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„Schalker Jungs‟ des Amigonianer Soziale Werke e.V.

Auf Schalke ist Kochen Männersache

Bei den „Schalker Jungs“ der Amigonianer finden Kinder und Jugendliche aus aller Welt, was sie am nötigsten brauchen: Freundschaft. Und lernen ganz nebenbei Regeln und Rollenbilder der neuen Heimat.

Aus dem Hinterzimmer klingen Klavierakkorde, irgendwas von Coldplay. Das Klacken von der Tischtennisplatte nebenan liefert den Beat dazu. In der Küche kommandiert Ahmad ein halbes Dutzend Jungs. Eine Schüssel bitte. Teig ausrollen. Ausstechen. Jetzt das Öl auf den Herd. Kochen ist Männersache. Ein ganz normaler Nachmittag im Schalker Jugendhaus Eintracht. Nach der Schule treffen sich hier junge Leute mit Wurzeln aus aller Welt.
Mit der liebevollen Strenge der erfahrenen Sozialarbeiterin ordnet Sandra von Au das fröhliche Durcheinander. Hier ein mahnendes Wort, dort ein Hinweis, wenn es mit den Hausaufgaben hakt. In dem Projekt „Schalker Jungs“ unterstützen die Amigonianer Kinder und Jugendliche mit Zuwanderungsgeschichte auf ihrem Weg vom Rand in die Mitte der Mehrheitsgesellschaft. Leiterin von Au sorgt für respektvolle Atmosphäre, ganz im Sinne des spanischen Kapuzinerpaters Luis Amigó y Ferrer, der den Amigonianer-Orden Ende des 19. Jahrhunderts mit einem klaren Ziel gründete: jungen Menschen mit schwierigen Startbedingungen das zu bieten, was sie am nötigsten brauchen – Freundschaft.

„Kopftuch? Das soll meine künftige Frau selbst entscheiden.“

Ahmad, Schalker Junge


1962 kamen die Amigonianer nach NRW, erst nach Bonn, dann nach Köln, 1989 schließlich nach Gelsenkirchen. Das Jugendhaus „Eintracht“ ist in einer ehemaligen Kneipe in der Grillostraße im Stadtteil Schalke untergebracht. Der Tresen steht noch, das Mobiliar ist angenehm eingewohnt, die Bleiglasfenster würden Hipster verzücken. Aber hier, am Rande der Siedlung Aldenhofstraße, herrscht kein Vintage-Chic, sondern die harte Realität eines Problemviertels. Immer wieder ist Sandra von Au gefragt, vor allem beim Ringen mit der Bürokratie; deutsche Formulare bilden wahrscheinlich die höchste aller Integrationshürden.
Der Nachmittagstreff verschafft den Kids Momente der Ruhe und Sicherheit, sie finden Anschluss und üben Respekt in einem diversen Quartier. Das Leben in der neuen, fremden Heimat ist nicht immer leicht. Die Wohnungen sind eng, die Eltern oft gestresst. Häufig verzögert sich die Integra­tion, weil Querein­steiger­klassen für Kinder und Ju­gend­liche ebenso überfüllt sind wie Sprach- und Integrations­kurse für Erwachsene. Sandra von Au und ihr Team aus Haupt- und Ehrenamtlichen helfen, vermitteln, besänftigen. Und nebenbei sorgt das Projekt für ein friedliches Zusam­men­leben im Quartier, weil Vor­urteile und Ängste ab­gebaut und demokra­tische Werte­ vermittelt werden. Wer sich vom Jugendtreff kennt, verhaut einander nicht gleich.
Ahmad, Küchenchef an diesem Nachmittag, hat die Teigtaschen in der Mache und klare Vorstellungen davon, wie Geschlechterrollen verteilt sind. Kochen, das sei weder Männer- noch Frauensache, sondern Aufgabe derer, die es am besten können. „Soll ja schmecken.“ Obgleich erst 16, hat Ahmad konkrete Vorstellungen, wie sein späteres Leben aussehen soll. Familie? „Klar.“ Soll seine Frau arbeiten? „Wenn sie will, natürlich.“ Kopftuch? „Das soll meine künftige Frau selbst entscheiden.“ Wer kümmert sich um die Kinder? „Na, beide natürlich.“ Ahmad wundert sich ein wenig, dass er über scheinbar Selbstverständliches reden soll. In seiner Heimat mögen andere Regeln gelten, aber Syrien ist weit weg. Dort würde er seinen Traum vom erfolgreichen Geschäftsmann kaum verwirklichen können. Viel ist von Willkommenskultur die Rede; im Schalker Jugendhaus „Eintracht“ wird sie praktiziert.