Von Facebook lernen heißt Überleben lernen
25. November 2019
Lesung: Bücher des Ruhrgebiets
11. Dezember 2019
alle anzeigen

Nur keinen Streit vermeiden!

Der Weg zur Wahrheit führt nur über Auseinandersetzung. Aber die Philosophen Marie-Louisa Frick und Wolfram Eilenberger fordern im gesellschaftlichen Diskurs Regeln und Anstand ein

So schnell haben sich selten Thesen einer philosophischen Debatte in der Realität bestätigt...

„Konstruktive Kontroverse: Muss Politik besser streiten?“ – zu dieser Frage hatten Professor Dr. Marie-Louisa Frick und Dr. Wolfram Eilenberger, der amtierende Stadtschreiber Ruhr der Brost-Stiftung, in einem moderierten Zweiergespräch bei der Bonner Akademie für Forschung und Lehre praktischer Politik (BAPP) kluge und eingängige Denkanstöße vermittelt. Dabei widmeten sich die beiden Philosophen über weite Strecken dem Phänomen der sozialen Netzwerke, die zur „intellektuellen Verflachung“ (Frick) der Streitkultur beitragen und gleichzeitig den öffentlichen Diskurs verhindern, indem sie den Andersdenkenden moralisch abqualifizieren und zur „Ächtung“ (Eilenberger) freigeben.

Am Tag danach sammelten sich Tausende Bauern zum Protest in Berlin, hier ein kleiner Auszug der Twitter-Beiträge:
„Interessant wie man unter dem Deckmantel #Bauernprotest gegen Großstädter und Verbraucher schießt. Also geht es nicht um Politik und Politiker, sondern um die scheiss Arschlöcher aus der Stadt! Danke für das Beleuchten.“
„Vielleicht sollten die Bauern lieber nicht die Arbeit schwänzen und tagelang auf subventionierten Traktoren subventionierten Diesel verschwenden. Nur um auf ihr angebliches Recht zu pochen Mensch und Umwelt zu vergiften und Tiere zu foltern.“
Natürlich finden sich im Sturm der Anteilnahme auch moderate Kommentare, Zustimmung und Verständnis. Aber wie soll im Klima wachsender Verrohung zivilisierter Streit gedeihen, den jede Gesellschaft zum Zusammenhalt und Fortkommen benötigt?
„Richtiges Streiten akzeptiert ein ‚sowohl als auch‘. Schlechtes Streiten leugnet hehre Absichten des Gegenübers. Eigene Vorurteile tun nicht weh, deshalb legt man sie auch so ungern ab!“
Professor Bodo Hombach, Präsident der Bonner Akademie in seiner Begrüßung
2019_11_25_BAPP_Michael_Hirz_Foto_Guenther_Ortmann-49-1024x683
„Wir sollten uns zunächst von der Theorie verabschieden, dass Streit immer negativ und zu vermeiden ist“, so Frick. „Jede Wahrheit muss erstritten werden.“ Aber im Rahmen gemeinsamer Regeln, basierend auf Anstand und Anerkennung der Verletzlichkeit des Gegenübers. Eilenberger verwies auf die Publizistin Hannah Arendt, die den Diskurs um Wahrheit zum Grundwert menschlichen Miteinanders erhoben hat: „Es gibt andere Menschen, Wahrheit gibt es nur zu Zweit.“ Damit sei Streit vorprogrammiert.

