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Mit kosmetischen Korrekturen ist es nicht getan

Auf dem Podium der Brost-Akademie äußerte nicht nur NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann erhebliche Zweifel an der geplanten Klinikreform der Bundesregierung

Spätestens seit Ausbruch der Coronapandemie bewegt kaum ein Thema die Menschen im Land mehr als die klinische Versorgung, die für das Gesundheitssystem kaum noch finanzierbar ist. 85,9 Milliarden Euro wurden 2021 von der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) für den Krankenhaussektor ausgegeben, was einem Anteil von 30,1 Prozent an den Ausgaben insgesamt entspricht.

„Wir sind alle Patienten, wenn nicht akut dann im Laufe des Lebens, spätestens im Alter. Bei der Krankenhausreform geht es um unsere innersten Angelegenheiten“

Prof. Bodo Hombach, Präsident der Brost-Akademie

Die von der Bundesregierung geplante Reform ist jedoch nicht nur unter Experten umstritten, auch bei den Anwesenden im vollbesetzten Erich-Brost-Pavillon auf Zeche Zollverein löst sie eher ungute Gefühle aus. Professor Bodo Hombach traf in seiner Begrüßung erkennbar den Nerv des Publikums. „Der Bundesgesundheitsminister hat seine Reform als Operation am offenen Herzen bezeichnet“, so der Präsident der Brost-Akademie gewohnt pointiert. „Ich habe, zugegeben leicht hypochondriert , davon geträumt, wie sich Herr Lauterbach mit Knochensäge und Rippenspanner über mich beugt, um einen solchen Eingriff vorzunehmen. Dabei bin ich schweißgebadet aufgewacht…“

Was sich Hauptredner Karl-Josef Laumann (CDU) für die Reform der Krankenhäuser in Nordrhein-Westfalen ausgedacht hat, könnte die Bürger bei erfolgreicher Umsetzung seiner Pläne ruhiger schlafen lassen. Auch der NRW-Gesundheitsminister sieht überfälligen Reformbedarf bei den Krankenhäusern, deren Standards künftig über 64 Leistungsgruppen definiert werden sollen, mit entsprechenden Gütekriterien hinterlegt. Laumann: „Wir haben alle Beteiligten, Ärzte, Pflegepersonal sowie die Träger der Kliniken an einen Tisch geholt, um konsensfähige Zukunftslösungen zu finden.“

„Ein erster Erfolg der bereits angestoßenen NRW-Reform ist, dass die Kliniken intensiv miteinander reden. So vermeiden wir Doppelstrukturen und sinnlose Konkurrenzen.“

Professor Andreas du Bois, Ärztlicher Direktor der Kliniken Essen Mitte

Laumanns zentrale Kritikpunkte an den Vorschlägen der Bundesregierung: „Die Krankenhausplanung ist Ländersache, wir können den vorhandenen Strukturen nicht einfach eine Bundesschablone aufdrücken.“ Inhaltlich unterscheiden sich die Reformpläne durch die qualitative Orientierung an den Leistungen der Kliniken (NRW) oder die Einteilung in unterschiedliche „Qualitätslevel“, wie sie Lauterbachs Expertenkommission empfiehlt. Für die Toplevel II und III bräuchten die Krankenhäuser danach eine Geburtenstation sowie eine Schlaganfall-Unit und in Level III sogar einen Hubschrauberlandeplatz!

„Ich bin sehr zuversichtlich, dass am Ende eine Reform steht, die gemeinsam mit unseren Plänen in Nordrhein-Westfalen für eine neue Krankenhausplanung vieles zum Wohle der Patientinnen und Patienten verbessern kann“

NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU)

In NRW müssten sich 52 Prozent aller werdenden Mütter eine andere Klinik für die Geburt suchen, außerdem dürften acht der zehn größten Brustkrebszentren nicht mehr wie bewährt behandeln. Laumann: „Wir brauchen diese Level nicht!“ Er möchte auch den kleinen Regionalkrankenhäusern „aus Respekt vor der jahrzehntelangen Leistung“ eine Chance aufs Überleben lassen, trotz der Dringlichkeit einer Reform. „Es wird nicht alles zu 100 Prozent klappen, das haben schon unsere Simulationen gezeigt. Aktuell machen beispielsweise alle Unikliniken in NRW Miese. Mit einem Mix aus verschiedenen Leistungsbereichen könnte aber gelingen, dass alle Krankenhäuser schwarze Zahlen schreiben.“ Dazu brauche es jedoch Synergieeffekte statt eines Konkurrenzkampfes unter den Kliniken.

