Vortrag: Prof. Dr. Michael Opielka über die Zukunftsforschung
Über die Zukunft des Ruhrgebiets wird schon lange nachgedacht. Unübersehbar war das Ende der alten Bergbau‐ und Industriestruktur. Unverzichtbar bleibt der Strukturwandel von einer im primären und sekundären Sektor fundierten Wirtschaft zu einer im Dienstleistungs‐ und Wissenssektor, im tertiären und quartären Sektor verankerten neuen Wirtschaft und Gesellschaft. Der vielleicht wichtigste Ort dieses Nachdenkens und Handelns ist bis heute der Initiativkreis Ruhr, 1989 von Ruhrbischof Kardinal Franz Hengsbach, Alfred Herrhausen, Rudolf von Bennigsen‐Foerder und Adolf Schmidt gegründet, bis vor wenigen Tagen war Bodo Hombach, Vorstand der Brost‐Stiftung, sein Moderator. 2007 trat der Initiativkreis Ruhr mit dem Strategiepapier „Ruhr 2030“ in die Öffentlichkeit, das bis heute wirkt.[1] Das Konzept „Ruhr 2030“ sieht die Metropole Ruhr im Jahr 2030 als das „international führende Zentrum im Meta‐Kompetenzfeld Energie‐Werkstoffe‐Logistik“[2], die „Gesamtvision“ ist umfassend: „Im Jahr 2030 wird die Metropole Ruhr eine Modellregion für die nachhaltige Lösung globaler Herausforderungen sein. Die Metropole Ruhr wird Lösungen, insbesondere technischer und infrastruktureller Art, entwickeln und in der eigenen Region umsetzen, und sie wird sie weltweit exportieren. Dadurch wird das Ruhrgebiet am Wachstum anderer Regionen partizipieren und eigenes Wachstum generieren. Basis für diese Entwicklung werden Innovationen sein.“[3] Das sind große Visionen, mitgewirkt haben führende Unternehmensberatungen wie A. T. Kearny, Ernst & Young oder die Boston Consulting Group. Weitere Visionspapiere folgten, wie 2012 „MEO 2030 – Die Zukunft neu denken“ der IHK zu Essen[4], oder der laufende Ideenwettbewerb „Zukunft Metropole Ruhr“ des Regionalverbands Ruhr, der fünf international renommierte Planungsbüros antreten lässt.
Aus Sicht meines Institutes möchte ich an den Beitrag des Ruhrgebiets für die Umsetzung des Leitbildes der „Energieeffizienten Stadt“ erinnern: Der Initiativkreis Ruhr ernannte die Stadt Bottrop jüngst zur „InnovationCity Ruhr“. In den nächsten zehn Jahren wird Bottrop zur Klimastadt der Zukunft umgebaut. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung kürte auch das Konzept der Stadt Essen als vorbildlich. Die Entwicklung und Umsetzung des Projektes „Klimainitiative Essen ‐ Handeln in einer neuen Klimakultur“ wird von meinem Institut im Auftrag des Bundesministeriums begleitet. Unsere Aufgabe ist es das ‚System Stadt‘ als Ganzes zu berücksichtigen und Innovationen mit Dienstleistungen eine Schlüsselrolle zukommen zu lassen.
In allen diesen Initiativen geht es um Innovation, Zukunftsfähigkeit, Effektivität. Sie sind unerlässlich, verdienstvoll, sie kondensieren Wissen, basieren auf Forschungsergebnissen. Aber sie haben mit Zukunftsforschung nur am Rande zu tun. Unternehmensberater und Planungsbüros können Zukunftswissen nur nutzen, wenn es vorher erarbeitet wurde. Wer aber macht Zukunftsforschung und was ist das überhaupt?
Um Niklas Luhmann zu paraphrasieren: Zukunftsforschung ist was Zukunftsforscher machen. Zukunftsforscher, im angloamerikanischen Raum auch als Futurologen bezeichnet, unterscheiden sich zum einen von Science Fiction Autoren, zum anderen von Trendforschern deutlich: unsere Arbeit muss wissenschaftlichen Qualitätskriterien entsprechen. Zukunftsforschung ist nicht neu, sie entstand in den USA der Nachkriegszeit, erhielt Lehrstühle, etabliert durch Fachgesellschaften und Fachzeitschriften, und in Deutschland, etwas bescheidener, durch das „Netzwerk
Zukunftsforschung“. Ein wichtiger Impuls war vor nun zweiunddreißig Jahren, im Jahr 1981, die Gründung des „IZT – Institut für Zukunftsforschung und Technologiebewertung“ in Berlin. Eine Tochter des IZT, das „Sekretariat für Zukunftsforschung (SFZ)“ in Gelsenkirchen und Dortmund, erhielt in den 1990er Jahren durch das Städtebauministerium in NRW eine Dekade lang eine Förderung aus Landesmitteln. Mein Vorgänger, der Gründer und langjährige Leiter des IZT, Rolf
Kreibich, definierte die Zukunftsforschung so: „Zukunftsforschung ist die wissenschaftliche Befassung mit möglichen, wünschenswerten und wahrscheinlichen Zukunftsentwicklungen und Gestaltungsoptionen (Zukünfte) sowie deren Voraussetzungen in Vergangenheit und Gegenwart.“[5] Das ist eine gute und erfolgreiche Definition, sie wird gerne zitiert. Ich möchte sie etwas anders fassen, auch, weil sich die Zeit geändert hat.