Aber das Wesen der Auseinandersetzung habe sich in der modernen Gesellschaft nachhaltig verändert. „In der Nachkriegszeit gab es Sehnsucht nach Konsens“, führte Eilenberger aus. „Ziel jeden Streits war der Kompromiss. Heute erleben wir in Talkshows ein Absondern politischer Standpunkte, auf denen ohne Bemühen um Annäherung beharrt wird.“ Der aktuelle Stadtschreiber Ruhr weist aber gleichzeitig darauf hin, dass nicht jeder Streit durch Austausch von Fakten voran komme. „Ein Brexit-Gegner lässt sich nicht durch Argumente überzeugen, er rückt nicht von seiner Weltanschauung ab.“ Manche Debatte ende eben nach Austausch der Standpunkte. „Der Sinn von politischem Streit ist nicht die Überzeugung des Anderen, sondern Hilfe zur Meinungsbildung“, fügte Frick hinzu.
„Donald Trump streitet nie. Er nimmt Personen aus dem Spiel, grenzt sie aus, bevor Streit entsteht.“
Dr. Wolfram Eilenberger über den US-Präsidenten
2019_11_25_BAPP_Michael_Hirz_Foto_Guenther_Ortmann-110-1024x683
Die vielfach ausgezeichnete Autorin beschreibt an dieser Stelle eine weitere Qualität von Streitkultur: „Es ist wichtig zu wissen, ob es sich beim Gegenüber um einen Gegner oder einen Feind handelt. Mit Feinden der Demokratie sollten wir nicht diskutieren, sondern sie gemeinsam unschädlich machen.“ Moderator Michael Hirz stellte die Frage in den Raum, wie im Zeitalter eines allgegenwärtigen öffentlichen Meinungsaustausches 63 Prozent der Befragten in einer Allensbach-Umfrage angaben, man könne in Deutschland nicht mehr öffentlich sagen, was man denke. Trotz der nachvollziehbaren „Ächtungsangst“ innerhalb der sozialen Netzwerke widersprach Eilenberger: „Es gab noch nie so viele Möglichkeiten, sich zum Lautsprecher der Welt zu machen wie heute.“ Gleichwohl verwies der Bestsellerautor auf eine Vielzahl sogenannter „Ablenkungsstreits“, die emotionalisierten, aber gleichzeitig von wirklichen Problemen ablenkten. Wie etwa die Abtreibungsdebatte in den USA oder der Streit um Waffengesetze. Frick: „Die Folge ist, dass die Menschen ihre Themen nicht in der öffentlichen Debatte wiederfinden.“

Das habe auch zum Misstrauen gegen klassische Medien beigetragen, denen eine wichtige gesellschaftliche Rolle in der Mäßigung der öffentlichen Auseinandersetzung zukomme. Soziale Netzwerke, darin waren sich beide Philosophen einig, könnten Journalismus nicht ersetzen. Frick: „Aber sie können die klassischen Medien anspornen, besser zu werden.“
„Die relevante Frage für einen maßvollen Streit ist: Was kann ich tun, dass sich andere Menschen nicht von mir bedroht fühlen?“
Prof. Dr. Marie Louisa Frick
2019_11_25_BAPP_Michael_Hirz_Foto_Guenther_Ortmann-125-1024x683
Auf die im Programm der Veranstaltungsreihe „Politik trifft Literatur“ angekündigte Herausforderung, „wie eine gesunde Streitkultur etabliert werden kann, um der gesellschaftlichen Spaltung entgegenzuwirken“ müsse auch im Bildungsprozess reagiert werden, richtig streiten werde beispielsweise im angelsächsischen Raum bereits in Debattierklubs an Schulen und Universitäten eingeübt. Aus einem solchen ging, diese Anmerkung sei erlaubt, auch Boris Johnson hervor, der heute mit einer aufgeheizten und manipulativen Brexit-Kampagne die gesellschaftliche Spaltung Großbritanniens vorantreibt.

Eilenberger stellte am Ende die tatsächliche Bedrohung der Demokratie heraus, indem er auf historische Parallelen zum Beispiel in der Klimadebatte verwies: „Wenn der Überlebensbegriff in den Mittelpunkt des politischen Diskurses rückt, bedeutete das noch nie etwas Gutes für die Demokratie.“ Auch Frick warnte davor, die Werte der Gesellschaft in Frage zu stellen, weil man die Veränderung zum Besseren nicht mehr für möglich hält: „Rechtsstaat, Wohlstand und Aufklärung müssen abgesichert werden.“

Der wohl klügste Satz des Abends stammte von einem Philosophen, der nicht selber auf dem Podium saß. Eilenberger zitierte Professor Hans-Georg Gadamer (1900-2002), den er als junger Mensch mit der Frage konfrontierte, ob es nicht schnellere Lösungen in drängenden Zukunftsfragen brauchte. Gadamers Antwort: „Gibt es schnellere Lösungen als vernünftige?“ Selten war ein kluger Gedanke wertvoller für die aktuelle gesellschaftliche Debatte.

Fotos: copyright BAPP / Günther Ortmann

Notice: Trying to access array offset on value of type null in /html/broststiftung.ruhr/wp-content/themes/betheme/includes/content-single.php on line 286

Es können keine Kommentare abgegeben werden.