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Glaubensbekenntnis mit Respekt für die Zweifelnden

Metropolenschreiberin trifft Ruhrbischof: Zwischen Nora Bossong und Franz-Josef Overbeck entwickelte sich ein spannender Dialog rund um die Kirche.

Treffen sich ein katholischer Bischof und eine junge Intellektuelle…

Im Kopf spinnt die Mehrzahl der Menschen, angesichts der aktuellen gesellschaftlichen Debatten und Klischees, eine aus diesem Einstieg folgende Geschichte weiter entlang von Stichworten wie „Maria 2.0“, „(Macht-)Missbrauch“ oder „Austrittswelle“. Im oben anmoderierten Dialog zwischen Franz-Josef Overbeck und Nora Bossong entwickeln sich jedoch eher unerwartete Standpunkte, ehrliche Innenansichten und offene Bekenntnisse zu Christentum und Kirche.

Anfang einer Woche, in der die katholische Kirche auf einen Höchststand von Austritten blickte (522.821 in 2022), hatte Professor Bodo Hombach den Ruhrbischof und die Metropolenschreiberin Ruhr zum Abendessen eingeladen. Voller Neugier auf zwei Menschen aus völlig unterschiedlichen Lebenskontexten, die dennoch der Glaube vereint. Aber gleichzeitig auch voneinander abgrenzt.

Nora Bossong wurde gerade in das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (Sachbereich ethische und politische Grundsatzfragen) gewählt, die offiziell anerkannte Laienvertretung. Erst mit 39 ging die mehrfach ausgezeichnete Schriftstellerin zur Erstkommunion, lebt heute Kirche und Glauben bewusst und aktiv. “Jetzt bin ich voll dabei, eben nicht ausgetreten, sondern noch weiter reingegangen. Das ist schön und belastend zugleich, weil ich die Schönheit des Glaubens stärker spüre, aber auch die Schuld der Kirche." Sie ist Ministrantin in ihrer Berliner Kirchengemeinde und bekennt sich zu Tradition und Werten des Christentums. „Dazu gehört auch die Teilnahme an der Fronleichnamsprozession. Obwohl ich zugeben muss, dass ich wahrscheinlich genauso irritiert geschaut hätte wie die Menschen auf dem Bürgersteig, wenn ich den Feiertag vergessen hätte und zufällig vorbeigekommen wäre…“

„Im Glaube berühren wir eine Sphäre, die unsere Erkenntnisfähigkeit übersteigt. Es bleibt immer etwas Verborgenes, zu dem wir uns in ein Verhältnis setzen"

Nora Bossong

Am Beispiel Fronleichnam macht Overbeck zu Beginn des Gespräches einen Teil des Dilemmas der heutigen Kirche fest. „Ich kann nachvollziehen, wenn Menschen das Glaubensritual für Hokuspokus halten. Im Bekenntnis „corpus meum“ sagen wir, dass Gott sich uns in Form der Hostie nähert. Unsere Großeltern mussten das glauben, heute dringen wir damit nicht mehr zu den Menschen durch.“ Der Bruch mit der Kirche begründet sich für den Bischof auch mit der jahrhundertelangen Unfreiheit, in der die Gläubigen gehalten wurden. Overbeck berichtet: „In Gesprächen erzählen ältere Menschen mir sehr oft, wie schlimm sie als Jugendliche zum Beispiel die Beichte erlebt haben.“

Für Nora Bossong war der Zugang zur katholischen Kirche völlig unbefangen, dank eines Vaters, „der als Intellektueller immer auch das Rationale im Glauben gesehen hat“. Ihre Mutter war übrigens protestantisch.  „Mein Vater hat aber immer auch die Schönheit im Glauben betont, wie beispielsweise das Bild vom Kind in der Krippe. Dass Gott als kleines wehrloses Kind und nicht als mächtiger Herrscher zu den Menschen gekommen ist.“

 Auf der anderen Seite sei sie die letzte in der Familie, die nach dem Tod des Vaters in der Kirche verblieben sei. „Selbst meine Tante ist ausgetreten. Sie hat gewaltsame Erfahrungen gemacht. Angesichts des Missbrauchs ist naheliegend, dass die Menschen sich abwenden, weil der genau dort passiert, wo es um den Kern des Glaubens gehen sollte.“  Distanzierung hier akzeptiert Bossong, blickt aber skeptisch auf „eine gewisse Freude bei Intellektuellen an der Ablehnung der Kirche und sogar eine gewisse Freude an Ressentiments. Kritik tut der Kirche gut, aber sie muss dann auch präzise sein. Bei einigen Kritikern fehlt es an Tiefenschärfe.“