Zukunftsforschung untersucht die historischen, gegenwärtigen und erwartbaren Voraussetzungen und Folgen von zukunftsbezogenem sozialen wie technischen Handeln und Strukturen. Zukunftsforschung untersucht damit die Bedingungen Sozialer Nachhaltigkeit. Soziale Nachhaltigkeit wird dabei nicht als Wert, als Normativ verstanden, sondern als Forschungsgegenstand. Natürlich gibt es eine umfassende Nachhaltigkeitsforschung, Sustainability Sciences genannt. Die Zukunftsforschung als Wissenschaft der Sozialen Nachhaltigkeit konzentriert sich auf den gesellschaftlichen Ausschnitt und die damit verbundenen Herausforderungen und Lösungsansätze. Ein soziales System muss nicht generell nachhaltig sein. Firmen gehen Konkurs, Landstriche werden entvölkert. Doch für die Menschheit, für das System der globalen Gesellschaft ist Nachhaltigkeit, dynamische Bestandssicherung unverzichtbar. Die Zukunftsforschung untersucht ihre Voraussetzungen und Folgen.
Die vorausschauende Bewertung von Chancen und Risiken neuer Technologien genießt in der Zukunftsforschung höchste Bedeutung. Gerade im Zusammenwirken von Nachhaltigkeit und Technikforschung setzt das IZT seit vielen Jahren Akzente. Es ist sogar das zentrale Alleinstellungsmerkmal unseres Institutes. Neue Technologien sollten vorausschauend und sozial angemessen gestaltet werden und insbesondere das Recht der Menschen auf eine Privatsphäre, auf ihre persönliche Freiheit gewährleisten.
Damit kommen zwei Gesichtspunkte in das Spiel, die ich über einen kurzen Umweg andiskutieren möchte. Ein Philosoph der letzten Jahrhundertwende, Rudolf Steiner, schrieb über die Bedingung von Freiheit: „Leben in der Liebe zum Handeln und Lebenlassen im Verständnisse des fremden Wollens ist die Grundmaxime der freien Menschen.“[6]Lebenlassen im Verständnisse des fremden Wollens ‐ das erinnert auch an Johannes Rau und, bisweilen, an Angela Merkel. Damit ist nicht desinteressierte Toleranz gemeint, vielmehr eine loslassende, freilassende Anerkennung des Anderen. Für die Zukunftsforschung resultiert aus einem tiefen, vollen Freiheitsbegriff vor allem, dass sie das Wollen der Menschen fokussiert. Der Wille ist die Handlungsform der Zukunft. Zukunftsforschung ist soziale Willensforschung – auf allen Ebenen, vom technischen bis zum religiösen Willen. Wie können wir unser Wollen entdecken und entfalten? Hier kommt das Programm der Brost‐Stiftung in den Sinn: Wie gelingt dies durch die Förderung unterprivilegierter Kinder und Jugendlicher, durch die Brücke zwischen den Generationen, zwischen Kunst und Alltag, wirtschaftlicher Effizienz und sozialer Effektivität mit langfristiger Perspektive?
Der zweite Gesichtspunkt ist ein methodischer. Die Methoden der Zukunftsforschung müssen ihrem Gegenstand entsprechen. Sie müssen die Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft schlagen, zwischen den Akteuren und den Institutionen, zwischen Technik und Gesellschaft, zwischen Wirtschaft und Solidarität. Drei Methodenbündel kommen dafür in Betracht:
- Zum einen die Partizipationsforschung, beispielsweise Zukunftswerkstätten und Zukunftskonferenzen. Wir entwickeln im IZT derzeit ein sogenanntes Stakeholder‐Panel für das TAB, das Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag. Ohne die systematische und dauerhafte Einbeziehung des Willens aller an transformativen Prozessen Beteiligter haben diese Prozesse keine Dauer, keine Chance, keinen sozialen Sinn. Deshalb arbeiten wir stets mit Stakeholdern zusammen, sind Unternehmen und NGOs unsere Praxispartner. Empowerment basiert auf praktischem Willen, Wissenschaftler sitzen nicht im Elfenbeinturm, sondern forschen und entwickeln mitten in der Gesellschaft.
- Zum zweiten die Diskursanalyse, beispielsweise in Form von Delphi‐Studien, Diskursprojekten und zeitgemäßer Nutzung von Social Media. Diskursanalyse ist heikel, mit ihr kommen nicht nur, wie in der Partizipationsforschung, unangenehme Positionen von Akteuren auf den Bildschirm, sondern auch komplexe Deutungen. Wissenschaftler müssen daher liebevoll und langmütig sein, nicht besserwisserisch. Klarheit ohne Verletzung, das ist nicht immer einfach. Zukunftsforschung soll vor allem zur Zielbildung beitragen, sie soll Werte heben und reflektieren helfen.
- Schließlich, als drittes, neuere Forschungsmethoden der Zukunftsforschung wie das Horizon Scanning, die Untersuchung von Weak Signals, schwachen Signalen, hier werden große Datenberge bewegt, damit nichts übersehen wird, was künftig wird. Das macht auch die NSA, wie Edward Snowden uns staunen ließ. Doch Forscher machen ihre Ergebnisse öffentlich, sichtbar, diskutierbar.