Entdeckungsreise im eigenen Kopf
Dieter Nuhr gestaltet auf Anregung der Brost-Stiftung eindrucksvolle Ausstellung im Osthaus Museum
„Von Fernen umgeben“ – der Titel der Bilderschau im Osthaus Museum Hagen erschließt sich dem Besucher mit Augen und Füßen. Nachdem er mehrere Räume mit großformatigen Arbeiten von Dieter Nuhr aus Indien, Afrika oder Mexiko durchquert hat, trifft er im Innern auf Bekanntes und Vertrautes: Bleistiftskizzen zeigen August Thyssen, Alfred Krupp, Schalke-Legende Rudi Assauer oder Willi „Ente“ Lippens. Nuhr hat diese ebenso wie zahlreiche Fotos aus dem Ruhrgebiet später digital bearbeitet.
„Ich konfrontiere meine Heimat mit der Ferne“, erklärt der bildende Künstler und Fotograf. „Entstanden ist die Idee im intensiven Austausch mit Professor Hombach und Dr. Boris Berger von der Brost-Stiftung.“ Auf 67 Leinwänden, die größten 4,85 x 3,00 Meter groß, sowie 30 Handzeichnungen bannt Nuhr Eindrücke „vom Mount Everest gegen Bilder aus Hattingen“, getrieben von der Frage, was „hier anstinken kann gegen das völlig Fremde.“
Natürlich ist das Satirische populärer. Eine Fernsehshow wendet sich eben an ein breiteres Publikum als eine Museumsausstellung. Für mich sind beide Arbeitsbereiche dennoch gleich wichtig, ich bearbeite sie mit der gleichen Intensität. Hierzulande irritiert es viele, wenn man sich nicht in eine einzige Schublade stecken lässt.
Dieter Nuhr
Dazu hat er Fotografien bearbeitet, die bis in seine frühe Kindheit zurückgehen, gleichzeitig den gewaltigen Fundus von digital festgehaltenen Reiseindrücken gesichtet. Nuhr: „So ist nicht nur eine Reise durch 90 Länder der Erde, sondern auch eine Zeitreise in der Ausstellung abgebildet.“ Am 7. Mai öffnet das Osthaus Museum für Besucher, am Rande der Pressekonferenz führte der TV-bekannte Kabarettist am Dienstag persönlich durch die von Direktor Dr. Tayfun Belgin kuratierte Sammlung.
„Dieter Nuhr ist ein Aufklärer. Er spielt auf der Klaviatur der Aphorismen und Pointen. Nuhr ist auch Maler. Nicht der Pinsel, das Auge malt. Es entstehen Kunstwerke von Spannweite und unaufdringlicher Eindringlichkeit“, so Brost-Vorstand Prof. Bodo Hombach nach dem Rundgang. „Dieter Nuhr konfrontiert Bildermotive aus der ganzen Welt mit solchen aus seiner Heimat. Hier fühlt sich die Brost-Stiftung unmittelbar gemeint. Für sie ist das Ruhrgebiet immer schon ebenso viel Welt wie Region.“
Alles, was im Angesicht der Bilder gedacht wird, passiert nicht im Bild, sondern nur im Kopf des Betrachters. Bilder lösen Denken aus, sie schreiben es nicht vor.
Dieter Nuhr
Die auf fein gewebten Stoff gezogenen Großformate erwecken auf den ersten Blick den Eindruck, als habe jemand beschädigte Negative zum Fotoabzug genutzt. Aus dem Hubschrauber fotografierte Himalaya-Gipfel beispielsweise verschwinden hinter Farbklecksen und Punkten, die sorgsam gewählt und mit selbst programmierten digitalen Pinseln aufgetragen wurden. Nuhr: „Einige Bilder haben 20, manche bis zu 200 verschiedene Ebenen.“ Seine bevorzugte 100-Megapixel-Kamera erlaubt die gewaltigen Formate, die scheinbar zufällig platzierten Farbtupfer malt er vorher auf Leinwand, fotografiert sie ab und arbeitet sie digital ein.
Mehr als zwei, höchstens drei Farben je Bild wählte er aus. „Es sollten keine zwei Bilder gleich aussehen“, so Nuhr. „Mir ist wichtig, ein Weltbild zu generieren, das sich aus einem Netzwerk zusammenfügt. Ich finde an der Fremde anziehend, dass ich sie nicht verstehen muss. Wenn man sie versteht, ist sie auch nicht mehr fremd.“
Beim fotografischen Streifzug durch das Ruhrgebiet sah er sich immer wieder mit den Klischees der Region konfrontiert: „Es geht mir bei den Heimatbildern nicht darum, überraschende Motive zu zeigen, sondern bekannte Motive überraschend erscheinen zu lassen. Ich verändere das Bekannte mit malerischen Mitteln teilweise bis zur Unkenntlichkeit.“
So reduziert sich etwa im Werk „Ruhrtal 04“ (2,10 x 1,40 Meter) die gleichnamige Brücke beinahe auf einen Querstrich in der Bildmitte, Details von Fluss und Ufer erschließen sich erst bei ganz genauer Betrachtung.
Diese Ausstellung ist auch ein Projekt… Die schroffen Gegensätze des Alltags erzeugen eine Grundspannung, die den „Tellerrand“ von Ruhr und Emscher weit überragen.
Prof. Bodo Hombach
Nuhr versteht seine Kunst als einen „Vorschlag, den der Betrachter annehmen oder ablehnen kann“, ganz bewusst verzichtet er auf „Statements oder Botschaften“. Die Ausstellung (7. Mai bis 26. Juni) zeige weder Krieg noch Klimawandel. Um zusätzliche Arbeiten ergänzt wird „Von Fernen umgeben“ ab dem 1. September in Venedig und anschließend (26. November bis 17. Dezember) im Senegal gezeigt, weitere Stationen folgen. „So schließt sich ein Kreis“, erläutert Nuhr. „Ich nehme durch die Fotografien immer etwas mit, behalte etwas von dem, was ich gesehen habe. Mit den Ausstellungen kehren die Bilder jetzt sozusagen in ihre Heimat zurück.“