„Politische Parteien erleben auf analoger Ebene das gleiche wie die christlichen Kirchen. Die Menschen fragen sich: Für welche Werte stehen die einzelnen Parteien? Es fehlen Leitfiguren und Vordenker, die das so erklären, dass die Bürger mitgenommen werden.“

Franz-Josef Overbeck

Gleichzeitig reduziere die Debatte die Kirche auf reine Institution. „Im Kern steht der Glaube. Kirche kann nicht nur in Funktionen und Verwaltungsabläufen gedacht werden. Dann unterscheidet sie sich kaum noch von Amnesty International. Ich glaube, wir brauchen eine spirituelle Erneuerung.“ Ruhrbischof Overbeck nennt es „Frömmigkeitserneuerung“, in deren Mittelpunkt die Frage stehe:  Gibt es eine Welt ohne Gott?

Der „Kaufmann des lieben Gottes“ (Overbeck über sich selbst) will dabei den Blick der Kirche auf einen „Kundenkreis“ lenken, dem in der Glaubensvermittlung zunehmend mehr Bedeutung zukommt: „Die frühere Religiosität einer Volkskirche funktioniert nicht mehr. Mit der Pubertät steigen viele junge Menschen aus, weil sie noch nicht bereit sind, sich im Glauben festzulegen. Wir dürfen nicht nur Kinderkatechese betreiben, sondern müssen auch Erwachsenen ein überzeugendes Angebot zum Beispiel im Sakrament der Taufe machen. Und Gottesdienst muss so sein, dass die Menschen gerne kommen. Einfache Glaubensweitergabe gelingt nicht mehr.“

Es müsse der Kirche gelingen, die gläubigen Menschen wieder „souverän“ zu machen. Overbeck: „Die christlichen Religionen stehen für ein freiheitliches Menschenbild, in dem Wissenschaft, Vernunft und Glauben einen Dreiklang bilden. Gäbe es im Glauben nicht auch die Vernunft, würde ich heute nicht als Bischof hier vor Ihnen sitzen.“

„Das Christentum speist ein rationaler Glaube, verbunden mit Aufklärung und Rationalität. So ist Wissenschaft bis hin zur künstlichen Intelligenz erst möglich geworden.“

Franz Josef Overbeck

Den strategischen, von Argumenten begleiteten, Weg in Kirche ergänzt Nora Bossong einmal mehr um die kontemplative und ästhetische Selbsterfahrung im Glauben: „Die Kirche darf und soll sich eine gewisse Weltenthobenheit bewahren.“ Aber auch ein Dialogangebot bei aktuellen Fragen sozialen und gesellschaftlichen Fragen machen.  „Eigentlich müsste es leicht sein, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen, weil uns alle die Frage umtreibt: Wer und was rettet die Schöpfung? Ich finde es jedoch grenzwertig, wenn sich bestimmte gesellschaftliche Gruppen anmaßen, im alleinigen Besitz des Wissens und der Wahrheit zu sein.“

Das Ringen um Werte und Orientierung spiegelt sich in Kirche und Gesellschaft aktuell besonders angesichts des Ukrainekrieges. Damit konfrontiert Bossong gegen Ende des Gespräches den katholischen Militärbischof. „Die katholische Friedenslehre unterscheidet sich von der evangelischen Friedensethik, die sich auf die Kernforderung „Frieden schaffen ohne Waffen“ zurückzieht“, so Overbeck. „Die katholische Kirche sagt, wir müssen die Freiheit schützen, die Menschen sollen in Freiheit und Demokratie leben. Rechtsstaatlichkeit und auch soziale Marktwirtschaft gehören zu den zentralen Werten unseres Miteinanders, zu deren Verteidigung auch bewaffneter Widerstand als ultima ratio möglich sein muss.“

„Die Kirche darf auf keinen Fall so werden, wie man es in Berlin-Mitte angemessen fände. Sie ist eben nicht nur Caritas, sondern auch Contemplatio. Und damit meine ich nicht Weltfremdheit, wie Kritiker bemängeln, sondern die innere Suche nach Gott."

Nora Bossong