dieser Tristesse, auf diesem Scheiterhaufen, der das Ruhrgebiet manchmal ist, die besten Pointen wachsen.“ Seine vorläufige Erklärung: „Der Ruhrgebietshumor ist der Humor, der am Galgen hängt. Die Menschen bemühen sich so, der traurigsten Geschichte noch eine schöne Aussicht zu geben. Wenn dir nach Weinen zumute ist, fang einfach an zu lachen.“
„Warum kann der Rudi nur einmal sterben?“
Schalke -Fans scheinen dafür besonders begabt, wie selbst der Todestag von Rudi Assauer (+74) zeigte. Am Nachmittag erfuhren Fans und Freunde die traurige Nachricht, abends siegte Schalke (mit Trauerflor) und Transparenten zum Gedenken an den legendären Macher mit 4:1 im DFB-Pokal gegen Fortuna Düsseldorf. Kommentar eines bewegten Fans im Radio: „Was für ein Abend! Schade, dat der Rudi nur einmal sterben kann...“
Die harten Sprüche wirken für Vogelsang gleichzeitig „wie ein Lackmustest“ im sozialen Miteinander: „Sie checken den Neuankömmling ab. Kann er den Spruch ertragen, am besten sogar wechseln? Will er dazu gehören, also ist er einer von uns? Und egal wie hart der Spruch kommt: Das ständige Hömma wirkt wie ein gesprochenes Augenzwinkern.“
Sein Kumpel, der Autor und Moderator Micky Beisenherz, stellt sich jetzt schon auf die Anmache zu beginnenden Geheimratsecken ein, wie er dem Stadtschreiber erzählt hat: „Die Leute werden fragen: Micky, Du hast so schöne Haare, warum lässte da jetzt Fleisch drüber wachsen?“
„Das Ruhrgebiet ist nicht der kleine bucklige Onkel“
Neben Beisenherz haben Comedians wie Helge Schneider, Atze Schröder, Ralf Goosen oder Ludger Stratmann den offenbar mit dem Trinkwasser aufgesogenen Fatalismus zum Exportschlager gemacht. Und die türkische Stand-up-Comedian Senay Duzcu belegt die integrative Kraft des Ruhri-Humors. Sie sagt von sich: „Ich komme aus der Türkei, aus der viertgrößten Stadt, genauer gesagt aus Duisburg.“
Der auch aus diesem Humor gespeiste Stolz und Lokalpatriotismus trägt aber für den Stadtschreiber Ruhr (noch) nicht weit genug: „Das Ruhrgebiet macht sich zu oft klein, lässt sich in die Rolle des kleinen buckligen Onkels drängen. Auf dem Campus der Ruhruniversität in Bochum zum Beispiel hat niemand das Gefühl, am Arsch der Welt zu sein.“