An den Ufern der Ruhr ist das Leben im Fluss
In einem auf drei Jahre angelegten Projekt will die Brost-Stiftung die Bedeutung des Stromes als Namensgeber, Energiequelle und Identifikationssymbol der Menschen ergründen
„Was macht das Ruhrgebiet Ihrer Meinung nach aus, was ist das Besondere am Ruhrgebiet und seinen Menschen?“
Mit dieser und einem guten Dutzend weiterer Fragen will das Forsa-Institut im Auftrag der Brost-Stiftung das Heimatgefühl der „Ruhris“ ergründen. Die groß angelegte Umfrage ist ein Baustein des laufenden, auf drei Jahre angelegten, Projektes „Die Ruhr und ihr Gebiet: Leben am und mit dem Fluss“. Am Ende des Projekts steht ein zweibändiges Buch, das den namensgebenden Fluss wieder mehr ins Bewusstsein der Menschen der Region rücken soll.
In der Betrachtung des Zeitraums vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart sollen zwei Hauptaspekte beleuchtet werden. Zunächst die Ruhr in Hinsicht auf ihre Identität und Heimat schaffende Qualität. Neben dem Erlebnis des Flusses als Naturraum geht es um seine Aneignung durch den Menschen, um Arbeit und Wohnen auf und an der Ruhr, sowie die Industriekultur des Ruhrtales.
„Die Ruhr gibt der Region den Namen, aber sie zerschneidet sie nicht“
Darüber hinaus soll aber auch die Bedeutung des Flusses auf der „mental map“ des Ruhrgebietes betrachtet werden. Warum heißt das Ruhrgebiet eigentlich „Ruhrgebiet“? Erst in den 1920er/30er Jahren setzt sich die Bezeichnung für die Gesamtregion durch, als das Ruhrtal für die Montanindustrie schon keine Rolle mehr spielte. Von hier zog sich der Bergbau am ehesten zurück, hier begann der generationenübergreifende Strukturwandel, der noch heute die Region prägt.Von je her seien Flüsse für ihre Anwohner von besonderer Bedeutung. Das gehe weit hinaus über Physik und Nutzwert (Wasserstraße, Entsorgung, Bewässerung) und rage tief in das Lebensgefühl hinein. „Ich will hier nicht Smetanas ‚Moldau‘ bemühen, aber auch die Ruhr hat Geschichte und Geschichten. Und sie hat Brücken. Ich wohne - wie gesagt - nahe der Ruhrquerung der B1, dem alten Hellweg.
Der Stiftungsvorstand legte bei der Genehmigung großen Wert darauf, das Thema „Die Ruhr und ihr Gebiet“ unbedingt im Kontext des Oberthemas „HEIMAT“ zu sehen.
„Heimat als Ort der Sehnsucht und Enttäuschung“
Neben der eingangs zitierten Umfrage sucht Stadtschreiber Lucas Vogelsang in einem eigenen Buchbeitrag den Kontakt mit Menschen, die eine besondere emotionale Nähe zum Fluss besitzen. Mehrfach hat er zum Beispiel Hans-Peter Steger getroffen, einen Campingplatzbetreiber aus Witten, rüstige 74 Jahre alt, durch dessen ganzes Leben die Ruhr mittendurch geflossen ist. Sie hat dabei offenbar seinen Vornamen weggespült, alle kennen den Charakterkopf vom Campingplatz nur als den „Steger“... Den herzberührenden ersten Teil können Sie bereits in Vogelsangs Blog nachlesen. Für den vielfach ausgezeichneten Autoren steht die Auseinandersetzung mit der Begrifflichkeit Heimat im Mittelpunkt seiner Arbeit. Nach dem Bestseller „Heimaterde“ hat er am Stadtschreiber-Schreibort Mülheim gemeinsam mit Schauspieler Joachim Król das Buch „Was wollen die denn hier?“ vollendet. Vogelsang hat sein Heimatgefühl einmal so beschrieben: „Im Zerrbild der verstrichenen Zeit ist Heimat eine Jugendliebe, die zur Frau geworden ist und dann zur Greisin. Mitunter hat sie sich gehen lassen. Echte Heimat ist ja auch der Ort, der dich wie kein anderer enttäuschen kann, weil er deiner Sehnsucht nicht gerecht werden kann.“ Lucas Vogelsang wird die zahlreichen Begegnungen mit Menschen der Ruhrregion zum Ende seiner Stadtschreiber-Zeit 2019 in dem Band „Ruhrgebiete“ herausbringen. Darin sind nicht nur seine Blog-Beiträge gesammelt, sondern weitere berührende Gespräche mit typischen „Ruhris“. Die kleinen Geschichten erlauben einen tiefen Einblick in die Seele der Region, sie zeigen, was es heißt, im Ruhrgebiet und an der Ruhr zuhause zu sein. Aus ersten Texte, die in seiner Zeit als Stadtschreiber Ruhr entstanden sind, wird er schon bei der Lit.RUHR am 11.10.2019 lesen. Foto: Gerd Krause
Natürlich freue ich mich auch, dass die Ruhr neuerdings bakteriologisch und hygienisch als unbedenklich gilt, man also auch mit „amtlichem Segen“ ins Wasser darf.“ Die jeweils rund 400 Seiten starken Bände sollen im Oktober 2020 erscheinen. Die Durchführung und Umsetzung erfolgt als Eigenprojekt der Brost-Stiftung in Kooperation mit der Stiftung Geschichte des Ruhrgebiets in Bochum.
Hombach: „Uns geht es nicht um ‚mehr desselben‘. Die Region erlebt einen so tiefgreifenden Wandel, dass wir uns fragen: Welche neuen Bilder spiegeln sich auf diesem Gewässer? Was bleibt? Wo geht es hin? – Im Vordergrund steht die Hoffnung, Fluss und Region möglichst nahezukommen. Viele Darstellungen entscheiden sich für das eine oder andere. Wir versuchen ein ganzheitliches Bild. Aber ganz klar: Das ultimative Buch über einen so lebendigen Gegenstand wird es nie geben. Das schreibt erst der letzte Mensch am Ende aller Tage.“
Titelbild: © Britt Heinker