„Herr Lauterbach sagt an keiner Stelle, was die Reform kosten soll. Für seine Pläne müsste er Milliarden in die Hand nehmen.“

Dr. Gundula Werner, Vizepräsidentin DKG

Vielleicht haben ja die beunruhigten Bürger um Professor Hombach schon bald wieder ruhigere Nächte: Am Vormittag hatte Laumann mit den Amtskollegen aus Bayern und Schleswig-Holstein ein Rechtsgutachten vorgestellt, mit dem die Lauterbach-Vorschläge als nicht verfassungsgemäß eingestuft werden. Das rund 140 Seiten Papier stammt von Prof. Dr. Ferdinand Wollenschläger, Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Europarecht und Öffentliches Wirtschaftsrecht an der Universität Augsburg. Der erläuterte: „Eine Umsetzung der Vorschläge der Regierungskommission durch den Bund ist in der gegenwärtigen Fassung mit der Kompetenzordnung des Grundgesetzes nicht vereinbar.“

Laumann dazu: „Das Gutachten zeigt auf, wo dem Bund bei seiner Reform Grenzen durch die Planungshoheit der Länder gesetzt sind. Insofern bin ich froh, dass Bundesminister Lauterbach zwischenzeitlich angekündigt hat, zusammen mit den Ländern einen gemeinsamen Gesetzesentwurf zu erarbeiten.“

Es sei schließlich ein großer Unterschied, ob man Politiker oder Kirchenvorstand sei, schloss Laumann die Podiumsdiskussion. So müsse man in der Politik damit umgehen können, dass Entscheidungen mit einer Mehrheit getroffen würden und man am Ende einander nicht böse sein dürfe: „Ich glaube, dass Herr Lauterbach sieht, dass es hier in Nordrhein-Westfalen, so wie wir es gemacht haben, so ganz schlecht nicht läuft.“


Begrüßung durch Prof. Bodo Hombach, Präsident der Brost-Akademie:

Sehr verehrte Damen und Herren, verehrte, liebe Gäste!
Verehrter Herr Minister Laumann,

Zugegeben: Ich hypochondriere etwas. In vergangener Nacht erschien mir Herr Lauterbach! Der ora-kelte näselnd: „Meine Krankenhausreform ist eine Operation am offenen Herzen.“ Vorbei mit ruhigem Schlaf. Ein Albtraum: Professor Lauterbach beugt sich über mich. Knochensäge und Rippenspanner in der Hand. Schon macht er sich am Brustkorb zu schaffen. Ich erwachte schweißgebadet.
Nun ja… Ich beruhige mich. Sooo schlimm wird‘s nicht kommen. Berlin ist ja nicht tatsächlich zuständig – betreibt Politik-Simulation. Diese Freiheit kann man nur in den Grenzen des Gesetzes auskosten, wie erst heute ein renommierter Verfassungsrechtler bestätigt hat. Recht lässt sich nur begrenzt beugen. Aus der schlicht regierten Bundes-Hauptstadt wird mit Bundes-Geld statt Kompetenz gelockt.
Letzten Monat forderte der vergangene Chef der Landes-SPD „bundesfolgsam“, Landesvorsätze aufs Eis zu legen. Die seien Makulatur, flankierte der Bundesminister. Tage später respektierte der das fö-derale Krankenhaus-Planungsrecht. Hinterher hat man’s meist vorher gewusst. „Herr Lauterbach hat offenbar gemerkt, dass er möglicherweise einer falschen Strategie seiner Parteikollegen in NRW auf-gesessen ist", kommentierte der grüne NRW-Gesundheitsexperte.
Von Ihnen, Herrn Minister Laumann, hörten wir: Es sei für alle Beteiligten gut, Lauterbachs Äußerungen in Düsseldorf zu vergessen. Ihr Krankenhaus-Stärkungs-Plan sei sehr gut. Die Reformansätze aus NRW und Berlin seien mit etwas gutem Willen gut zu vereinbaren. Ihr grüner Koalitionspartner stellt klar: Die Bundesreform habe sich am Ende an die in NRW anzupassen und nicht umgekehrt.

