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Happy End für MALZ!?

Bis Ende 2023 sichert die Brost-Stiftung den Fortbestand des Mülheimer Arbeitslosenzentrums.
Dann will auch das Land in die Förderung einsteigen

Der Vorstand der Brost-Stiftung musste nicht lange überlegen, um dem Folgeantrag umgehend zuzustimmen: Die Zukunft des Mülheimer Arbeistslosenzentrums (MALZ) ist bis zum Jahresende 2023 gesichert! „MALZ soll erhalten bleiben“, begründet Prof. Bodo Hombach, Vorsitzender des Stiftungsvorstandes, die zügige Entscheidung. „Das MALZ kümmert sich um Menschen, die dringend Rat brauchen. Der Zuspruch und die Unterstützung dieser traditionellen und bewährten Initiative gleicht Versäumnisse unseres Sozialsystems aus.“

Sozialarbeiterin Gabi Spitmann führt im Jahr mehr als 1000 Beratungsgespräche, im Büro, telefonisch oder direkt bei den Betroffenen, die sie statistisch mit großer Sorgfalt erfasst. Etwa die Hälfte der ratsuchenden Menschen bezieht Bürgergeld (früher Hartz IV), aber über 30 Prozent sind voll oder in Teilzeit beschäftigt, 56 Prozent davon sogenannte Aufstocker. Also Mitbürger und Nachbarn, die mit den Einkünften „geregelter“ Arbeit nicht über die Runden kommen.

Prekäre Arbeit statt Bürgergeld?

Hinter dem Zahlenwerk verbergen sich Menschen und Lebensläufe, wie der einer alleinerziehenden Lehrerin mit ägyptischer Herkunft. Sie geht morgens gegen 7.30 Uhr aus dem Haus, kommt in der Regel nicht vor 16.30 Uhr zurück.  Als Integrationshelferin mit befristetem Arbeitsvertrag versucht sie den Lebensunterhalt für sich und die vier Kinder zu verdienen. Ihre beiden ältesten besuchen ein Gymnasium in Duisburg, auf das der Zehnjährige nach den Sommerferien ebenfalls wechseln soll. Beim jüngsten Nachwuchs (5) hofft sie jetzt auf Einschulung, obwohl der erst im September sechsten Geburtstag feiert. Die Pädagogin, deren Abschlüsse in Deutschland nur bedingt anerkannt werden, ist überzeugt davon, dass entsprechende Bildung ihren Kindern bessere Zukunftsperspektiven bieten wird. Dafür kämpft sie, hat sich am Wochenende noch einen zusätzlichen Job im Altenheim gesucht.

„Wenn jemand alles getan hat, um von den Sozialleistungen wegzukommen, dann fängt der Kampf erst richtig an. Oft ergeben sich dann immer wieder prekäre Arbeitsverhältnisse genau an der Bürgergeld-Grenze. Sie kann nicht planen, wenn sie nur auf Schuljahre befristetet eingestellt wird und in den Sommerferien arbeitslos ist. Und kann nicht wirtschaften, wenn sie nur für Tage bezahlt wird, an denen das zu betreuende Kind auch wirklich da ist.“

Gabi Spitmann

Im konkreten Fall reicht das soziale Netz, um den Absturz aus dem Existenzminimum zu verhindern. Aber bei den Kosten für bevorstehende Klassenfahrten kann es dann schon wieder eng werden.

Aus dem Flüchtlingsdorf an die Uni

Spitmanns Beratungsstatistik spiegelt die gesellschaftliche Realität nicht nur im Ruhrgebiet wieder, gleichviel Frauen und Männer suchen Unterstützung, rund 20 Prozent ohne Schulabschluss, aber auch 14,5 Prozent mit Abitur. Etwa ein Drittel ist gesundheitlich beeinträchtig bis hin zur Schwerbehinderung (11,6 Prozent). Was alle verbindet: Die Menschen möchten aus eigener Kraft ihren Alltag meistern. Hombach: „Kaum einer ruht sich in der sozialen Hängematte aus, die allermeisten sind Schicksale, die keine Chance bekommen haben, um wieder ins Erwerbsleben einzusteigen.“

Dank MALZ und dem dahinterstehenden Förderverein gelingt immer wieder der Ausbruch aus dem beschriebenen Teufelskreis zwischen Arbeitsamt, befristeten Verträgen und Sozialagentur. Held einer Happy-End-Geschichte, wie sie Spitmann gerne erzählt, ist Oday Hassan, der 2016 mit Vater und Schwester aus Syrien geflohen war. Dank früherer Unterstützung im MALZ lebt der junge Mann jetzt in eigener Wohnung in Mülheim, studiert an der Ruhr-Uni Bochum Angewandte Informatik und arbeitet als Werksstudent in der IT. Daneben betreut er andere Geflüchtete und engagiert sich ehrenamtlich u.a. als Schriftführer im Förderverein.

Noch keinen Klienten verloren

„Es ist gutes Gefühl, Anderen zu helfen. Ich kann mich gut in die Menschen hineinversetzen und bin so dankbar, dass ich nicht in ihrer Lage bin“, sagt Oday Hassan. Der junge Mann berichtet aber auch von Vorurteilen und fehlendem Respekt im Umgang mit Behörden oder Vermietern. Zwischenmenschlicher Umgang trägt für Gabi Spitmann im mindestens gleichen Umfang zur Bewältigung der Alltagsprobleme bei wie die sachkundige Beratung in sozial- und arbeitsrechtlichen Fragen. „Wertschätzung ist für diese Menschen wichtig, damit sie die Selbstachtung bewahren können. Vielfach ist die Scham über den gefühlten sozialen Absturz groß, was beispielsweise manche Betroffene davon abhält, sich bei der Tafel anzustellen“, erzählt sie. In der Beratungssituation beim MALZ, ist dagegen Vertrauen gewachsen. Oft über oder sogar Jahrzehnte, weil die Betroffenen angesichts der unsicheren Arbeitsverhältnisse immer wieder in existentielle Schwierigkeiten geraten. Spitmann: „Ich habe noch keinen Klienten verloren!“  

Das soll auch so bleiben, nicht nur zur Freude von Spitmann findet auch diese Geschichte ein (vorläufiges) Happy End: Nach der Brost-Stiftung erwägen auch das Land Nordrhein-Westfalen und die Stadt Mülheim eine Unterstützung für das MALZ ab 2024.