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Grüner Stahl und Balsam für die Seele

Im BrostCast berichtet Metropolenschreiberin Nora Bossong über ihr Leben im Ruhrgebiet. Zwischen Transformation, geschlossenen Kirchen und offenen Herzen

Wenn Sie diesen BrostCast aufmerksam verfolgen, genießen Sie über weite Strecken ein exklusives bis elitäres Vergnügen. Metropolenschreiberin Ruhr Nora Bossong wird an einer Stelle erklären, warum sie hier ziemlich exakt 84 Menschen des Ruhrgebietes Einblicke in ihre poetische Arbeit gewährt…

An ihren Alltagserfahrungen als „Teilzeit-Ruhri“ lässt sie auf Nachfrage von Gastgeber Hajo Schumacher alle Zuhörer teilhaben: „Die Transformation der Region spielt sich jetzt direkt vor meiner Haustür ab.“ Während die Vision von „Grünem Stahl“ schrittweise Wirklichkeit wird und zur Zukunftsoption werden könnte, bleiben im Alltag viele Herausforderungen offen. Stichwort ÖPNV: „Ich benutze auch in Berlin öffentliche Verkehrsmittel. Dort wird viel über Busse und Bahnen geschimpft, mit meinen Erfahrungen aus dem Ruhrgebiet sage ich: Der ÖPNV funktioniert besser, als wir in Berlin glauben…“ Wie sie sich mit Fahrrad und Deutschlandticket dennoch von Mülheim ins weite(re) Ruhrgebiet „durchschlägt“ – reinhören!

„Die Menschen im Ruhrgebiet mussten immer viel und hart arbeiten. Da blieb wenig Raum für Schöngeistiges“

Nora Bossong

Wie alle von der Brost-Stiftung eingeladenen Schriftsteller wird auch Nora Bossong ihre Zeit als Metropolenschreiberin Ruhr literarisch festhalten, sie schwanke dabei noch „zwischen Gedicht und Theaterstück“. Während sich fast jeder von uns das „making of“ eines Bühnenstückes vorstellen kann, fragt Schumacher stellvertretend für viele: „Wie schreibt man ein Gedicht?“. Bossong vergleicht die Entstehung mit dem Spaziergang über eine aus Sprache aufgeschütteten „Geröllhalde“, aus der sie erst einmal viele Brocken einsammle. Manche werfe sie wieder weg, andere setzt sie immer wieder neu zusammen. Die Gütekriterien? „Ein Gedicht muss Klang haben sowie ein Gefühl oder ein Geheimnis transportieren.“ Dass so noch nicht zwingend ein Bestseller entsteht, hat schon der Dichter Hans Magnus Enzensberger mit Blick auf Deutschland im Scherz beklagt: „Die Zahl der Lyrikleser liegt konstant bei 1354.“ Im Ruhrgebiet, schätzt Bossong, dürfte sich der Anteil auf relativ exakte „84“ regelmäßige Konsumenten von Gedichten belaufen.

Rolandslied

Und gingen wir durch meine Mutterstadt
fast lautlos, sprach er nichts, als bliebe es so
ungesagt und lag in diesem Sommertag
ein heißes Flüstern, gab uns kein Baum,
kein Tunnel Schatten, ließ meine Hand von
seiner Hüfte ab und fragte er mich nach
des Laudons Grab - ich weiß nicht, glaub,
er wollte nicht mehr weiter,
mein Vater.

Aus Nora Bossongs Gedichtband „Reglose Jagd“

In einem weiteren Schwerpunkt schildert die in Berlin lebende Lyrikerin und Schriftstellerin ihre Erfahrungen als bekennende und praktizierende Katholikin im Ruhrgebiet. Während sie in ihrer Berliner Gemeinde eine Rückkehr der „Glaubwürdigkeit“ beobachtet, basierend auf einer Offenlegung der Missbrauchsvorwürfe, fand sie sich zuletzt im Gottesdienst zwischen „sehr alten Leuten“ wieder und fürchtet ein „Wegsterben von Kirchengemeinden“. Dabei ist sie als Mitglied des Zentralkomitees der Katholiken davon überzeugt, dass Kirche einem „Bedürfnis nach Spiritualität“ Raum gibt, weltweit wachse und sich gleichzeitig in Deutschland selbst im Weg stehe. Hören Sie einmal rein, wie die Liturgie Bossong Halt gibt und wo sich die Kirche dennoch verändern muss.

„Als gläubiger Mensch gehe ich jeden Sonntag zur Kirche. Hier lief ich beim ersten geplanten Gottesdienstbesuch in einem halbwegs belebten Viertel vor geschlossene Türen, mit einem Hinweisschild auf Messen in benachbarten Kirchen. Offensichtlich hat die Gemeinde zu wenig Leute.“

Nora Bossong

Bei den nötigen Veränderungsprozessen des Ruhrgebietes setzt die Metropolenschreiberin weniger auf „Esoterik als auf pragmatische Politik“. Bossong: „Es braucht bessere und effizientere Kooperationen zwischen Kommunen und Gemeinden. Das Modell einer zentralen Metropole, wie es bei der Kulturhauptstadt Essen ausprobiert wurde, kommt nicht bei den Menschen an.“ Mehrere Metropolen könnten den Zusammenhalt und eine gemeinsame Zukunftsvision unterstützen.

Bis in die Seele bewegt ist Nora Bossong allerdings von Begegnungen mit Menschen des Ruhrgebietes. Wenn Sie wissen möchten, wo man die nettesten trifft – Nora Bossong und Hajo Schumacher empfehlen die besten Orte…