Im Berliner Politbetrieb erkennt man Bevölkerungsverdrossenheit. Einige fragen sich: „Bis zu welchem Punkt können wir zu weit gehen?“ In konzeptionsarmer Zeit sind kluge Antworten Mangelware. Man-che gibt es, aber sie werden parteistrategisch ausgebremst, medial zerrieben, ideologisch gemobbt, müssen sich über Versuch und Irrtum politisch durchsetzen, müssen bezahlbar sein.
Wir wollen das Spezielle und Exzellente behalten. Das Schwache gegen das Bessere tauschen. Man kann ein bestehendes System intelligenter, resilienter, dynamischer machen. Man muss es nicht erst aus der Kurve schleudern. Die globale Vernetzung hat ökonomische Vorteile. Sie hat auch trügerische Fallen. Durchgeknallte Autokraten mehren sich. Die wollen ihr Ego mit Methoden des 19. Jahrhunderts durchsetzen. Wir werden von der Nachkriegszeit in die Vorkriegszeit politisiert, gesendet und geschrie-ben. Das zerreißt Fäden und Netze. Lieferketten stocken. Da es nicht um Luxusgüter geht, sondern um lebensrettende Sofortmaßnahmen, ist Schluss mit lustig. Kürzlich wurde selbst Hustensaft zum knap-pen Gut.
Der Marktmechanismus ist nicht immer genialer Selbstläufer. Er braucht Schrittmacher, Stents bei Ste-nosen. Nicht alle Güter sind bei ihm in guten Händen. Völlige Ökonomisierung näht immer auf Kante und fährt fest, wo andere Kriterien gelten.
Welches Gesellschafts- und Menschenbild liefert die Maßstäbe für das Krankenhaus der Zukunft? Gute Zukunft braucht Förderung der medizinischen Spezialisierung und Exzellenz. Die ist lebensrettend. Na-türlich braucht es für eilige Fälle einen Hubschrauberlandeplatz. In den allermeisten nicht. Reform-Therapie sollte sachdienlich und lebensnah sein. Jede hat Risiken und Nebenwirkungen.
Es ist unsere Einmischung in die eigenen Angelegenheiten.
Hier im Raum sammeln sich geballte Kompetenz und wunderbare Gäste:

  • Herr Karl-Josef Laumann ist gewichtiger und einflussreicher Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen.
  • Die viel gefragte und kluge Frau Dr. Gundula Werner ist Vizepräsidentin der Deutschen Kran-kenhausgesellschaft.
  • Der renommierte und erfolgreiche Herr Prof. Dr. Andreas du Bois ist ärztlicher Direktor der Evangelischen Kliniken Essen-Mitte.
  • Die erfahrene und tief im Thema stehende Autorin und Wissenschaftsjournalistin Frau Dr. Christina Berndt wird das Gespräch moderieren.

Ich heiße diese Persönlichkeiten auch in Ihrem Namen herzlich willkommen!
Eine „Visite“ am Krankenbett. Ohne Alarmismus der üblichen Apokalyptiker. Aber Weckruf, wo nötig.
Es geht um unsere „innersten Angelegenheiten“. Die Fieberkurve liegt vor. Die Symptome sind gedeu-tet. Patienten sind wir alle, früher oder später. So oder so. Dass auch wir sterblich sind, ist noch nicht erwiesen. Möge die finale Klärung lange auf sich warten lassen.

Ich bin gespannt und sicher, dass wir diesen Raum klüger verlassen, als wir ihn betreten haben. Dafür vorauseilender Dank!