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„In den Köpfen der Ärzte muss sich etwas verändern“

Brost-Ruhr-Preisträgerin Marianne Kloke will Preisgeld für bessere Integration der Palliativmedizin in den Klinikalltag einsetzen

01. Juli 2022

In diesem Jahr hat die Brost-Stiftung drei bemerkenswerte Frauen mit dem Brost-Ruhr Preis ausgezeichnet. Auf Zeche Zollverein wurden Dr. Marianne Kloke, Dr. rer. nat. Ferya Banaz-Yasar sowie Dr. Nicole Selbach im festlichen Rahmen für ihre „Verdienste um die Etablierung und besondere Ausgestaltung der Palliativmedizin im Ruhrgebiet“ geehrt. Erstmalig ist der Preis 2022 mit einer Summe von 25.000 Euro je Preisträgerin dotiert, jede Ausgezeichnete wird das Preisgeld an eine gemeinnützige Initiative ihrer Wahl weiterleiten. 

Im Rahmen einer Interviewreihe wollen wir Ihnen die herausragenden Expertinnen näherbringen. Den Auftakt bildet Marianne Kloke, die sich nach dem Ende ihrer aktiven Kliniktätigkeit aus vollem Herzen ihren fünf Enkeln widmet.

Das Preisgeld des diesjährigen Brost-Ruhr Preises lässt Kloke der Evangelischen Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe in Bochum zur Finanzierung des Projektes „Palliative Care und Geriatrie – Förderung von Kooperation und Vernetzung bei der Begleitung alter Menschen in der letzten Lebensphase“ zukommen.

Thematisch liegt das Projekt (geplant ist u. a. eine semesterübergreifende Veranstaltungsreihe) an der Schnittstelle von Geriatrie und Palliative Care. Sowohl Geriatrie als auch Palliative Care sind mit Blick auf die Bedürfnisse vulnerabler, alter Menschen und Menschen mit schwersten Erkrankungen multiprofessionell und interdisziplinär angelegt. Fachliche Fragen der medizinischen und pflegerischen Palliativ-Versorgung sind bereits gut erforscht und die entsprechenden Wissensbestände in Aus- und Weiterbildung in der Medizin und Pflege zumindest partiell integriert. Kloke: „Palliative Care umfasst aber, über die medizinische Behandlung und pflegerische Versorgung hinaus, die soziale und spirituelle Begleitung sehr alter und schwerstkranker Menschen sowie das Management dieser Prozesse.“

Was genau möchten Sie mit Ihrer Initiative bewirken?

Marianne Kloke: „Im Bereich der Palliativmedizin ist umfangreiches wissenschaftlich gesichertes Fachwissen vorhanden. Aber es hapert noch immer am Verständnis für die notwendigen personellen, strukturellen und organisatorischen Vorbedingungen zur Erbringung qualifizierter Palliativversorgung. Das gilt leider sehr häufig gerade für die Verantwortungsträger im Gesundheitswesen allgemein und in den einzelnen Institutionen vor Ort. Deshalb gehen wir mit dem Projekt an die Hochschule, weil hier die künftigen Entscheider und Multiplikatoren aus verschiedenen Gesundheitsberufen studieren. So können Modelle für die notwendige Kooperation über Professions-, Organisations- und leistungsrechtliche Grenzen hinweg  entwickelt und eingeübt werden.“

Dr. Marianne Kloke bei der Brost-Ruhr Preis Verleihung 2022, Foto ©Mike König

Wo liegt nach Ihrer Einschätzung der größte Veränderungsbedarf?

Marianne Kloke: „In den Köpfen der Verantwortlichen. Viele ÄrztInnen und Pflegefachpersonen setzen Palliativmedizin immer noch mit Sterbemedizin gleich. Sie schließen die Augen vor der hohen medizinischen, pflegerischen und interprofessionellen Kompetenz dieses Fachgebietes wie sie u.a. in den S3 Leitlinien Palliativmedizin festgeschrieben ist.  Im klinischen Alltag wird z. B. selbstverständlich ein Urologe bei urologischen Problemen zugezogen während der Einbeziehung eines Palliativmediziners häufig eine Diskussion mit dem Patienten vorausgeht. 

So kommt es zur Fortschreibung der Berührungsängste und Tabus letztendlich zu Lasten des Menschen mit einer schweren, rasch fortschreitenden und zum Tode führenden Erkrankung. Mehr als einmal begrüßte mich ein Patient dann mit den Worten: „Nun dann ist es jetzt wohl so weit. Wie viele Tage habe ich denn noch?“   

Stichwort Befragung des Betroffenen – wie wichtig ist eine Patientenverfügung?

Marianne Kloke: „Sie ist für mich ein zentraler Akt zur Wahrung der Menschenwürde. Dem Patienten wird die Sicherheit gegeben: Du bist selbstbestimmt bis zum Schluss! Es passiert nur, was Du willst. Entscheidend ist ein empathisches mit fachlicher und kommunikativer Kompetenz geführtes Gespräch, in dem der Patient auch seine Ängste artikulieren kann, etwa vor einem einsamen Tod oder qualvollem Ersticken. Ein solches Gespräch über die Behandlungswünsche zum Lebensende hin nimmt Angst und gibt Sicherheit für den Patienten, seine Angehörigen und auch für die behandelnden ÄrztInnen."

Dr. Marianne Kloke bei der Brost-Ruhr Preis Verleihung 2022, Foto ©Mike König

Ärzte und Patienten sagen oft „Es ist noch nicht soweit“, wenn Palliativmedizin angesprochen wird. Wann ist der richtige Zeitpunkt?

Marianne Kloke: „Hier muss vielleicht etwas zwischen Tumor- und Nichttumorpatienten unterschieden werden. Für den Krebspatienten wurde das Konzept der Frühen Integration, bei der Palliativmedizin und Onkologie gleichzeitig ab dem Augenblick der Feststellung der Nichtheilbarkeit durchgeführt werden, wissenschaftlich gesichert. Bei Nicht-Tumorpatienten sind die Erkrankungsverläufe oft chronischer mit vielen Aufs und Abs. In frühen Stadien geht oft zunächst einfach darum, mit Erkrankten und Angehörigen die Möglichkeiten einer Palliativversorgung zu besprechen und ein verlässliches Begleitungsangebot auch für die letzte Lebensphase anzubahnen.

In weiter fortgeschrittenen Stadien kommen dann Linderung von körperlichem und psychischen Leiden sowie existentieller Not immer mehr zum Tragen.  Das Konzept der Early integration befindet sich für die fortschreitend und unheilbar kranken Nicht-Tumorpatienten noch in der Etablierung. Eine Ausnahme bildet hier vielleicht die ALS, hier sollte das Angebot einer Palliativversorgung bereits bei Diagnosestellung erfolgen.“