Autor Rolf Potthoff
Die WAZ-Mediengruppe trauert um Anneliese Brost. Die Gesellschafterin der WAZ-Mediengruppe und Witwe des WAZ-Mitbegründers Erich Brost starb in der Nacht zu Donnerstag nur wenige Tage nach ihrem 90. Geburtstag. Ein Nachruf.
Der Tod von Anneliese Brost hat alle Menschen, die dieser Frau im Laufe ihres jahrzehntelangen Engagements für die Zeitung und besonders für ihre Redaktion begegnet waren, tief bewegt. Begegnungen mit ihr waren angenehm und entspannt; der Mensch war ihr wichtig, nicht seine Position.
Nie hat die Gesellschafterin der WAZ-Mediengruppe ihr Gegenüber die wirtschaftliche und journalistische Macht spüren lassen, die sich mit ihrer Stellung verband. Und sie hatte eine besondere Eigenart mit ihrem 1995 verstorbenen Ehemann Erich Brost, des Mitbegründers der WAZ, gemein: Beide nahmen sich selbst zurück, doch waren sie für ihre Interessen und die ihrer Mitarbeiter immer präsent. Nur wenige Tage vor ihrem 90. Geburtstag am vergangenen Samstag hatte sie im Interview mit der WAZ gleichsam die Essenz ihres publizistischen Handelns formuliert: “Ein Unternehmen muss verdienen, um zu leben. Aber Profitgier treibt uns nicht um. Wer gierig ist, darf kein Mediengeschäft haben.”
Freunde waren ihr wichtig
Das Rampenlicht, der große Auftritt in der Öffentlichkeit, war tabu für sie, obwohl sie seit der ersten Stunde der WAZ im April 1948 doch die bundesdeutsche Zeitungsgeschichte mitgeschrieben hat. Freunde waren ihr wichtig; das Private, aber darüber sprach Anneliese Brost nur ungern und selten.
Jung, erst zwölf war sie, als sie ihren Vater verlor, den Bochumer Pferdehändler Heinrich Brinkmann. Später bekam die sozialdemokratische Familie die nationalsozialistische Barbarei in aller Schärfe zu spüren. Da verstreuten und verbrannten die Horden der SA ihre geliebte Bibliothek auf dem Marktplatz und trieben ihnen die Pferde aus dem Stall; sie nannten es „konfiszieren”. Wenn Anneliese Brost dieses Wort aussprach, dann brach ihre ganze bittere, lebensbegleitende Verachtung für totalitäre Regime heraus. Mit ihrer Mutter, mit der sie ein enges Verhältnis verband, hatte sie sich immer wieder vor Nachstellungen durch die NS-Vasallen bei Freunden verbergen müssen. Dass die Mutter eine entschiedene Sozialdemokratin und Frauenrechtlerin war, erwähnte Anneliese Brost mit Stolz, es prägte ihr eigenes Leben. Und es war auch das Werk von Nationalsozialisten, dass man ihr 1938 das sehnlich erwünschte Studium der Betriebwirtschaft verbot.
Es war 1946, in den Ungewissheiten der Nachkriegszeit, als sie im zerbombten Dortmund erstmals mit ihrem späteren Ehemann Erich Brost zusammentraf. Der Großvater hatte ihr eine Stelle als Sekretärin bei der von den Briten lizenzierten Westfälischen Rundschau besorgt. Erich Brost war derzeit der erste Chefredakteur der Neuen Ruhr Zeitung in Essen. Bei einem Besuch der Rundschau hat er Anneliese Brinkmann kennen gelernt. Im Jahr darauf nahm Anneliese Brinkmanns Leben die alles entscheidende Wendung: Brost fragte sie, ob sie “seine rechte Hand werden wolle, wenn er eine neue Zeitung machen würde.” Sie nahm an.
Geburtsstunde der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung
Kurz zuvor hatten die Briten Brost angeboten, eine politisch unabhängige Zeitung für das Ruhrgebiet zu gründen, doch er war unentschlossen, hatte eigentlich eine politische Karriere machen wollen. In einer dramatischen Besprechung im Herbst 1947 diskutierten Erich Brost, Anneliese Brinkmann und ihre Mutter über das Projekt. Brost wurde überzeugt, dass die Zeitung für das Revier wichtiger sei – es war gewissermaßen die Geburtsstunde der WAZ, die Brost dann mit seinem Partner Jakob Funke ins Leben rief.
Bis heute hängt im Büro von Anneliese Brost die Lizenz 192, mit der die Briten die Zeitungsgründung erlaubten. Das Büro hat Anneliese Brost nach dem Tod ihres Mannes bezogen, um ihre Aufgaben in seiner Tradition wahrzunehmen. Sie war von der ersten Stunde an dabei: Dabei, als die WAZ anfangs in Bochum gemacht wurde, weil da eine Druckmaschine den Krieg überlebte. Dabei in der drangvollen Enge der ersten Redaktion, in der eine Schreibmaschine auf mehrere Mitarbeiter entfiel. In einer Redaktion, in der man des Abends die Glühbirnen rausschraubte, wegen Diebstahlgefahr. Dreimal pro Woche erschien die WAZ mit vier Seiten: “Die Menschen rissen uns die Zeitung aus der Hand.” 1949, nur ein Jahr nach der Gründung, betrug die Auflage bereits 327 000 Exemplare. Bei 250 000 lag sie beim Start.
