Perspektiven des Lokaljournalismus an Rhein und Ruhr

Die Situation der lokalen Berichterstattung in Deutschland – und damit auch im Ruhrgebiet verschlechtert sich laufend. Mit dem Wegbrechen der wirtschaftlichen Grundlage ziehen sich Verlage aus diesem Geschäft zurück und dünnen die Berichterstattung aus. Landkreise mit mehr als einem Zeitungstitel sind inzwischen selten. Es gibt zunehmend Regionen im Ruhrgebiet, in denen eine angemessene Lokalberichterstattung nicht mehr stattfindet. Der kommunale Diskurs im Ruhrgebiet bleibt sich selbst überlassen und verlagert sich in soziale Netzwerke, in Anzeigenblätter oder Informationen der Kommunen und Unternehmen. So schwinden auch für den Ruhrgebietsbürger immer mehr Möglichkeiten, sich auf sachlich-kritischen Wegen, die allgemeine journalistische Standards erfüllen, über Geschehnisse in seiner unmittelbaren Umgebung zu informieren und somit am demokratischen Diskurs teilzunehmen.
Wenn Lokalzeitungen ihren demokratischen Auftrag nicht mehr erfüllen (können), dann hat das unmittelbar Auswirkungen für die lokale bzw. kommunale Politik und für das Funktionieren der Demokratie in Deutschland insgesamt: Gerade dort, wo unsere Demokratie für die Bürger am unmittelbarsten erlebbar wird und am greifbarsten ist, droht nicht nur ein zentraler Diskussions- und Referenzrahmen, sondern auch eine wichtige Kontrollinstanz verloren zu gehen.
Dieser Zusammenhang wird sowohl von Seiten der Politik, der Medien als auch der Wissenschaft immer wieder als normativ wünschenswerte Grundlage betont. Und während es, auch gerade durch internationale Systemvergleiche, auf der nationalen Ebene auch empirische Evidenzen dafür gibt, fehlen auf der lokalen Ebene weitgehend grundlegende Studien und Maßnahmen, die die Relevanz der lokalen Medien für den kommunalen und insbesondere politischen Diskurs aufzeigen: Welche Rolle, welche Funktion haben Lokalzeitungen tatsächlich? Wie verändert sich die Öffentlichkeit, wenn es keine systematische, unabhängige lokale Information mehr gibt? Wie sieht diese Veränderung im Ruhrgebiet aus? Welche Alternativen gibt es, um die etablierten Funktionen der Lokalzeitungen zu ergänzen oder gar zu ersetzen? Wie verändert sich das Kommunikationsverhalten der Politik und welche Innovationen entwickeln Journalisten und Verleger vor dem Hintergrund sich ändernder Rahmenbedingungen? Wie können Niveau und Ausgewogenheit in Debatte und Information gewahrt werden? Und nicht zuletzt: Wie lässt sich eine politisch und wirtschaftlich unabhängige Öffentlichkeit organisieren?
Diese Fragen sind nicht nur für die journalistische und verlegerische Praxis, sondern vor allem für die politische Meinungsbildung vor Ort und damit für die Stabilität der Demokratie von besonderer Bedeutung. Angesichts der Komplexität der Fragen und Beziehungen ist es wenig erstaunlich, dass es auf die anstehenden Herausforderungen noch keine hinreichenden praxistauglichen Antworten gibt. Die Regionalverlage im Ruhrgebiet experimentieren mit Konzepten, Inhalten und Strategien; diese wurden und werden jedoch nur selten systematisch auf ihren politischen Wert, ihre publizistische Qualität, ihren Wahrnehmungs- und Wirkungsradius bei den Menschen im Ruhrgebiet sowie ihre wirtschaftliche Tragfähigkeit untersucht sind. Selbst in der Branche wird nur selten organisiert über Beispiele und Erfolgsfaktoren diskutiert, die auch die politische und wirtschaftliche Dimension des eigenen Tuns im Auge hätten. So gibt es u. a. keine etablierte Debatte über wirtschaftlich tragfähige Modelle, die lokale publizistische Unabhängigkeit und eine angemessene Versorgung der Bevölkerung im Ruhrgebiet mit lokalen Informationen sichern. Diese Defizite möchte das avisierte Projekt adressieren, indem es eine Bestandsaufnahme der journalistischen Entwicklung im Ruhrgebiet liefert und Rückschlüsse auf die politische Kultur zieht.
Auf dieser Basis die wesentlichen politischen, wirtschaftlichen und publizistischen Herausforderungen herausarbeitet und anhand ausgewählter konkreter Praxisbeispiele die zentralen Erfolgsfaktoren neuer, vor allem auf das Ruhrgebiet gerichteter lokaljournalistischer Formate synthetisiert, die die politische Partizipation der Bevölkerung im Ruhrgebiet verbessert.