Gärten der Welt

Gärten der Welt
Die Schrebergärten mit dem prozentual höchsten Anteil an ausländischen Pächtern liegen in Castrop-Rauxel, mitten im Ruhrgebiet, wo auf Kohle noch einmal ein ganz anderes Miteinander der Kulturen gewachsen ist.
Hinter dem Zaun, den saftigen Hecken, den Blumen und noch bunteren Schildern, wartet er schon. Stephan Bevc, regelt den Zutritt, die Jahreszeiten, hat den Rechen im Anschlag, die Bilanzen im Kopf. Auf der Veranda, alles im Blick.
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Er ist der Vorsitzende des Bezirksverbandes Castrop-Rauxel/Waltrop und kennt bis hoch zum Bürgermeister jeden, dazu auch alle Geschichten und alle Pflanzen sowieso.
Er ist der Chef der Kleingärtner und unter allen Bekloppten, so sagt er es gleich, der Bekloppteste. Um das zu machen, muss man schließlich ziemlich einen an der Murmel haben, den eigenen Blödsinn gut düngen.
Gerade unter den vermeintlichen Spießern, sagt er, finden sich Menschen, die ganz offen sind, der Welt und ihren Wendungen gegenüber. Seine Tochter lebt seit einiger Zeit mit einer Frau zusammen, aber auch das ist in den Gärten kein Thema.
Mit Stephan Bevc kann man also über alles reden, sofern man bereit ist, ihn dafür auf seiner Terrasse zu besuchen.
Nur hier gewährt er, der Zaunkönig, Audienz.
Jetzt sitzt er auf seiner Terrasse und bietet erst mal Käffchen an, dazu gibt es, traditionell fast, Mettbrötchen mit reichlich Zwiebeln. Der Empfang in Castrop ist also schon mal nicht halal, obwohl Bevc an anderen Tagen auch darauf achtet. Lamm und Kalb für seine Nachbarn aus Marokko und dem Iran oder die Muslime aus Bosnien. Auch das gehört hier dazu, man muss doch an alle denken.
Er ist in der Laube der Eltern aufgewachsen, in der Enge der Kolonie, und sich deshalb immer sicher gewesen, dass er da niemals mitmachen, nie wie sein Vater werden würde, ein Spießer im Regularienverein. Mit der Volljährigkeit hatte er dann allerdings schon seinen ersten eigenen Garten gepachtet, und damit war die Sache durch, er hat es nie bereut. So ist das Leben, Tel Aviv. Sowas sagt Bevc, inzwischen Anfang 40, zur eigenen Unterhaltung. Mutterwitz wie Muttererde. Alles in Dortmund.
Er wischt sich mit der Hand über die glänzende Stirn, ist schon ein bisschen aus der Puste. Weil er seit Stunden durch seinen Garten hetzt wie ein Blöder. Viel zu tun.
Mach ruhig so weiter, sagt seine Frau, dann bekommst du noch heute einen Herzinfarkt. Stellt dabei die großzügig bestrichenen Metthälften und den sehr schwarzen Kaffee auf die bunte Plastiktischdecke. Bevc lacht, natürlich. Im Garten sterben, das wäre doch was. Ich, sagt er, möchte hier tot umfallen. Einfach ins Beet, Gesicht voran. Und gut ist. Aber bitte erst nach dem Fest. Er, der Chef, erwartet heute die Nachbarschaft, hat dazu ein Bierzelt in den Garten gestellt, mit den passenden Garnituren, selbstverständlich auch das Fass zum Zelt besorgt und eine eigene Playlist zusammengestellt. Die echten Gassenhauer. Die Hits der Achtziger, Neunziger und das Beste von heute. Denn, so ist das schon immer, auf das Bier folgt der Tanz. Bevc swingt jetzt in seinem Gartenstuhl, das Käffchen hat ihm die Wangen rosig getuscht.
Er, gelernter Schlosser und Chemikant, arbeitet noch auf dem letzten Stück Kohle, ist der Hausmeister vom Chemiewerk. Wird also jener Letzte sein, der das Licht ausmacht, ein echter Ruhri eben.


Lothar besitzt einen Jagdschein, engagiert sich im Ortsverein der SPD und hat in seiner Kolonie drei türkische Familien nebeneinandergesetzt. Die sprechen leider noch immer nicht so gut Deutsch. Aber du, sagt Lothar, ich verstehe sie und die verstehen mich, das reicht mir doch.
Als Kleingärtner, sagt Lothar jetzt, machen wir ja auch Politik, kennen den Bürgermeister, kümmern uns um die Nachbarn. Das ist so im Pott, in den Lauben. Lothar wird jetzt lauter, er trägt links ein Hörgerät. Na hömma, sagt er, wenn das Ruhrgebiet tatsächlich das Herz Deutschlands ist, dann schlägt es auch anders. Das war schon immer so, 70 Jahre lang.
Mit dem Ruß auf den Wangen, den kohleverschmierten Gesichtern, da sahen doch eh alle gleich aus. Wie der Wallraff als Türke, gemeinsam ganz unten. Und als das Zechensterben begann, dieser schleichende Tod der Region, jeder gefallene Schornstein ein letzter Atemzug, standen sie zusammen auf der Straße und wussten nicht, was jetzt wird. Deswegen, sagt er schließlich, war auch der Islam nie ein Problem für uns. Die Türken sind ja schon immer da. In Castrop, da kann es mitunter schlimmer sein, du bist Dortmunder. Schwarz und Gelb, das ist für einige dann die falsche Religion. Der Teufel trägt Puma.
Und Stephan Bevc nickt. Hat er recht, der Lothar. Obwohl er ja im Grunde der einzig echte Ausländer hier ist. Nur geduldet. Er lacht, stimmt’s, Lothar? Und Lothar läuft fast die Plörre aus der Nase, so überrascht ist er. Weil ich eigentlich Pole bin, oder watt? Das ahnt doch keiner.
Moment, sagt er, ich habe die Kultur ins Ruhrgebiet gebracht. Kultur? Bei euch da, sagt Bevc, das ist Zigeunersprache. Mischpoke und so. Nein, sagt Lothar, aus der Deckung heraus, das ist Gaunersprache. Masematte. Fahrrad heißt bei uns Letze. Das musst du doch kennen, aus dem Tatort, man sagt auch Tokus. Jetzt ist Schluss, sagt Bevc, wir sind hier im Pott, hier wird anständig schlecht geredet. Du bist noch schlimmer als der Bayer.
Er würde den Lothar jetzt schon ganz gerne loswerden. Aber als ethisch einwandfreier Kleingärtner hat er kein Gift im Haus. Und die Fliegenklatsche auf dem Tisch hilft bei Münsterländern nicht, das sind zähe Burschen. Es ist dies das wunderbare Wortgefecht zweier Dampfplauderer, das jedoch mehr offenbart als den unbändigen Spaß an der Vorführung des jeweils anderen. Wir sind hineingeraten in die große Frage danach, wo Heimat aufhört und die Fremde beginnt.
Es gibt hier in Castrop Menschen, für die sind schon Bochumer eine andere Spezies, so verlaufen die Grenzen. Vor allem im Kopf.
Dann starren die beiden Männer ein bisschen, Bevc über den Rand seiner Brille, Lothar hinein in den Garten, so bunt. Zeigt auf die Hochbeete. Da liegen Klaus und Norbert, sagt Bevc, Humorbeweis.















Fotos: © Philipp Wente / www.philippwente.com