Direkt zum Inhalt wechseln

Zerbröselt unsere Demokratie von innen heraus?

In der Diskussion bei der BAPP wird deutlich, warum viele Menschen zunehmend das Vertrauen in Politiker und Parteien verlieren

Die Bürger haben ihren Teil beigetragen, sogar mit deutlich gesteigertem Engagement: Bei 64,9 Prozent lag die Wahlbeteiligung in Thüringen. Und wann liefert die Politik? Bisher erschöpft sich die Reaktion der Parteien in unausgegorenen Sprüchen sowie allgemeinem Lamento über schwierige Regierungsbildung. Wer wundert sich da über wachsende Politik-Verdrossenheit? Befindet sich die gesamte Demokratie in Deutschland bereits in einer Akzeptanzkrise? Um diese und weitere Fragen zu beantworten, luden die Brost-Stiftung und die Bonner Akademie für Forschung und Lehre Praktischer Politik (BAPP) am 28. Oktober zur Podiumsdiskussion ins Bonner Universitätsforum. Zu den Gästen zählte neben Prof. Dr. Grit Straßenberger vom Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie Uni Bonn und Dr. Susanne Gaschke, Journalistin und Publizistin sowie ehemalige Oberbürgermeisterin von Kiel noch Wolfgang Kubicki, Vizepräsident des Deutschen Bundestages und stellvertretender Vorsitzender der FDP.

„Nach dem zweiten Weltkrieg wurde der Bundesrepublik die Demokratie als eine Bürde auferlegt“, analysierte Prof. Bodo Hombach, Präsident der BAPP und stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Brost-Stiftung, in seiner Eröffnungsrede. „Deutschland hat sich jedoch dazu entschlossen, aus der Bürde ein Instrument der Freiheit zu machen, und damit ein System zu schaffen, dass sich als erstaunlich stabil erwies.“ Dieser Zustand habe sich allerdings geändert: Mittlerweile befänden sich die Volksparteien schon lange in einer Krise, ohne dies überhaupt richtig bemerkt zu haben.
Kubicki stimmte dem grundsätzlich zu, von einer übergeordneten Krise, in der sich die deutsche Demokratie befinden soll, wollte er allerdings nichts wissen: „Ich habe keine Angst um die deutsche Demokratie, aber wir müssen aufpassen, dass sie nicht von innen heraus zerbröselt.“ Der FDP-Vize beschreibt ein Paradoxon, bestehend einerseits aus dem weit verbreiteten Gefühl, in Deutschland nicht mehr die eigene Meinung sagen zu dürfen, und andererseits dem Internet, welches Meinungsäußerung in einem gewaltigen Ausmaß ermöglicht. „Ich habe in meiner Fraktion bereits vorgeschlagen, das Thema Meinungsfreiheit mal im deutschen Bundestag aufzugreifen. Man hat sich jedoch dagegen gewehrt, aus Angst, damit dem AfD-Narrativ in die Karten zu spielen.“ Die Kommunikation im Internet basiere auf einer bestimmten Logik, so Kubicki weiter, die viele seiner Kolleginnen und Kollegen noch nicht richtig verstanden hätten. „Gesagtes kann online nicht so einfach wieder zurückgenommen werden. Meinungen können mit Hilfe von Bots künstlich hergestellt werden, diese werden dann von den Medien viel zu schnell als Volkswille dargestellt.“
Gaschke sieht dieses Paradoxon ebenfalls, spricht aber das Wort „Demokratiekrise“ offen aus. „Es gibt eine starke Polarisierung in Deutschland – die politische Mitte hat sich ein ganzes Stück weit selber aufgegeben“, erklärte die Journalistin. „Merkel hat die konservativen Positionen der Union praktisch komplett geräumt. Die SPD beantwortet ihre Krise mit einem inhaltlichen Linksruck. Kleinere Parteien wie die Grünen und die Linke profitieren von einer daraus folgenden Wählerwanderung – nur die FDP irgendwie nicht.“ Kubickis Konter: „Ich kann schließlich nicht überall sein, Frau Gaschke.“

Straßenberger bevorzugte eine eher theoretische Herangehensweise an das augenscheinliche Problem: „Demokratie ist grundsätzlich eine krisenbehaftete Regierungsform. Sie macht hohe Versprechen, die einfach nicht alle eingehalten werden können: allgemeiner Wohlstand, Sicherheit, Kooperation mit den Nachbarländern, individuelle Freiheit und hohe politische Partizipation.“ Der Zweifel an der Demokratie sei also inhärent, bilde zugleich aber auch das Lebenselixier dieser Regierungsform. „Demokratische Politik ist stets auf die Zukunft ausgerichtet, in der man hofft, diese Versprechen erfüllen zu können. Viele Parteien und auch Bürger haben diese Hoffnung jedoch verloren.“

Um die Demokratie aus ihrer Krise zu holen, müsse man unter anderem am Bildungssystem ansetzen, fordert Gaschke. „Die Bildung an Schulen ist viel zu stark entpolitisiert worden, das muss dringend ausgebessert werden. Auch Debattiervereine wären hier eine gute Idee.“ „Da muss ich Ihnen schon wieder zustimmen - das muss am Alter liegen“, kommentiert Kubicki. Man solle sich in der Politik außerdem eher auf sachliche, als auf moralische Argumente berufen. Damit nimmt Kubicki vor allem Grüne und Linke ins Visier: „Die jungen Klimaaktivisten von Fridays for Future sagen ganz klar: Wenn die Demokratie nicht mit unseren Forderungen mithalten kann, dann muss sie weg. Viele Politiker stimmen dem auch noch zu, damit stellen sie ihre eigene Existenz in Frage“, kritisiert er. Die Antifa habe ein ähnlich verzerrtes Verständnis von Ethik: „Warum denken diese Menschen, dass sie höhere moralische Rechte haben als die AfD, wenn sie Autos anzünden?“

Ein Abend mit lebendigem Austausch, kontrovers wie erwartet und gewünscht. Das Fazit entsprach einmal mehr dem Leitsatz Hombachs, den er jeder Debatte voranstellt. Am Ende gingen alle klüger heraus, als sie hereingekommen waren.