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Muss der Staat den Journalismus retten?

Der zweite Workshop zu den Zukunftsperspektiven klassischer Medien verdeutlicht einen rasanten Verdrängungsprozess. Weil immer mehr Institutionen ihre Nachrichten selber machen und/oder verbreiten

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Die ehrlichste - und zugleich beunruhigendste - Botschaft für die anwesenden Journalisten verkündete, ausgerechnet, das Ruhrbistum Essen. In Person von Ulrich Lota, Leiter Stabsabteilung Kommunikation. Er beschrieb offen, wie sein Team rund 500.000 katholische Menschen fünfmal im Jahr mit einer „Kundenzeitschrift“ erreicht: Das Heft „Bene“ kostet nichts, kommt per Post ins Haus. Und: „Themen wie Zölibat, Missbrauchsvorwürfe oder Frauenpriestertum finden bei uns nicht statt. Dafür interessiert sich keiner.“

Im zweiten Workshop zu den „Perspektiven für den Journalismus an Rhein und Ruhr“, diesmal unter dem Titel „Die neuen Medienmacher? Institutionelle Akteure als Konkurrenz für den (Lokal-)Journalisten“, zeigte Lotas Vortrag wesentliche Gründe auf, warum die traditionellen Medien im Verdrängungswettbewerb Boden verlieren: Der Leser nimmt gern, egal ob Print oder Online, was nichts kostet. Und er lässt sich offensichtlich mehrheitlich lieber unterhalten als zum kritischen Nachdenken animieren.

Durch die einzelnen Vorträge aus verschiedenen Bereichen institutioneller Kommunikation zog sich ein roter Faden: Weder Ministerien, Polizei, Unternehmensportal oder Kirchenzeitung müssen - im Gegensatz zur Lokalzeitung – Geld verdienen! Die neuen Medienmacher stocken personell und strukturell rasant auf, während sich in den klassischen Medienhäusern die Reaktion auf aktuelle Herausforderungen weitestgehend auf Sparen und Stellenstreichungen reduziert.

Beispiel Politik. Johannes Hillje verdeutlichte an der Entwicklung des Bundesverkehrsministeriums, dessen Etat für Öffentlichkeitsarbeit auf 2,5 Millionen Euro erhöht wurde, wie durch zusätzlich eingestellte Videospezialisten und Social-Media-Experten direkt mit den Zielgruppen kommuniziert wird. Für Politikberater Hillje eine erfolgversprechende Strategie: „Man erhöht die Reaktionsgeschwindigkeit, gewinnt schneller die Kontrolle über Nachrichten und die Deutungshoheit bei Ereignissen.“ Er zitiert auch CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer aus einer Mail an Parteimitglieder: „Wir haben diesmal selber Bilder und Nachrichten produziert.“

Dr. Helge Matthiesen, Chefredakteur des Bonner General-Anzeigers und Co-Projektleiter, weist genau an diesem Punkt auf die (gesellschaftliche) Relevanz klassischer Medien hin: „Wer stellt die Frage: Stimmt das alles überhaupt? Wer nimmt die Wächterfunktion wahr, wenn Behörden und Unternehmen mit ihren Portalen die Lokalzeitung ersetzen?“

Einen Teil der Antwort lieferte Prof. Bodo Hombach, Vorstand der Brost-Stiftung: „Entscheidend ist und bleibt die Unabhängigkeit. Lokaljournalismus unterscheidet sich wesentlich von den Verlautbarungen einer Partei, einer Behörde, eines Unternehmens. Es gilt das Motto Kurt Tucholskys: „Ich glaube jedem, der die Wahrheit sucht. Ich glaube keinem, der sie gefunden hat.“ Und er setzte einen weiteren wichtigen Debattenpunkt: „Am Ende muss man auch die Wirksamkeit dieser Aktivitäten hinterfragen. Verkehrsminister Scheuer gehört in allen Umfragen zu den unbeliebtesten Politikern...“

Gleichwohl zeigten auch die übrigen Vorträge, wie sich das mediale Nutzerverhalten bemerkenswert verändert. Durch personell verstärkte Social-Media-Aktivitäten steigerte die Kölner Polizei, nach Darstellung von Pressesprecher Wolfgang Baldes, bei spektakulären Einsätzen die Zahl der Facebook-Follower von 28.000 auf über 220.000!

Prof. Dr. Lutz Frühbrodt, Professor für Fachjournalismus und Unternehmenskommunikation an der Hochschule Würzburg-Schweinfurt, beleuchtete die wachsende Bedeutung der Unternehmen als Medienmacher, vor allem im Bereich Content Marketing. „Handwerkliche Methoden der klassischen Medien werden adaptiert. Es ist aber nicht allen Lesern klar, dass die Kommunikation immer interessengeleitet ist, Unabhängigkeit und Neutralität nicht gewährleistet sind.“

Bei der Telekom, die Philipp Schindera, Leiter Unternehmenskommunikation, als „Content Factory“ bezeichnet, werden beispielsweise die Regeln des journalistischen Wettbewerbs konsequent übernommen. „Wir pflegen ein klares Seite-1-Denken“, so Schindera in seinem Impuls. „Das spannendste Thema wird groß, wir wollen noch schneller und dialogorientierter werden.“ Was die „Themenpumpe Telekom“ hergebe, müsse nur in die richtigen Kanäle, zu denen auch ein täglicher Newsletter mit Chefredakteur Florian Harms gehört, eingespeist werden.

Schindera wünscht „seiner“ Lokalzeitung am Ende des Vortrags eine gute Zukunft, er hält das Erzählen und Einordnen der Nachrichten und Geschichten von „vor der Haustür“ immer noch für ein (er)tragfähiges Geschäftsmodell. Andreas Tyrock, Chefredakteur der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) und ebenfalls Co-Projektleiter, sieht diese Perspektiven weniger optimistisch: „Zur täglichen Herausforderung gehört, dass zu viele WAZ-Leser stehen bleiben, wenn sie an die Bezahlschranke kommen. Die klassischen Medien stehen unter Druck, ihr Verschwinden hätte deutlich negative Auswirkungen auf eine Gesellschaft, die sich immer mehr spaltet.“

Aber wo liegen Zukunftsperspektiven des (Lokal-)Journalismus angesichts der beschriebenen Kannibalisierung und des sich beschleunigenden Leserschwunds? Hombach, als früherer Kanzleramtsminister und  WAZ-Geschäftsführer mit beiden Spannungsfeldern vertraut, regt eine öffentliche Debatte zur Finanzierung von Qualitätsjounalismus an: „Ich hätte nichts gegen die Öffentliche Hand. Die gehört keinem König, der gnädig in die Privatschatulle greift. Der Staat verwaltet unser aller Geld. Ein neutrales Gremium mit breit gestreuter Legitimation könnte Bedürftigkeit und Förderhöhen definieren. Das müsste die Staatsferne sichern. Gesellschaftlich relevant und damit förderwürdig ist sicher nicht nur der öffentlich-rechtliche Rundfunk.“