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Aufbegehren gegen Klischee und Schicksal

Jörg Thadeusz, © Jennifer Fey

Jörg Thadeusz, © Jennifer Fey

Seine Liebeserklärung ans Ruhrgebiet unterlegt Jörg Thadeusz im BrostCast mit motivierender Kritik

07. September 2022

Was wird aus einem Jungen, der kleinbürgerlich in Dortmund als Sohn eines Elektrikers und einer Friseurin aufwächst? Mit einem Vater, der – psychologisch feinfühlig ausgedrückt – Probleme mit der Impulskontrolle hatte. Der sich als Jugendlicher im Box-Club und kickend auf dem Ascheplatz beweisen musste, weil Tennis als „Sport der reichen Leute“ für seine Eltern nicht in Frage kam. Gelegentlich ist eine solche Ruhrgebietsbiographie der Start in ein erfolgreiches Leben – Beispiel Jörg Thadeusz (54).

In der zweiten Staffel des BrostCast erzählt der bekannte Journalist, Moderator und Schriftsteller im Gespräch mit Hajo Schumacher sehr offen über prägende Kindheitserlebnisse und bekennt sich zu seiner „Aufsteigerbiographie“. Thadeusz: „Auch im eher schmuddeligen Lüttgendortmund gibt´s immer zwei Möglichkeiten. Entweder man lässt sich etwas einfallen und wird was, oder man lebt als faule Sau weiter.“

Bei aller Herzenswärme für die Region und vor allem ihre Menschen sieht er im fehlenden Aufbegehren gegen längst überkommene Klischees einen der Gründe für fehlende Zukunftsperspektiven. Besonders deutlich wird der Grimme-Preisträger bei der Analyse des Scheiterns von Armin Laschet als Kanzlerkandidat, die er synonym zur Situation des Ruhrgebiets betrachtet.

Gelsenkirchen einfach abreißen?

Statt die Steinkohlegeschichte durch Erinnerung an seinen Vater Heinz, einst Steiger auf dem Pütt, wieder zu beleben, hätte der CDU-Chef sich erfolgreicher als Repräsentant eines modernen Nordrhein-Westfalens dargestellt. „Mit 10 DAX-Konzernen, 144 Hidden Champions und deutlich mehr Studenten als Berlin“, so Thadeusz. „Laschet hätte seine Kritiker aus Ostdeutschland zu einer Bahnfahrt von Castrop-Rauxel nach Düsseldorf einladen sollen. Um dann die Frage zu stellen, wann denn die Menschen am Rande der Strecke mit der Angleichung ihrer Lebensverhältnisse an Vorzeigeregionen der Republik rechnen dürfen, die in den neuen Bundesländern so gerne eingefordert wird.“

Die intensive Unterhaltung lebt vor allem von den sehr persönlichen Einlassungen. Thadeusz erinnert sich an Gespräche mit seiner Tante, rauchend auf dem Klinikbalkon, während im Krankenzimmer der an Lungenkrebs leidende Onkel liegt. Das Innenleben der Familie charakterisiert anschaulich den Menschenschlag einer Region, die „äußerlich erst einmal als nicht so schön“ daherkommt. „Ein guter Freund von mir, ein Kabarettchef, sagt immer: Jörg, ganz ehrlich, Gelsenkirchen kann man doch nur noch abreißen.“

Zum Glück in Dortmund geboren

Aber Vieles habe sich inzwischen, weg vom Klischee, zum Besseren entwickelt. Thadeusz: „Dortmund könnte durchaus öfter erzählen, dass dort ein Fraunhofer Institut mit Exzellenzzertifikat ansässig ist.“ Eine Stadt mit 615.000 Einwohnern müsse durchaus hörbarer aufbegehren, die fehlende Wucht sei aber den politisch Verantwortlichen geschuldet. Er ist sich nach Erfahrungen an anderen Orten der Welt sehr bewusst, „dass es ein Glück war, in Dortmund geboren zu sein“.

Übrigens: Der Mann mit Vorliebe für Maßanzüge, Edelfüller und eigenem Schreibpapier verknüpft mit Frittenfett besondere Erinnerungen. Beim Reinhören erfahren Sie auch, was einen „Proll“ von einem „Asi“ unterscheidet. Und wie Thadeusz das Jahr 1997 erlebte, als Schalke den UEFA-Cup gewann und Borussia Dortmund die Champions League.