Marathonlauf zum Besseren
Der diesjährige Stiftungstag offenbart neben dem Stolz aufs Erreichte die nötigen Anstrengungen für eine gute Zukunft
09. September 2022
Familienfest in bewegten Zeiten – die 150 geladenen Gäste des diesjährigen Brost-Stiftungstages erlebten im Erich-Brost-Pavillon auf der Zeche Zollverein ein Wechselbad der Emotionen. Zwischen beunruhigenden Analogien zu den Reitern der Apokalypse sowie einer düsteren Zukunftsvision für Deutschland und Europa blieb an diesem Donnerstagabend dennoch viel Raum für Anerkennung und Dankbarkeit, Stolz auf das Geleistete und Ansporn für neue Projekte.
Aber der Reihe nach…
„Wir leben in hoch-nervöser Zeit“, begrüßte Prof. Bodo Hombach die Unterstützer, Ehrengäste und Projektverantwortlichen. „Albrecht Dürer zeichnete noch vier apokalyptische Reiter. Heute hätte er es mit einer ganzen Reiterei zu tun: Das Virus. Energie-, Wohnungs-, Mobilitätskrise. Inflationspolitik und die Folgen. Die offenkundigen Klimathemen. Der neue Krieg in Europa. Der Zerfall einer regelbasierten Ordnung der Staatengemeinschaft. Vertrauensschwund in die Handlungsfähigkeit der Demokratie. Eruptionen des Hasses in den un*sozialen Medien…“
Nicht auf „die da oben“ warten
Daraus leitete der Vorstandsvorsitzende jedoch kein Lamento sondern trotzige Motivation ab: „Stiftungen sagen nicht „O weh!“, sondern „Jetzt gerade!“ Sie sind wesentlicher Teil der Zivilgesellschaft. Nicht nur, weil sie Geld verteilen und Projekte anstoßen. Sie realisieren ein Wesensmerkmal unserer Verfassung. Sie agieren von unten nach oben, nicht von oben nach unten. Wer darauf wartet, dass „die da oben“ in die Gänge kommen, hat das demokratische Spiel noch nicht verstanden.“
167 Projekte seit Beginn der Stiftungsaktivitäten bilanziert die Brost-Stiftung im aktuellen Jahrbuch mit dem Titel „Zeitenwende“, 20 neue davon in 2021. Das Gesamtvolumen der bewilligten Fördermittel beläuft sich auf rund 38 Millionen Euro.
Damit wurde unter anderem ein Hilfsprojekt der Universitätsmedizin Essen zur Krankenversorgung in der Ukraine auf den Weg gebracht. Dr. Jorit Ness zeigte an einer Grafik des Kriegsgebietes, wo die 27 Hilfstransporte in den vergangenen Wochen 827 Paletten mit Hilfsgütern abliefern konnten. „Anneliese Brost wäre sicher stolz darauf gewesen, dass alle Transporte angekommen sind und wir so vielen Menschen helfen konnten“, bilanzierte der Geschäftsführer der Uniklinik. Neben den Hilfslieferungen werden dort auch 37 krebskranke Kinder behandelt, die teilweise mit Eltern und Geschwistern dem Krieg entflohen sind.
Es kommt was in Bewegung
Ness formulierte mit seinem Ausblick auf die nächsten Monate eher zufällig die Überschrift für alle Stiftungsaktivitäten: „Der Einsatz zur Linderung der Kriegsfolgen wird ein Marathonlauf…“ Ausdauer braucht es ebenso beim Kampf gegen Bewegungsmangel junger Menschen, den die Brost-Stiftung nicht nur in der Kooperation mit „MiMa-Sports“ unterstützt. Michael Gössing („Mi“) und Marco Mowinkel („Ma“) haben schon vor Jahren ein zeitgemäßes Sportprogramm entwickelt, mit dem Schüler in Lünen und Selm in Bewegung gebracht werden. „Wir wollen den Sport in die Schulen bringen“, erklärt Gössing. „Durch die immer längeren Unterrichtszeiten fehlt den Kindern die Motivation, anschließend noch zum Vereinstraining zu gehen.“
Professor Hombach betonte an diesem Abend das Bemühen, mit gutem Beispiel voranzugehen und desgleichen ausdrücklich zu belohnen. „Die Brost-Stiftung trägt ein weiterer Gedanke: Gute Taten verderben schlechte Gewohnheiten. Ich nenne ein Beispiel: Die Stiftung ehrt mit ihrem Preis in jedem Jahr Persönlichkeiten, die sich um das allgemeine Wohl besonders verdient gemacht haben. Nach Herbert Reul und Fritz Pleitgen sind es in diesem Jahr drei Menschen, die ihre berufliche, wissenschaftliche und menschliche Kraft der Palliativ-Medizin gewidmet haben. Diese großartigen Preisträgerinnen sind anwesend. Ich würdige und gratuliere erneut Frau Dr. Marianne Kloke, Frau Dr. Nicole Selbach und Frau Dr. Ferya Banaz-Yasar.“
Geht der Westen vor die Hunde?
Im abschließenden Gespräch mit Anja Bröker löste Dieter Nuhr, dessen mit der Brost-Stiftung entwickelte Ausstellung Von Fernen umgeben aktuell in Venedig gezeigt wird, die von Hombach verteilten Vorschusslorbeeren („einer der hellsten Köpfe unserer Zeit, der sich nicht im Mainstream treiben lässt“) ein. Neben den Erzählungen zum Werdegang als Künstler sowie Erklärungen zu der von ihm entwickelten Maltechnik analysierte er den Zustand der westlichen Gesellschaft. Nicht nur der Zustand permanenter gesellschaftlicher Aufregung beunruhigt ihn. „Ich habe das Gefühl, hier geht gerade alles vor die Hunde. Verkehr ist nur ein Beispiel. Früher konnte ich auf der Tournee morgens starten, um abends in einer anderen Stadt in Deutschland auf der Bühne zu stehen. Heute ist es in unserem Land nicht mehr möglich, am gleichen Tag zuverlässig von A nach B zu gelangen. Weil die Züge nicht fahren, Flüge ausfallen oder Autos im Stau stehen. Manchmal wünscht man sich die Postkutsche zurück.“
Solange 99 Prozent der Energie darauf verwandt würden, den Besitzstand zu sichern, habe der Westen keine Perspektive. Nuhr: „Europa hat seine Ohnmacht noch nicht erkannt. Es bedarf einer weltweiten Diplomatie, nicht nur für den Klimaschutz.“
Mit seinem Schlusswort dürfte der Satiriker, Fotograf und Maler vielen im Saal aus dem Herzen gesprochen haben. „Deutschland braucht einen neuen Aufbruch. Ich will gerne mitwirken, den Funken dafür zu entzünden…“ Die Brost-Stiftung und alle anwesenden Gäste auch!
Mehr zu den Stiftungsprojekten können Sie hier nachlesen.
https://youtu.be/fsNlEektUUc