Erich Brosts erste Frau verstarb 1966. Neun Jahre später heiratete er seine engste Vertraute: Anneliese Brinkmann. Sie hätten im Überfluss leben können, doch Luxus war ihre Sache nicht. Ihr Haus im Essener Süden ist gleichsam Sinnbild bürgerlicher Gediegenheit und innerer Ruhe. Hier traf man Kanzler, Minister und Parteigrößen auch. Hier wurden politische Entscheidungen gefällt. Hier traf man sich unter Freunden, zu denen Anneliese Brost gerade auch das ehemalige Präsidentenehepaar Johannes und Christina Rau zählte. Niemals zog es die Brosts zu den Glamour-Stätten des Sehens und Gesehen-Werdens dieser Welt – sie besuchten alte Freunde und Vertraute in Dänemark, Finnland, Schweden und England; den Stationen seiner Emigration. Erholt haben sie sich in Italien: „Venedig ist so schön.”
Staatspreis des Landes Nordrhein-Westfalen
Für andere hat sich Anneliese Brost seit Jahrzehnten sozial und kulturell engagiert. Ihre erste Stiftung entstand aus ihrem Hochzeitsgeschenk. Statt für ein Chalet in der Schweiz entschied sie sich für die Unterstützung eines Essener Kinderheims, das Mädchen und Jungen aus gefährdeten Familien betreut. Es blieb nicht nur bei dem einen. Anneliese Brost unterstützte die Arbeiterwohlfahrt und hat das Anneliese-Brost-Zentrum, ein Seniorenwohnheim, gegründet. Auch förderte sie mehrere Projekte zur deutsch-polnischen Verständigung, die bereits Erich Brost überaus wichtig erschienen, und sie förderte das Folkwang-Museum und die ehemalige Zeche Zollverein.
Für ihr breites soziales und kulturelles Engagement erhielt Anneliese Brost den Staatspreis des Landes Nordrhein-Westfalen 2004; er ist die höchste Auszeichnung, die das Land zu vergeben hat. 2008 wurde sie mit dem Bundesverdienstkreuz I. Klasse ausgezeichnet.
Noch im vergangenen Jahr arbeitete Anneliese Brost, wenn es ihr Befinden erlaubte, in jeder Woche in ihrem Büro. Es brachte ihr immer wieder die Jahre mit Erich Brost in Erinnerung. Sie sagte: “Es war eine wunderbare Zeit mit ihm.”
Appell in die gesamte Branche hinein
Anneliese Brost in ihrer Wohnung in Essen am 18. August 2010. Am Samstag feierte sie ihren 90.Geburtstag.
Gelöst und offen wirkte sie bei dem Interview in ihrem Haus mit Blick auf eine die Augen beruhigenden weitläufigen Wiese wenige Tage vor ihrem Tod. Er schien trotz des hohen Alters noch so fern. In diesem Gespräch machte sie ein ums andere Mal deutlich, welche Bedeutung es für sie hat, „Vertrauen haben zu können”. Damit ging sie nie leichtfertig um, man musste es sich erwerben. Vertrauen genoss Bodo Hombach, Geschäftsführer der WAZ-Mediengruppe. Stolz und Vertrauen brachte sie den Chefredakteuren und Redaktionen ihrer Titel entgegen. Und zuversichtlich gab sie sich davon überzeugt:
“Die Zeitung hat Zukunft.”
In diesem langen, nachdenklichen Gespräch, bei dem sie wirkte, als habe sie sich von den Strapazen ihrer Erkrankung erholt, erzählte Anneliese Brost, wie “weh es mir tut, dass auch wir auf Kosten von Arbeitsplätzen sparen müssen. Aber wir haben uns immer sozialer verhalten als das Gesetz es verlangt. Wir leben nicht auf einer Insel der Seligen, aber wir sind fair. Das ist mein Prinzip, und so handelt unser Management täglich.” Und sie hat das Versprechen, das sie einst ihrem Mann gab, bekräftigt. Es lautete: “Ich würde journalistische Prinzipien gegenüber wirtschaftlichen niemals zurückstellen.” Es wirkte wie ein Vermächtnis für die Zukunft der Titel der WAZ und ein Appell in die gesamte Branche hinein.
Am Abend ihres 90. Geburtstages am Samstag hatten Verlag und Redaktion mittels eines Zeppelins der Jubilarin die Glückwünsche der “WAZ-Mannschaft” übermittelt. Eine solche Nähe zum Team liebte Anneliese Brost. Noch mitten in der Nacht hat sich per Handy bei Geschäftsführer Hombach dafür bedankt.
Rolf Potthoff